Die grüne Jägerin

Avantgarde Renate Künast soll Berlin für die Grünen erobern. Wenn ihr dies gelingt, hätte die Umweltpartei mehr gewonnen als endlich eine Landeschefin in den eigenen Reihen

Ihre Sternstunde war der 8. Februar 2001. Die BSE-Krise tobte, die Verbraucher probten den Aufstand, und Rindfleisch lag wie Blei in den Auslagen der Metzgereien. Nach dem Aus von Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, SPD, der den Rinderwahnsinn verharmlost hatte und deshalb zurücktreten musste, hatten die Grünen entschieden: „Renate, du musst das machen!“ So übernahm Künast den Posten Funkes in der rot-grünen Koalition von Kanzler Gerhard Schröder. Jetzt war die Regierungserklärung der neuen Ministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft fällig. Und Künast lieferte eine brillante Rede, deren Kernaussagen noch heute zitiert werden. Sie verlangte ein Reinheitsgebot für Rindfleisch: „In unsere Kühe kommt nur Wasser, Getreide und Gras“. Sie forderte „Klasse statt Masse“, kündigte eine Bio-Offensive an und versprach die große Agrarwende.

Künast konnte nicht alle Versprechen halten, aber sie wurde wie eine „Erlöserin“ gefeiert, so der Gießener Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter: „Sie verspricht uns eine andere Tierhaltung, eine andere Landwirtschaft… eine Frau führt uns aus der Schande heraus und reinigt uns.“ Es war ihre Zeit als Krisenmanagerin gegen BSE und Maul- und Klauenseuche, die Künast jenen Popularitätsschub brachten, von dem die damals noch als Großstadtgöre bezeichnete Politikerin bis heute zehrt.

Wenig Ahnung, aber Erfolg

Jetzt soll sie also bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus als Spitzenkandidatin der Grünen gegen Klaus Wowereit antreten. Die Chancen stehen gut wie nie: Ihre Partei schwebt in Umfragen derzeit in Berlin Richtung 30 Prozent und hat bundesweit die 20-Prozent-Grenze genommen. Wenn die Grünen nun wieder sagen „Renate, du musst das machen“, dann zeigt das auch, dass Künast erneut als Erlöserin gefragt ist: Ein Erfolg in der Hauptstadt soll den Grünen nicht nur die erste Landeschefin bescheren, sondern sie vor allem vom Schicksal des ewigen Koalitions-Anhängsels befreien.

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Als Landwirtschaftsministerin hatte Künast zunächst keine Ahnung von Landwirtschaft und konnte nur mit Mühe ein Holsteiner Rindvieh von einem Wasserbüffel unterscheiden. Doch gerade die Distanz sorgte für frischen Wind und ein anderes Selbstverständnis des Ministeriums, das plötzlich den Verbraucherschutz nach vorne schob. Künast führte ein einheitliches Biosiegel ein und gab das ehrgeizige Ziel aus, bis 2010 einen Anteil von 20 Prozent Öko-Landwirtschaft zu erreichen. Die 20 Prozent blieben Utopie, aber die Ankündigung hat ihr nicht geschadet: „Dass visionäre Ziele nicht immer sofort erreicht werden, stört mich nicht“, sagt sie Jahre später.

Jenseits von Bio schuf Künast in dem über Jahrzehnte verstaubten Ministerium neue Strukturen und ging mit Bauernpräsident Sonnleitner in den Dauerclinch. Statt schenkelklopfender Bierzeltlaune herrschte auf den Bauerntagen fortan eisige Stimmung, wenn beim sorgfältig inszeniertem Polittheater das rotbackige Landvolk in der ersten Reihe der Ministerin die rote Karte zeigte und ihre Rede mit Trillerpfeifen niederlärmte. Künast hat das eher cool weggesteckt, Harmonie ist ohnehin nicht ihr Ding. Sie hat Nehmerqualitäten, und sie kann sich durchsetzen. Künast kommt aus einfachen Verhältnissen: Tochter eines KFZ-Mechanikers und einer Krankenschwester. Wer in einer Recklinghausener Großfamilie unter vier Kindern aufwächst, der lernt sich zu behaupten. Und er muss frühzeitig Bündnisse schließen.

In ihrer Wahlheimat Berlin erwies sich die Rechtsanwältin schnell als machtbewusstes politisches Talent: homo politicus von der Stoppelfrisur bis zur Schuhsohle, die eher nicht bei Birkenstock hergestellt wird. Mit ihrem Ehrgeiz, ihrem Kampfgeist und der schnoddrigen, zuweilen wasserfallartigen Rhetorik ist die heute 54-Jährige zur Power-Liesel der Grünen aufgestiegen. Inzwischen ist sie, wie das gesamte Führungspersonal der Umweltpartei, ein wenig in die Jahre gekommen, die Unbekümmertheit ist dahin. Ihre Popularität ist geblieben, wenn auch etwas geschrumpft. Die kleine Person mit der großen Klappe, schnell im Kopf, frech, resolut und schlagfertig ist sicher für sich schon Teil des gegenwärtigen Höhenflugs der Partei.

Dass sie manchmal schneller redet als sie denkt, dass sie bei allem politischen Drive häufig einen leicht misanthropisch-mürrischen Eindruck macht und durchaus argwöhnisch ihr Umfeld mustert, daran haben sich Journalisten wie Mitarbeiter gewöhnt. Renate Künast ist alles andere als der Kuscheltyp, auch in der eigenen Partei wird sie eher respektiert als geliebt. Sie ist nicht so weinerlich und moralisch wie Claudia Roth, aber auch nicht so analytisch wie Jürgen Trittin. Sie sei jederzeit professionell und verlässlich, sagen die Parteifreunde, ein glaubwürdiges politisches Urvieh.

Dass die Grünen sich vor keinem Angriff und keiner Umfrage fürchten müssen, liegt auch an ihrem stabilen Machtzentrum des Führungsquartetts aus Künast, Trittin, Roth und Özdemir. Die Doppelspitze der Bundestagsfraktion bildete Künast 2005 zunächst mit Fritz Kuhn, jetzt mit Jürgen Trittin. Über ihre Arbeit in dieser Doppelspitze verriet sie dem Magazin Glasklar: „Von einem zu 150 Prozent geschlossenen Auftreten halte ich nichts. Viele Dinge entwickeln sich ja erst im Widerspruch, im Disput. Ich finde, dieses Ringen um eine Idee muss ein wenig auch nach außen sichtbar sein.“

Ihr Ringen mit Jürgen Trittin wird nach außen aber sehr wenig sichtbar. Anfangs habe es ganz schön gerumpelt zwischen den beiden, beschreiben Beobachter den parteiinternen Machtkampf. Jetzt, so scheint es, hat sich alles zurechtgeruckelt, Parteiführung und Fraktionsspitze machen von allen Bundestagsparteien den geschlossensten Eindruck. Die interne politische Auseinandersetzung wird weitgehend geräuschlos ausgetragen.

Der Mutter-Touch fehlt

Mit ihrer Berliner Kandidatur hat Künast lange gezögert. Als Politprofi weiß sie, dass das Timing stimmen und die Thronbesteigung als Spitzenkandidatin mit einer gewissen Demut erfolgen muss. Jeder vorschnelle Griff nach Macht und Spitzenposten wird als gierig übelgenommen. Dabei ist diese Kandidatur für die Grünen-Politikerin ein Heimspiel, Künast is coming home. In Berlin hat sie von 1977 bis 1979 als Sozialarbeiterin im Tegeler Knast mit Drogenabhängigen gearbeitet. Hier ist sie 1979 in die Alternative Liste eingetreten und schnell in Spitzenfunktionen aufgestiegen. Während der rot-grünen Ära des Bürgermeisters Momper in den Jahren 1989/90 war sie Fraktionsvorsitzende.

Nun geht es gegen Wowereit. Der saturierte SPD-Partylöwe gegen die gefühlte zwei Köpfe kürzere Grüne. Auf dieses Duell freuen sich viele. Endlich erhält Wowereit eine Kontrahentin auf Augenhöhe, die sich vom dröhnenden Politbariton des Regierenden nicht in die Ecke drängen lässt wie im letzten Wahlkampf der CDU-Spitzenmann Friedbert Pflüger. Künasts Problem ist ein anderes. Ihr fehlt der Touch einer Landesmutter. Sie ist keine Politikerin zum Anfassen, auch wenn sie noch so oft Gärtnern und Kochen als persönliche Hobbies angibt.

In den „persönlichen Werten“ ist Künast inzwischen wieder hinter Wowereit zurückgefallen. Der Amtsinhaber wirkt jovialer und offenbar auch sympathischer als die kühle Künast. Die Herausforderin könne nicht so gut auf die Bürger zugehen, konstatiert Infratest-Geschäftsführer Richard Hilmer. Dieses Handicap wird sie in den Fernsehduellen wettmachen müssen. Natürlich besitzt sie auch noch das Frauen-Ticket, von dem sie aber so gut wie keinen Gebrauch macht. Dafür kann Künast auf der landesweiten Sympathiewoge der Grünen surfen. Bei der letzten Bundestagswahl hat sie im Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg 26 Prozent geholt. Ein ähnliches Ergebnis für ganz Berlin darf man ihr zutrauen.

Manfred Kriener ist Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und beobachtet Renate Künast seit vielen Jahren

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