Mit den Kartell-Enthüllungen des Spiegels zu den geheimen Absprachen der deutschen Automobilkonzerne ist „Dieselgate“ endgültig zum größten Umweltskandal seit der Wiedervereinigung aufgestiegen. Die kriminellen Motormanipulationen und der millionenfache Ausstoß giftiger Abgase weit über den erlaubten Grenzwerten konnten noch als „Schummelei“ und „Trickserei“ verharmlost werden. Doch jetzt wird über die Umweltverbrechen hinaus eine syndikatähnliche Gemengelage sichtbar. Man lüpft den Stein und sieht das Gewimmel. Man sieht die deutsche Schlüsselindustrie in ihrer ganzen Arroganz: Uns kann keiner! Wir können es uns erlauben, ein verschwörerisches Kartell des Betrugs und illegaler Absprachen zu bilden, Zulieferfirmen gemeinsam zu knebeln und Umweltgesetze zu pulverisieren. Über Jahrzehnte ging das so.
Die deutsche Automobilindustrie hat die Umweltgesetzgebung nie als Fortschritt, sondern immer nur als Feind betrachtet. Das gezähmte, das zivilisierte, das zukunftsfähige Auto war nie ihr Ding; statt der gebotenen Abrüstung in der Tiefgarage regierte die Erotik des Zwölfzylinders. Ökologie wurde nur zum Greenwashing gebraucht, wenn man sich auf den Automessen alle Jahre wieder mit entsprechender Nachhaltigkeitsprosa als grüne Zukunftsindustrie inszenierte. Ganz vorn standen dann die Prototypen neuer Elektroautos und hinten stank der Diesel zum Himmel. Die Politik hat diesen Kurs unterstützt. Kanzlerin Merkel und der in jeder Beziehung indiskutable Minister Alexander Dobrindt sind die Schutzheiligen der deutschen Autobauer. Patronage statt Kontrolle! Rasen im Treibhaus statt umweltfreundlicher Innovationen. Oft bekamen die Lobbyisten von der Politik mehr Zugeständnisse, als sie überhaupt haben wollten. Die Automobilfürsten feixten.
Doch wie andere Geheimlogen, die sich abschotten und zusammen kungeln, ist auch das Automobilkartell an seiner inzestuösen Selbstgefälligkeit gescheitert. Während man sich intern darüber verständigte, mit krimineller Finesse die Umweltgesetze zu umgehen, fuhren Firmen wie Tesla und die chinesische BYD auf die Pole-Position der Elektromobilität. Die Kartellabsprachen verhinderten die gegenseitige Konkurrenz – und wichtige Innovationen. Man beruhigte sich, saß gemütlich im warmen Whirlpool – und verlor dabei die gewaltigen Herausforderungen aus dem Blick.
Und jetzt? Reflexartig sorgen sich die Kommentatoren um das Wohl der deutschen Wirtschaft, denn VW, Daimler und Co. sind ihr Aushängeschild. Kann die Branche den Imageverlust und die milliardenschweren Strafzahlungen verkraften? Und was machen die Börsenkurse? Nach wie vor dominiert die Perspektive der Täter. Die Opfer, die vielen betrogenen Kunden, die Metropolen mit ihrem Keuchhustenklima und vor allem die Kranken und Toten als Folge der Luftverschmutzung – 10.000 Todesfälle jedes Jahr allein in Deutschland –, bleiben Statisten. Dass gerade Kinder besonders betroffen sind, weil ihre Atmungsorgane noch nicht voll entwickelt sind und ihre Nasen nur knapp über Auspuffhöhe liegen, wird selten thematisiert. Gesundheit ist nachrangig.
Nach der Aufdeckung des Kartells steht die Forderung einer neuen Unternehmenskultur im Raum. Ein ethisch-moralischer Wandel muss her, sagt Branchenkenner Stefan Bratzel. Doch die beschworenen Selbstheilungskräfte der Automobilindustrie sind schlicht nicht vorhanden, wie der bisherige Verlauf von Dieselgate zeigt. Vor allem bei VW ist nichts aufgearbeitet worden, entgegen den Versprechungen „schonungsloser Aufklärung und maximaler Transparenz“. Nach den neuen Enthüllungen sind die Konzerne abgetaucht: „Wir äußern uns nicht.“
Wenn die Selbstreinigung eine Fiktion ist, muss der Druck zur Erneuerung der Branche von außen kommen. Verkehrsminister Dobrindt, der zu Recht als „verkehrspolitischer Geisterfahrer“ kritisiert wird, wird diesen Druck sicher nicht entwickeln. Merkel kann den CSU-Mann kurz vor der Wahl aber kaum austauschen, und von selbst wird einer wie Dobrindt niemals zurücktreten. So wird es bis zur Wahl wohl nur bei lautstarken Ankündigungen harter Aufklärung bleiben.
Dabei müsste vor allem die Überwachungs- und Zulassungspraxis neu geregelt werden. Die alte Kontrollbehörde des Kraftfahrtbundesamts ist aufs Engste mit der Industrie verschmolzen. Sie muss aufgelöst werden. Es braucht eine unabhängige Kontroll- und Aufsichtsbehörde mit Beteiligung der Umweltverbände. Es ist ein Unding, dass die Messungen auf dem Rollenprüfstand von den Herstellern durchgeführt werden. Die Zulassung der Neufahrzeuge und die Emissionsmessungen müssen künftig getrennt werden. Das Umweltbundesamt wäre die ideale Behörde für die Emissionsaufsicht. Messungen kämen von unabhängigen Instituten. Unter realistischen Bedingungen.
Die Aufarbeitung dieses Skandals wird uns weitere Jahre begleiten. Am Ende wird eine neue Rekordstrafe stehen. Doch wie lange auch immer sich das Kartellverfahren hinzieht: Das ramponierte Image der deutschen Automobilindustrie wird diesen Zeitraum deutlich überdauern.
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