Kriegsschiffe statt staatliche Seenotrettung

EU-Außenpolitik Werteunion oder Militärunion? Die EU ersetzt ihre die Mission Sophia auf dem Mittelmeer durch einen maritimen Militäreinsatz zur Kontrolle des Waffenembargos gegen Libyen

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Ein Mann auf der Flucht vor den libyschen Soldaten
Ein Mann auf der Flucht vor den libyschen Soldaten

Foto: Alessio Paduano/AFP/Getty Images

Die von der EU geführte, multinationale Operation «Sophia» auf dem Mittelmeer gilt als endgültig beendet. Auf Grund der nach wie vor ungeklärten Verteilungsfrage aus Seenot geretteter geflüchteter Menschen, wurde der Einsatz seefähiger Einheiten bereits im letzten Jahr ausgesetzt. Die darauf folgenden politischen Uneinigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten der EU besiegelten das faktische Ende der staatlichen Seenotrettung, eine Wiederaufnahme von «Sophia» als Rettungsmission wurde nun ausgeschlossen. Allerdings konnten sich die europäischen Außenminister*innen auf einen neuen militärischen Marineeinsatz einigen, welcher sich deutlich von der vorangegangenen Operation unterscheiden wird: Ziel der neuen Mission sei die Kontrolle des Waffenembargos gegen Libyen auf der östlichen Route des Mittelmeers und das Aufspüren libyscher Waffenhändler*innen. Eine humanitäre Mission vermeide die EU nach eigenen Angaben bewusst, um «den Missbrauch der neuen Mission durch Menschenschmuggler» vorzubeugen. So bleiben zivile Organisationen weiterhin die einzigen (ehrenamtlichen) Seenotretter*innen auf dem Mittelmeer.

Diese Aussage der EU-Außenminister*innen sollte aus mindestens zwei Gründen vehement kritisiert werden: auf Grund der europäischen Scheinheiligkeit in Hinblick auf die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte, sowie der zunehmenden Militarisierung der EU-Außengrenzen im Zuge einer rasch voranschreitenden Politik der Abschottung. Die Europäische Union scheut nicht davor zurück, an die internationale Einhaltung fundamentaler Menschenrechte zu appellieren und Verletzungen ggf. umgehend zu sanktionieren. In diesem Sinne kann ein Konzept zum Einsatz und zur Koordination europäischer Marineeinheiten innerhalb kürzester Zeit konsensfähig erarbeitet werden. Die Verteilung der aus Seenot geretteten geflüchteten Menschen stagniert hingegen seit Jahren und hat mittlerweile ein drastisches Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen provoziert. Die Hypokrisie europäischer Mitgliedstaaten und die humanitäre Krise auf dem Mittelmeer bzw. in den europäischen Grenzregionen erzählen ein und dieselbe Geschichte verantwortungsloser EU-Außenpolitik.

Das Argument der ungeklärten Verteilungsfrage baut zudem auf brüchigem Fundament. Allein in Deutschland haben sich unzählige Städte, Gemeinden und Kommunen zur freiwilligen Aufnahme geflüchteter Menschen bereit erklärt. Sie weisen ausreichend ökonomische und personelle Kapazitäten vor, um mehr Menschen aufnehmen zu können als der Königsteiner Schlüssel vorschreibt - und möchten diese Kapazitäten nutzen, um geflüchtete Menschen und Migrant*innen zu unterstützen. Ebenso versucht die Zivilgesellschaft immer wieder, dieser Bereitschaft Gehör zu verschaffen. Das wurde am 08. Februar 2020 durch den überregionalen Aktionstag #WirHabenPlatz der SEEBRÜCKE erneut deutlich. Doch die Aufnahmebereitschaft der Kommunen blieb bisher ohne Resonanz von Seiten des Bundesministeriums des Innern. Während Menschen unter katastrophalen Zuständen in überfüllten Flüchtlingslagern wie Moria auf Lesbos hausen müssen, ignoriert die EU vorhandene Kapazitäten, sowie die politischen Forderungen der Zivilgesellschaft. Dies kann durchaus als fahrlässiges und verantwortungsloses Verhalten der Entscheidungsträger*innen bezeichnet werden. Es steht außer Frage, dass der langfristigen Verteilung geflüchteter Menschen eine Entscheidung auf europäischer Ebene vorangehen muss. Doch so lange die EU in einem handlungsunwilligen Zustand verharrt, gilt es sich der kollektiven Amnesie und Verantwortungsdiffusion zu widersetzen, die eigenen ökonomischen Kapazitäten endlich ernst zu nehmen, sowie freiwillige Verteilungsschlüssel zu institutionalisieren. So würden nicht nur rudimentäre Menschenrechte eingehalten und die europäischen Grenzregionen entlastet werden (Stichwort «europäische Solidarität»), sondern auch eine demokratischere und verantwortungsvollere Politik gestaltet.

Laut den europäischen Regierungen führte nicht nur die stagnierende Verteilungsfrage zur Beendigung der Mission «Sophia», sondern ebenso die Plausibilität des «Pull-Effekts»: durch die staatliche Seenotrettung wären lediglich weitere Anreize zur illegalen Flucht über das Mittelmeer geschaffen worden. In diesem Sinne würden die maritimen Elemente der neuen militärischen Mission erneut abgezogen, sollten sich die Bedenken des «Sogfaktors für Flüchtlinge» bestätigen, so der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg. Diese Korrelation blendet nach wie vor die eigene Verantwortung für Fluchtursachen, sowie die fehlenden legalen und sicheren Fluchtrouten aus. Möchte die neue Militärmission dem internationalen Seerecht gerecht werden, so werden ihre Kriegsschiffe sehr wohl Menschen aus Seenot retten müssen. Die gefährliche Flucht über das Mittelmeer ist und bleibt Realität, denn laut Dublin III Verordnung ist das Überwinden der Grenzkontrollen immer noch die einzige Möglichkeit, in einem europäischen Staat Asyl zu beantragen. An dieser Stelle Bedenken hinsichtlich eines möglichen «Sogfaktors» oder «Pull-Effekts» zu äußern, ist daher mehr als prätentiös.

Zum anderen sollten berechtige Zweifel an der neuen militärischen Mission aufkommen, denn diese unterstützt die inkrementell verlaufende Militarisierung der EU und befeuert den globalen Trend der Kriegsbereitschaft. Die Entscheidung, «Sophia» zu beenden und durch eine militärische Marinemission zu ersetzen, erfolgt daher in Einklang mit der gewohnten Apathie europäischer Migrationspolitik und ist zugleich bezeichnend für den neu etablierten Politikstil der Europäischen Union: Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen intendiert eine auf hard power basierende «geopolitischen Kommission», während ihr spanischer Amtskollege Josep Borell erklärt, dass die EU «lernen müsse, die Sprache der Macht einzusetzen». Die Ausgaben für Sicherheit- und Verteidigung der EU steigen immens und mit einem 13 Mrd. Euro schweren europäischen Verteidigungsfond schafft die EU nun erstmals Anreize für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik. Dass die «Festung Europa» bereits grausame Realität ist, verdeutlichen u.a. die alarmierend hohen öffentlichen Ausgaben für Grenzsicherung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Während die maritime Grenze des Mittelmeers auf diese Weise zu einem Massengrab für Migrant*innen und Geflüchtete wurde, die durch die Abwesenheit sicherer und legaler Fluchtwege zur der gefährlichen Flucht über das Mittelmeer gezwungen sind, profitieren vom «Business of Building Walls» andere: die Lobby (v.a. European Organisation for Security (EOS) und European Association for Biometrics (EAB)), die Rüstungsindustrie, die Sicherheits- und IT-Branche, sowie diejenigen Unternehmen, welche die Landes-, See- und virtuellen Grenzen der EU schließlich installieren.

Humanität gegen Militär. Kriegsschiffe statt staatliche Seenotrettung. Man kann die Banalität des Versagens der Europäischen Union nicht oft genug wiederholen: die Rettung in Seenot geratener Menschen ist von einer zivilen Seenotrettung abhängig, die rechtlich nicht geschützt, sondern zum Teil kriminalisiert wird. Statt eine staatliche Rettungsmission zu initiieren, wird das Mittelmeer weiter militarisiert. Flucht und Asyl werden zunehmend delegitimiert und Menschenleben zu Gunsten von Machtpolitik und Narzissmus europäischer Mitgliedstaaten geopfert. Die EU macht sich humanitärer Verbrechen an ihren Grenzen schuldig und die gleichgültige Bevölkerung stimmt der Militarisierung und Abschottungspolitik schweigend zu.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marah Frech

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