Der lange Schatten der Partei

Wahlen in Angola Zum dritten Mal nach dem Bürgerkrieg konnte das Volk wählen. Zwar gab es keinen Machtwechsel, doch wird die Regierung nicht so weitermachen können wie bisher.

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Wahlsieger Joao Lourenco. Er wird nicht so weitermachen können wie bisher
Wahlsieger Joao Lourenco. Er wird nicht so weitermachen können wie bisher

Foto: AMPE ROGERIO/AFP/Getty Images

Die auf Pickups und in PKWs durch die Straßen preschenden Aktivisten in knallroten T-Shirts halten die vier Finger der rechten Hand empor, um auf Platz 4 der Wahlliste hinzuweisen – dort, wo das Kreuz für die Regierungspartei MPLA zu machen ist. Die Machtverhältnisse im Lande wurden bereits zu Beginn des Wahlkampfers deutlich: Transparente, Plakate und Fahnen stammten so gut wie ausschließlich von der MPLA, nur vereinzelt waren Flaggen oder Pamphlete von UNITA, CASA-CE oder einer der anderen drei zur Wahl angetretenen Parteien zu sehen. Es sind die dritten Wahlen nach dem im Jahr 2002 erfolgten Ende des Bürgerkrieges, doch die ersten ohne eine Beteiligung des seit 1979 amtierenden Präsidenten José Eduardo dos Santos, der bereits Ende 2016 angekündigt hatte, nicht erneut kandidieren zu wollen – nicht ohne sich vorher noch einmal zum Vorsitzenden der MPLA wählen zu lassen.

Er hinterlässt seinem Nachfolger ein schwieriges Erbe: Der Absturz des Erdölpreises, der sich Anfang 2015 auf unter 50 Dollar pro Barrel halbierte, legte die Schwächen der angolanischen Wirtschaft gnadenlos offen. Die Abhängigkeit von den Erdölerlösen traf Angola an der Achillesferse. Binnen weniger Monate kehrten die Malaisen der Vergangenheit wieder: Inflation und Teuerung bei den Grundnahrungsmitteln sowie der Verfall der Währung Kwanza, die auf den Straßen nun wieder für weniger als die Hälfte des Bankkurses gegen Dollar oder Euro zu haben ist. Die aus den vorangegangenen Boomjahren stammende Fata Morgana, Luanda in ein zweites Dubai verwandeln zu wollen, löste sich in Luft auf. Fatal ist zudem, dass die Landeswährung ihre internationale Konvertierbarkeit eingebüßt hat, was die auf Importe angewiesenen Unternehmen und Institutionen in Bedrängnis bringt. Und das sind so gut wie alle.

Der Fluch von Erdöl und Diamanten

Wie nicht anders zu erwarten, entschied die MPLA die Wahlen am 23. August für sich, mit immer noch schmeichelhaft anmutenden 61,5%, doch immerhin muss die Regierungspartei 25 Sitze im Parlament räumen. Der ewige Rivale UNITA – die ihre Machtbasis im Ovimbundu-Volk des zentralen Hochlandes hat – kam auf 26,6% und das von der UNITA abgespaltene Wahlbündnis CASA-CE auf knapp 10%. Der designierte Nachfolger von Langzeitpräsident dos Santos ist Verteidigungsminister João Lourenço, Jahrgang 1954, mit einem für MPLA-Altkader mustergültigen Lebenslauf: Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen, Studium an der Lenin-Militärakademie in Moskau, Teilnahme am Bürgerkrieg, Bekleidung diverser Ämter in Partei und Armee. Lourenço wird alle Hände voll zu tun haben, will er Angola ernsthaft aus der Abhängigkeit vom Erdöl- und Diamantenhandel befreien, die ihre Wurzeln in dem langjährigen Bürgerkrieg hat.

Als nach der Lissabonner Nelkenrevolution im April 1974 klar wurde, dass Portugal seine afrikanischen Kolonien aufgeben würde, kam es 1975 nach der Unabhängigkeitserklärung Angolas zum Exodus der halben Million portugiesischer Siedler, die meisten über eine von der portugiesischen Regierung organisierte Luftbrücke. Die öffentliche Verwaltung Angolas verwaiste ebenso schlagartig wie Handelsniederlassungen, Krankenhäuser, Hafenanlagen und Flughäfen sowie die Kaffeepflanzungen und Viehfarmen des Hinterlandes. Die gesamte Wirtschaft des Landes, vor dem Krieg viertgrößter Kaffeeexporteur der Welt und Lieferant von Mais, Sisal und Medizinalpflanzen, brach zusammen. Aus im Bau befindlichen Gebäuden und Hochhäusern wurden verwertbare Armaturen und Baumaterialien herausgerissen und mitgenommen. Kaum jemand hat das surrealistische Szenario der zur Geisterstadt mutierenden angolanischen Hauptstadt Luanda eindringlicher beschrieben als der damalige polnische Afrikakorrespondent Ryszard Kapuściński in seinen Impressionen „Wieder ein Tag Leben“.

Allein das rasch zu vermarktende Erdöl und die Diamanten waren noch verfügbar und wurden zum Treibstoff des nun folgenden 27jährigen Bürgerkrieges. Bis zum Ende des Krieges im Jahr 2002 sollten dies die beiden einzigen verlässlichen Einnahmequellen bleiben, nachdem das einst fruchtbare und ertragreiche Hinterland durch Minenverlegung und Verwüstung von Dörfern und Äckern sowie Sprengung von Brücken und Eisenbahnanlagen zerstört worden war.

Der steinige Weg zur Zivilgesellschaft

Die drei verfeindeten Gruppierungen MPLA, UNITA und FNLA legten 2002 die Waffen nieder und mutierten zu politischen Parteien. Die MPLA ging als Sieger aus dem verheerenden Bürgerkrieg hervor, der auch ein Stellvertreterkrieg der Großmächte um Erdöl, Diamanten und weltstrategische Positionierungen war. Sie wurde 1975 nicht nur zur marxistisch-leninistischen Einheitspartei sondern zum Synonym der neuen Volksrepublik. Nicht zufällig gleicht die Fahne der MPLA der Nationalflagge - der man nur Buschmesser und einen Zahnkranz hinzufügen musste. Nach dem Kollaps der Sowjetunion wandelte sie sich zu einer sozialdemokratischen Partei.

Die MPLA wird die einst blutig erkämpfte Alleinherrschaft über das Land mit den anderen Parteien allmählich teilen müssen. Noch werden politische Führungsposten zumeist von ehemaligen Militärs besetzt. Angola hat im Vergleich zur Mehrzahl der Länder Afrikas hervorragende Entwicklungsbedingungen: Es gibt - mit Ausnahme der aus allen Nähten platzenden Hauptstadt - keine Überbevölkerung, denn auch wenn die Geburtenrate eine der höchsten weltweit ist, so ist Angola mit 26 Millionen Einwohnern auf 1,2 Mill qm² eher dünn besiedelt. Der Großteil des Landes ist fruchtbar und verfügt über genügend Wasser. Trotz seiner kulturellen Vielfalt gibt es keine gewalttätigen ethnischen oder religiösen Konflikte. Das Narrativ einer glorreichen MPLA, die das Land unter großen Opfern durch den Krieg geführt und ihm schließlich den Frieden gebracht hat, ist zum Allgemeingut geworden.

Die Stimmen der Jugend

Doch ein Großteil der Jugend hat die Heldenepen aus dem Bürgerkrieg und die Durchhalteparolen der alten Kameraden satt. Für sie ist der vor 15 Jahren zu Ende gegangene Krieg ebenso weit weg wie die portugiesische Kolonialzeit, mit der hin und wieder noch versucht wird, aktuelle Mißstände zu erklären. Die jungen Leute wollen eine Perspektive für ihr Leben, Ausbildung und Berufschancen. Der Fall des Hip-Hoppers Luaty Beirão aka Ikonoklasta ist paradigmatisch für den Generationenkonflikt, der seit geraumer Zeit in der Gesellschaft brodelt. Einer privilegierten MPLA-Familie entstammend, studierte Beirão in England und Frankreich. Im Laufe der Aktivitäten gegen den Irakkrieg begann er sich zu politisieren und kam in Berührung mit regierungskritischen Kreisen, die sich zunehmend repressiven Maßnahmen ausgesetzt sahen. Im Juni 2015 wurde Beirão schließlich selbst mit einer Gruppe von Freunden festgenommen und wegen Vorbereitung eines Staatsstreiches angeklagt.

Aus Protest traten die Gefangenen in den Hungerstreik. Die portugiesischen und andere internationalen Medien griffen den Fall auf und sogar der portugiesische Botschafter besuchte Beirão im Gefängnis. Die regierungsnahe angolanische Presse prangerte den „anti-angolanischen Kreuzzug“ an. Im Juni 2016 schließlich verfügte das Oberste Gericht von Luanda die Freilassung von Luaty und seinen Freunden, wenn auch unter Auflagen. Die Staatsmacht hatte die Muskeln spielen lassen, doch Beirão und seine Mitstreiter verließen die Arena erhobenen Hauptes.

Harte Herausforderungen

João Lourenço hat im Wahlkampf zu erkennen gegeben, dass er die Zeichen der Zeit zu deuten versteht. Die dringend notwendige Diversifizierung der Wirtschaft, vor allem der Landwirtschaft verspricht er mit Krediten und anderen Fördermaßnahmen für kleine und mittlere Unternehmer in die Wege zu leiten: Noch immer werden mehr als 80% der Nahrungsmittel importiert, ein angesichts des Potentials des Landes abnormaler Zustand. Modelle für eine positive Entwicklung stehen bereit: Das weitaus ärmere Mosambik hat seine Landwirtschaft mit gut durchdachten Planungsmaßnahmen vorangebracht. Im Bereich Tourismus könnten Namibia und Südafrika Erfahrungswerte liefern während Ruanda beim Umweltschutz neue Maßstäbe setzt.

Die künftige First Lady könnte zur Synergie eines allmählichen Wandels beitragen: die studierte Ökonomin war für die Southern Africa Development Community und die African Development Bank tätig und war zudem Entwicklungsministerin Angolas. Welchen Weg der neue Präsident auch beschreiten wird, eines ist klar: marxistische Experimente oder sozialistische Heilsverkündungen wird es in der angolanischen Politik nicht mehr geben. Die Erfahrungen mit der in den 70er und 80er Jahren von sowjetischen und osteuropäischen Entwicklungsexperten importierten Planwirtschaft und Kollektivierung waren so desaströs, dass sich Anknüpfungspunkte nicht mehr anbieten.

Und die EU mit ihren neuen Marshallplänen für Afrika - an denen Afrikaner nicht mitgewirkt haben - ist mitunter ebenfalls sehr weit von den Realitäten des schwarzen Kontinents enfernt.



Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Manuel Negwer

Autor und Musiker, 2012-2015 Leiter des Goethe-Instituts Pakistan, 2015-2018 Leiter des Goethe-Instituts Angola.

Manuel Negwer

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