Vom ‚Land-Title‘ zum ‚Sea-Title‘. Aufteilung, Besitz und Ausbeutung der Weltmeere.

30% für "Biodiversität". Kolonialisierung der Ozeane? UN-Delegierte erzielen historische Einigung zum Schutz und zur Nutzung der marinen Biodiversität in internationalen Gewässern.

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Die Welt befindet sich auf dem Weg zur Aufteilung und dem legalistischen Besitz der Weltmeere durch den industrialisierten Kapitalismus, in seinen gegenwärtigen West- und Ost-Varianten.

UN-Delegierte erreichten im März 2023 eine historische Einigung zum Schutz und der Nutzung der marinen Biodiversität in internationalen Gewässern.

Die Vereinbarung, die von den Delegierten der zwischenstaatlichen Konferenz über die Biodiversität der Meere in Gebieten außerhalb der nationalen Hoheitsgewalt, besser bekannt unter dem Akronym BBNJ, erzielt wurde, ist der Höhepunkt der von den Vereinten Nationen unterstützten Gespräche, die 2004 begannen.

Der neue Rechtsrahmen, der auch als „Hochseevertrag“ bezeichnet wird, würde 30 Prozent der Weltmeere in Schutzgebiete stellen, mehr Geld in den Meeresschutz stecken und den Zugang zur Nutzung mariner, auch genetischer, Ressourcen abdecken.

Vom ‚Land-Title‘ zum ‚Sea-Title‘.

Damit ist der neue UN-Rechtsrahmen zur Biodiversität der Meere in Gebieten außerhalb der nationalen Hoheitsgewalt der strategische und legalistische Richtungsgeber zur Aufteilung, zum Besitz und zur Ausbeutung der Weltmeeresgebiete, die sich zurzeit außerhalb der verschiedenen nationalen Hoheitsgebiete befinden.

In nicht allzu ferner Zukunft werden „Sea-Titles“, analog zum Handel mit Landbesitz, auf den Real Estate- und Rohstoffmärkten auftauchen.

Die Welt wird einen „Run“ auf die arktischen und antarktischen Meeresgebiete erleben, besonders da, wo Land-, See- und Rohstoffinteressen miteinander gekoppelt sind, oder wo sich neue Möglichkeiten des militärischen Ausbaus und einer militärisch-industriellen Expansion abzeichnen.

Die legalistische, räumliche Aufteilung von Erdoberfläche ist ein altes Mittel der Kolonialisierung der Welt und der formale Wegbereiter für die Expansion der kapitalistischen, industriellen Produktionsverhältnisse.

Wie jedoch schon die deutsche Partei der Grünen in ihrer jüngeren politischen Entwicklung aufzeigt, sind auch große internationale Umweltorganisationen inhaltlich nur noch wenig in der Lage, Ökologie und Artenschutz fachlich-thematisch von der Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen durch kapitalisierte ‚Wachstumsprozesse‘ zu trennen.

Verschiedene, allgemein und öffentlich unzureichend akzeptierte Formen der Umwelt-Zerstörung, werden schon seit vielen Jahrzehnten durch globale Lager-, Aufbewahrungs- und Retentionsräume in sogenannten Schutzzonen und Reservaten der (meist zeitlich bedingten) direkten Wachstums-wirtschaftlichen Ausbeutung entzogen.

Kein qualitativer oder quantitativer Erhalt von Ökosystem und Biodiversität.

In fast allen Fällen hat dies keineswegs zum qualitativen oder quantitativen Erhalt von Ökologie und Biodiversität beigetragen, außer in Kernflächen von sehr großen Schutzgebieten, weit außerhalb formeller und informeller Nutzungsmöglichkeiten durch die Spezies ‚Homo economicus‘ und deren Aktienhändlerinnen.

Die größtenteils vermuteten synergetischen Schutzeffekte von Bio-Reservaten sind in der Regel genauso schwierig zu finden und kaum wissenschaftlich nachzuweisen, wie auch die ebenfalls vermuteten GHG-Reduzierungen durch die Emissionszertifizierung im Klimawandel.

Im Grunde genommen wird hier dem Konzept des Zertifikatehandels der Umwelt nur eine neue, kapitalisierbare Schale hinzugefügt, anstelle der Atmosphäre diesmal jedoch durch die Oberfläche und den Inhalt der Ozeane.

Die anvisierte 30%-Planung wird auch dadurch verunmöglicht, dass sich die ökologisch notwendige Vernetzung der Biosphäre regional und global praktisch so nicht realisieren lässt. Planet Erde ist nicht nur eine Synthese verschiedener ökologischer Subsysteme, sondern ein eigenes, terrestrisches Ökosystem an und für sich.

Hier werden Horden von Juristen, xyz-Wirten, Haushaltsverwalterinnen und Buchhaltern im zukünftigen ‚Planungsdialog‘ ihre Papiere schwenken.

Das Ergebnis der UN-Konferenz ist ein Sieg für den internationalen Multilateralismus der industriellen Konsumgesellschaft, aber nicht für die politische, terrestrische und maritime Ökologie in unserer Mitwelt.

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Manfred Staab, Geograf und Geo-Ökologe, Mekong River Basin

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Referenzen:

https://www.un.org/bbnj/

https://news.un.org/en/story/2023/03/1134157

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Geschrieben von

man.f.red

„Wenn einer, der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint, daß er ein Vogel wär, so irrt sich der.“ ... permakultur@startmail.com

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