Bereit für den Hass

Palästina Wer hat die Siedler getötet? Pierre Pouchairet wagt sich in seinem Buch in ein politisches Minenfeld
Ausgabe 45/2019
Palästinensische Jugendliche, mit Steinen bewaffnet
Palästinensische Jugendliche, mit Steinen bewaffnet

Foto: Abbas Momani/AFP/Getty Images

Als Hintergrund für einen Kriminalroman ist der Nahostkonflikt bislang auffällig selten genutzt worden. Dabei eignet sich das Genre hervorragend dazu, ein Brennglas auch auf diese heillose Gemengelage zu werfen und anhand eines fiktionalen Verbrechens den einen oder anderen Sachverhalt zu erklären, Perspektiven und Dilemmata zu zeigen.

Beim Nahostkonflikt ist dieses Unterfangen jedoch vergleichbar mit einem Gang über ein Minenfeld. Alle Beteiligten wollen Opfer sein und das Krimigenre lebt schließlich davon, dass es Opfer gibt und die Erzählung dann eine – im besten Fall – überraschende Täterschaft präsentiert. Wer immer also sich am Ende der Krimihandlung als Täter entpuppt, der Vorwurf der Tendenz wird im Raum stehenbleiben. Allein das zu verhindern, so man es denn will, benötigt das Aufbieten eines beträchtlichen erzählerischen Aufwandes, den Pierre Pouchairet für Unheiliges Land auf sich genommen und erstaunlich souverän gemeistert hat.

Der Mord an einer französischstämmigen Siedlerfamilie in einer Siedlung im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Westjordanland löst Ermittlungen aus, die auch einen Beamten des Drogendezernats von Nizza nach Nablus, ins Zentrum des Widerstands gegen Israel, führen.

Schnell fällt der Verdacht auf eine Gruppe junger Palästinenser, und allein schon die Tatsache, dass diese jungen Menschen voller Stolz darauf bestehen, diese grausige Tat wirklich auch begangen zu haben, zeigt die hoffnungslose Verworrenheit der Lage, in der mittlerweile nur noch die Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen zum Hass immer neue Höhen erklimmt. Diese vermeintlichen Täter werden auch am Schluss noch immer in israelischen Gefängnissen sitzen und sich einer Untat brüsten, die sie nicht begangen haben. So etwas passiert ja tatsächlich und ist tatsächlich nur in diesem von Verzweiflung und Gewalt geprägten Umfeld vorstellbar.

In Unheiliges Land, in Frankreich schon 2015 erschienen, beschreibt Pierre Pouchairet die israelische Polizei und den israelischen Militärapparat als kühl pragmatisch operierenden Männerklub, wo Machohaftigkeit und Zynismus die äußersten Grenzen der Humanität gerade noch mal nicht überschreiten. Pouchairet selbst ist kein Laptop-Autor. Bevor er Schriftsteller wurde, absolvierte er eine schillernde Karriere in der französischen Polizei, unter anderem als Innensicherheitsattaché in Kabul und in Kasachstan sowie als Leiter eines Drogendezernats in Nizza.

Nachdem man diesen durchaus spannenden Krimi gelesen hat, präsentiert sich die verfahrene Lage im Nahen Osten in einem neuen Licht, das vielschichtigere Urteile ermöglicht. Allen nur denkbaren Parteien kommt die Leserin oder der Leser näher, vom religiösen Eiferer bis zum steinreichen palästinensischen Oligarchen. Da sind die alltäglichen Kontrollen an Straßensperren, das Auftreten der Armee in seit Generationen stehenden Flüchtlingslagern, der Umgang mit Steine werfenden Halbwüchsigen, die Komplexität von Zuständigkeiten, wenn inmitten dieses dauerhaft schwelenden „Low Profile Conflicts“ dann doch auch noch „ganz normale“ Verbrechen aus Habgier geschehen.

Wunsch nach Rausch

Pierre Pouchairet lebt heute, 62-jährig, in Jerusalem, wo er seit 2013 seine Kriminalromane schreibt, von denen auch mehrere prämiert worden sind. In Unheiliges Land ist es der angesichts des gesamten Konfliktes fast schon banale Drogenhandel, der ebenso banales Gangstertum erzeugt und einen ganzen Reigen Beteiligter – vom einfachen Handlanger über den sein eigenes Klischee zelebrierenden Boss bis zum zerstörten Drogenopfer – auftreten lässt.

Neben der Bereitschaft zum Hass ist wohl der Wunsch nach Rausch eine zweite menschliche Konstante. Die Strukturen, welche die Sucht hervorbringt, stören sich nicht an läppischen Territorialkonflikten oder am Freiheitskampf, vielmehr machen sie sich diese Verwerfungen zunutze.

Info

Unheiliges Land Pierre Pouchairet Ronald Voullié (Übers.), Polar 2019, 380 S., 22 €

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