Das Leben vom Tod aus betrachtet

Kleinste terroristische Einheit In der Serie "Six Feet Under - Gestorben wird immer" bewährt sich das Konzept Familie über Tabugrenzen hinweg

Es setzt schon ein gut geöltes Umfeld voraus, wenn eine Fernsehserie um ein Bestattungsunternehmen überhaupt angedacht werden kann. In Six Feet Under mischen sich das Heimelige und das Gruselige zu einem seltsam differenzierten und witzigen Produkt. Durch Serien wie Ally McBeal oder Sex and the City ist man zwar auch hierzulande mit der "edginess", einer gewissen Schrägheit vertraut, aber Six Feet Under hat diese Entwicklungen denkbar weit vorangetrieben - und kommt in Deutschland nun mit einer Verspätung von dreieinhalb Jahren ins Fernsehen.

Die erste Episode beginnt mit einem lauten ödipalen Knall. Der Vater verunglückt in seinem Leichenwagen und stirbt. Der lebenslustige Mann lässt eine Familie zurück, die zerrissen, unglücklich und irgendwie betreten wirkt. Die Fishers leben in einer inneren Emigration. Ruth, seine Frau, ist in dürrer Pflichterfüllung gealtert und terrorisiert ihre Kinder mit weinerlicher Entschlossenheit ("Wir müssen essen. Wir sind nicht tot"). Claire, das jüngste Kind, ist schon mit Abwehr, Pessimismus und ihrer Genervtheit völlig ausgelastet, während David etwas zu sehr in der Rolle des gravitätischen Bestatters und Juniorchefs aufgeht. Nur Nate hat die Flucht aus dieser kalifornischen Hölle geschafft. Da jedoch Weihnachten vor der Tür steht, fährt er zu seinen Eltern nach Los Angeles, nicht ohne am Flughafen noch das zu tun, was er dem Vernehmen nach am besten kann, schnell eine Frau in der Abstellkammer befriedigen, die er gerade erst kennen gelernt hat: Auftritt Brenda Chenowith. Auch sie wird eine bedeutende Rolle in dieser Serie spielen.

Die Fishers sind also eine schlecht gelaunte, zerrissene und durch und durch verkrampfte Brut, die gelernt hat, Befriedigungen hinauszuschieben, die in ihrem Nicht-Funktionieren aber eigenartig funktional ist. In jeder Episode von Six Feat Under werden nun immer neue Kombinationen schwieriger Lebens- und Familienverhältnisse zusammengestellt. Da nicht nur die Toten, sondern auch die Mitarbeiter und die Geliebten der Fishers Familie haben, stapelt sich so Geschichte auf Geschichte und sorgt für einen straff organisierten Abwechslungsreichtum, der offen genug ist, um jeweils eine knappe Stunde (von bislang 39 Folgen) zu füllen.

Während in der Küche die Befindlichkeiten der Fishers verhandelt werden, warten im Keller jeweils Leichen auf ihren finalen Facelift. Nun könnte man annehmen, dass diese Nähe zum Tod im Zuschauer einen ständigen Schauder bewirkt. Aber dazu ist der Humor dann doch zu schwarz und die Pietätlosigkeiten zu pragmatisch.

Ironisch gemeint ist wohl auch, dass der verfemte Bereich des Todes nicht nur in ein bürgerliches Alltagsleben eingebunden ist, sondern gleich auch noch der Stadt der ewigen Jugend und des Todestabus den düsteren Spiegel vorhält, denn in Six Feet Under wird an der Überzeugungskraft des Scheins nicht weniger unerschütterlich festgehalten wie im unweit gelegenen Hollywood.

Aber "Trauermanagement" ist hier nicht nur eine Metapher für Unterhaltungsindustrie, der Autor der Serie, Alan Ball hat seinen ganzen Optimismus vor allem in eine Grundannahme investiert: Aus dem Blickwinkel des Todes sieht das Leben gar nicht so schrecklich aus. Der Tod wird zum Lebensspender und begleitet die Figuren auf ihrem langen Weg der Entkrampfung und Neuverhandlung ihrer Beziehungen. Sich näherkommen, Emotionalität und Offenheit entwickeln, kurzum: lebendig werden, das sind Unternehmen, für die es nie zu spät ist. Dass man der Serie solche Botschaften abnimmt, mag auch daran liegen, dass sie so erfolgreich humorvoll, pathetisch unsentimental, gut gespielt ist.

Vor allem aber: Es gibt nichts, das nicht vorkäme. Drogen, Sexualität und "alternative Lebensweisen", manchmal bis an die Grenze zum sexuellen Softcore. Von diesem Wettbewerb um Realitätsnähe und Explizitheit profitieren vor allem die Darstellungen von Homosexuellen. Six Feet Under ist nicht einfach "schwulenfreundlich", hier geht es längst nicht mehr um "positive Bilder", sondern im Grunde wird das Queer Cinema der neunziger Jahre beerbt (und auf mittelständische TV-Verhältnisse heruntergedimmt). Das führt paradoxerweise dazu, dass es nun gerade die Heterosexszenen sind, die nun manchmal so gezwungen und kalkuliert wirken wie früher die mit schwulen Figuren.

Als 1999 Queer as Folk in England als erste Serie das sexuelle Hin und Her einer Gruppe junger Schwuler zum Thema machte, da war im Übrigen nicht abzusehen, dass gerade die USA auf solche Angebote positiv reagieren könnte. Bei Queer as Folk verlief die Entwicklung noch seltsamer. Erstaunlicherweise wurde die Serie auch nicht direkt übernommen, sondern ein Jahr später in Lizenz für den US-Markt neu gedreht, zunächst in der Absicht, die britischen Krassheiten auszubügeln. Das dann gar nicht so ausgebügelte Resultat wurde immerhin so erfolgreich, dass es bis heute in der vierten Staffel läuft.

In Six Feet Under ist es aber nun wieder die biologische Familie, die sich Platz schafft. Interessanterweise sind es hier gerade auch die besonders verkrampften Figuren, für die man die größte Sympathie empfindet. Ruth Fisher ist die geheime anchor woman der Serie, aber ihre Mütterlichkeit wirkt oft wie eine Parodie. Als Königin des Bügelbretts beschwört ihr Bekleidungsstil auch dann noch die Zeiten einer darbenden Bäuerlichkeit herauf, als sie längst durch unzählige Beziehungen und andere Lockerungsübungen gegangen ist. Es scheint, als würde Alan Ball seine Serie immer wieder auf die Zustände von Episode Eins zurückschieben müssen, um die eisernen Seriengesetz zu erfüllen, dem auch seine Kreativität unterworfen ist. Da muss stets Raum für eine für jeden nachvollziehbare Gemütlichkeit bleiben, die Erregung öffentlichen Ärgernisses darf nicht zu viele Sprengsätze auf einmal scharf machen.

Und so scheint es manchmal auch, als seien die Tabus auf den Gebieten Tod und Sex hier nur deshalb ausgesetzt worden, um sie auf die Familie zu übertragen und sie reformiert lebensfähig zu halten. Die Familie besetzt nicht nur das Leben in der Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit, die Träume, Gedanken und Imaginationen. Das Universum selbst scheint um die Familie herum gefaltet zu sein.

Pasolini hat die Familie einmal als kleinste terroristische Zelle bezeichnet. In der New York Times wurde sie kürzlich "underestimated guerrilla in the battle for public opinion" genannt. Damit waren jene schwer kalkulierbaren Wirkungen auf politische Prozesse gemeint, wie man sie im Rahmen der 9/11-Kommission oder in der Berichterstattung des aktuellen Irakkriegs beobachten konnte. Doch auch in ihren liberalen Kunstformen stellt sich die US-Kultur als von der heiligen Familie besessen dar.

Trotz seines ironischen Glanzes ist auch Six Feet Under gar nicht so weit vom Pathos des Pflichtbewusstsein und der Freudlosigkeit entfernt, die Diderot an den "innig" bürgerlichen Gemälden eines Greuze zu schätzen wusste. Jahrzehnte vor der Französischen Revolution erschienen tugendhafte Gegenbilder zu stark erotisierten Rokokogeflechten das Modell der Zukunft zu sein. Heute hat sich die Rolle der Sexualität natürlich etwas verschoben. In Six Feet Under ist die Familie der Notgroschen in einer unentwegt fließenden Promiskuität, Disparatheit und Differenz. Ihre kleinen Freuden, unvermeidbaren Psychosen und ungezählten Seufzer werden jedoch zu Bausteinen von Staaten und Weltreichen. Was man sich darunter vorzustellen hat, kann man jetzt Woche für Woche auf Vox verfolgen.

Six Feet Under - Gestorben wird immer. Pilotfolge am 11. Mai um 22.15 Uhr bei VOX. Die Serie immer dienstags um 23.10 Uhr.


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