1 „Diese Welt ist ein Schlachthaus – wer braucht glückliche Songs?“ So äußerte sich Leonard Cohen einmal über seine Rolle in der bunten Welt der Musikindustrie, die damals noch fast so gut dastand wie ihre Schwester, die Waffenindustrie, und längst noch nicht so kritisiert wurde wie auch damals schon die Nahrungsmittelindustrie. Cohen brachte das, wie so oft, zusammen. Er sah weit in die Zukunft. „I’ve seen the future, brother, it is murder.“ Dementsprechend nannte man ihn schon früh einen Schlachter der Verzweiflung („grocer of despair“) oder den Gottvater des Düsteren („godfather of gloom“).
2 Cohen bekam mit 22 ein Stipendium von 2.000 Dollar, kaufte sich ein Haus auf der griechischen Insel Hydra für 1.500 Dollar (ohne Wasser und Strom), wo er anfangs von 1.000 Dollar im Jahr leben konnte.
3 Joni Mitchell bemerkte einmal, Cohen habe mindestens auf den Ausdruck „naked body“ eine Art Patent, denn der käme in jedem seiner Lieder vor. Später trieb Cohen auch Spott mit den eigenen Erotismen: „Jeder hält dich für diskret, ich weiß, es gab ’ne Menge Leute, die du treffen musstest – ohne etwas an ...“!
4 Eins seiner schönsten Lieder beendete er mit der Brieffloskel „Sincerely L. Cohen“. Bei Telefongesprächen soll er sich gern mit dem Gruß „So long“ verabschieden, und man ergänzt unwillkürlich dies „... Marianne“ und macht dann den Chor mit.
5 Seine künstlerische Karriere begann er in Kanada als Schriftsteller, und sein früher Freundeskreis bestand aus Kollegen. „Jedes Mal, wenn wir uns trafen, hatten wir das Gefühl, dies sei eine Grenzziehung in der Geschichte der Dichtkunst, wenn nicht gar des Denkens überhaupt.“
6 Musikmachen, Liederschreiben, das war für ihn zunächst erst eine leichtere Art, an Geld zu kommen. „Sind Sie nicht ein bisschen über die Zeit“, fragten die Clubveranstalter den 32-Jährigen, als er sich um erste Auftritte bemühte. Mit seiner ersten LP und dem Markenzeichen-Lied Suzanne kam aber der Erfolg in kürzestmöglicher Zeit, und schon 1970 beim Festival auf der Isle of Wight (dem vielleicht größten Open Air der Popgeschichte) war der Veranstalter Ronnie Faulk entsetzt über Cohens Gagenforderung. Die er aber erfüllt bekam – und im Gegenzug den übernächtigten, berauschten Massen im Morgengrauen einen unvergesslichen Auftritt voll Poesie, Rätseln und lunatischer Stille lieferte.
7 In seiner Frühzeit als Bühnenmensch tobte Cohen sich aus, suchte die Reaktion. „Wollt ihr den totalen Krieg?“, rief er 1972 im Berliner Sportpalast dem Publikum entgegen – Joseph Goebbels hatte das am gleichen Ort auch schon gefragt, und man wusste nicht, ob er nun ein pathetisches „Nein!“ hören wollte, ein Lachen, oder was? Er wusste das vielleicht selber nicht. Charlie Daniels, sein Gitarrist, flüsterte jedenfalls dem Bandleader Johnston zu, er werde jetzt gleich die Bühne verlassen, vielleicht werde hier noch geschossen. Johnston flüsterte zurück: „Du bleibst. Wenn sie schießen, dann auf Lenny, nicht auf uns.“
8 Stets war Cohen als Künstler eher in Europa zu Hause, da nutzte es wenig, dass er mit Frau und Kindern auch einmal nach Nashville zog. Später lebte er eine Zeitlang in Paris. Seinem Lieblingsdichter, dem Spanier Federico García Lorca, setzte er mit der Übertragung eines Gedichts ein Hör-Denkmal: Take This Waltz ist zugleich auch eine Hommage an das Wien der Zeit vor den Kriegen – von dem es zum Prag Franz Kafkas und Gustav Meyrinks nicht weit ist. Cohen brauchte, nach eigener Angabe, 150 Stunden für die Übersetzung. Das Lied erschien zunächst auf einem Sampler, den die spanische CBS zu Ehren von Lorca herausgab, „Poetas in Nueva York“.
9 Gefragt nach seinem Rang unter den Dichtersängern, gab Cohen einmal zu bedenken, man messe sich da ja nicht nur mit Zeitgenossen wie Randy Newman („who’s fine“) oder Bob Dylan („who’s sublime“), sondern auch mit Gestalten wie dem König David, Homer, Dante, Milton oder Wordsworth, also „Verkörperungen von höchster Möglichkeitskraft“. Angesichts dessen sei es nicht besonders bescheiden, wenn man sich selbst als „modest poet“, als mäßig begabten Dichter, bezeichne.
10 Aber: „Ich empfinde das enorme Glück, davon leben zu können, und dass ich nie ein Wort haben schreiben müssen, das ich nicht schreiben wollte.“
11 Hören wir den Meister weiter: „Als ich davon schrieb, dass ich Hank Williams hundert Stockwerke über mir husten höre im ‚Tower of Song‘ (dem Turm der Lieder), da drückte sich keine falsche Bescheidenheit darin aus. Ich kenne den Platz, den Hank Williams einnimmt in der Geschichte der Populärmusik. Your Cheatin Heart – solch ein Lied ist erhaben und schafft sich seine eigene Tradition. Daran gemessen fühle ich mich als sehr mittelmäßiger Schreiber. Ich habe ein bestimmtes Territorium besetzt, das will ich bewahren und verwalten mit all meinen Fähigkeiten. Ich will es behalten und pflegen, bis ich zu schwach dazu sein werde. Aber ich weiß auch, wo auf der Karte dies Territorium liegt.“
12 Als Cohen sich einmal mit Bob Dylan zum Essen traf, lobten sie sich gegenseitig. Sein Lieblingslied des anderen sei „Halleluja“, sagte Dylan, er singe es manchmal auch selbst. Und seins sei dies I and I, bekannte Cohen. Wie lange er für Halleluja gebraucht habe, fragte Dylan. Cohen zögerte, sagte dann: „Zwei Jahre“ und wusste, dass er untertrieb, denn eigentlich hatte es eine Vorfassung dazu schon elf Jahre vorher gegeben, und die hatte auch schon so einige Umformungen erlebt. Dylan zog die Augenbrauen zusammen. „Und I and I?“, fragte Cohen vorsichtig. „20 Minuten, ’ne halbe Stunde vielleicht.“
13 Das Gedicht Der Gott verlässt Antonius des griechisch-ägyptischen Poeten Konstantin Kavafis von 1911 inspirierte Cohen zu seinem Lied Alexandra Leaving. Der Abschied von der antiken Stadt Alexandria in Kavafis’ Versen ist in den Namen der Verschwindenden bei Cohen transponiert – eine Feier des Entlegenen.
14 „Leonard, we know, you’re great, but we don’t know if you’re any good“, so empfing der Chef der CBS Cohen Ende der 70er, um ihn wissen zu lassen, dass man sein neuestes Album in den USA erst einmal nicht veröffentlichen werde. Neun Jahre später, bei einer Preisvergabe wegen mehrerer Millionen verkaufter Alben in Europa, dankte Cohen den Angestellten der gleichen Firma mit den Worten: „Mich hat die Bescheidenheit eures Interesses an meinem Werk immer tief gerührt.“
15 In Tower of Song von 1988 singt Cohen auch davon, dass er mittlerweile Schmerzen habe an Orten (des Körpers), an denen ihm früher nach Spielen zumute gewesen sei. Jahre später von seinem Freund, dem Autor Tim de Lisle, danach gefragt, wie es jetzt mit diesen Orten stände, antwortete er: „I can’t even locate them.“
16 Tower of Song heißt auch eine frühe Tribut-CD mit Liedern des singenden Dichters und Zen-Mönchs. Die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die ihn verehren, ist sicher vierstellig. Unvermeidlich vorneweg geht Bono, den Cohen nicht so schlagkräftig abwimmeln konnte, wie es Bob Dylan gelang. Aber die wahren Förderer des kanadischen Sängers sind immer die Frauen gewesen: Jennifer Warnes, Rebecca De Mornay, Anjani Thomas. Judy Collins soll ihn ‚entdeckt‘ haben, jedenfalls sang er ihr am Telefon mehrere Lieder vor, als er noch schriftstellerte, und sie holte ihn sofort zu sich auf die Bühne. Anjelica Huston, die 1995 ein Porträt über ihn verfasste, nannte ihn dort „teils Wolf, teils Engel“. Das kurze Abenteuer mit Janis Joplin hat er selbst verewigt: „I remember you well in the Chelsea Hotel“. Anonsten gilt: „I never discuss my mistresses or my tailors.“
17 Vorbei ist die Zeit, in der Leonard Cohen von dem Produzenten Phil Spector quasi gekidnappt werden konnte und gezwungen, mit ihm zusammen Songs zu schreiben – in einer inneren Verfassung, die „post-wagnerianisch war, ich würde sogar sagen hitlerisch“.
18 Vorbei auch die Zeit, wo ihn eine weitere „mistress“, die Managerin und Finanzberaterin Kelley Lynch Cohen, die sich in Kalifornien in einem Mönchskloster aufhielt, still und leise um sein Vermögen brachte. In gewisser Weise, in einem der manchmal perversen Drehs des Schicksals, verdankt die Öffentlichkeit ihr das Bühnen-Alterswerk des Dichters, denn seit 2008 befand sich Leonard Cohen mehrere Jahre lang auf einer triumphalen Welttournee – die der Mann im achten Lebensjahrzehnt so ganz sicher nicht mehr geplant hatte. Sogar eine CD (Old Ideas) warf das Tourleben ab.
19 Und jetzt kommt noch eine neue CD. Popular Problems erscheint pünktlich zwei Tage vor seinem 80. Geburtstag.
20 „Da ist ein Riss in jedem Ding“, heißt es in Anthem, dem Hymnus von 1992, „so kommt das Licht herein.“ – „Diese Zeilen kommen dem am nächsten, was ich ein Credo nenne. Diese Idee ist das Fundament vieler Lieder von mir.“
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