Bleib mir weg

Kino Angela Schanelec schottet sich mit ihrem neuen Film endgültig von unwürdigen Zuschauern ab
Ausgabe 33/2019

Die Leserschaft dieser Zeitung würde sich sicherlich nur ungern den Ferienbungalow mit zwei Handwerkern aus Berlin-Moabit teilen, die jeden Morgen die Bild-Zeitung lesen. Genauso wie eben diese Handwerker, die im Atelier der Konzeptkünstlerin die sanitären Anlagen neu installieren, das hier überdimensional aus dem Boden ragende Gesicht eines schreienden Mannes kaum eines Blickes würdigen. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist im Grunde zugespitztes Symptom eines tiefen gesellschaftlichen Problems: Ein Gefälle von Bildung, Vermögen, sozialer Kompetenz gab es sicherlich schon immer, jedoch war es nie so leicht wie heute, von den „anderen“ wenig bis gar nichts mehr mitzubekommen.

Gerade das Kino, dessen Bilder auf dem Rummelplatz laufen lernten, konnte einst im besten Fall mit ein und demselben Werk sowohl die simpleren Gemüter wie auch die anspruchsvolleren Zeitgenossen verängstigten oder zum Lachen oder zum Weinen bringen. War ein Film besonders gelungen, erlebte die ganze Gesellschaft, ob arm, ob reich, bildungsfern oder akademisch gebildet, gemeinsam im Kinosaal, vor dem Brennglas der Leinwand, den emotionalen Ausnahmezustand. Und entdeckte dabei, wie ähnlich sich ihre jeweiligen Vertretungen im Grunde sind. Wenn auch die Reichen bei Chaplins Verspeisen eines Schuhes womöglich aus anderen Gründen lachten als die Ärmeren, konnten diese Unterschiede aber im gemeinsamen Kinoerlebnis wenigstens wahrgenommen werden.

Mit der zunehmenden Fragmentierung der Gesellschaft wächst auch der Wunsch, mit Filmen nur noch bestimmte Zielgruppen zu bedienen und in diesem Fahrwasser die nicht „gemeinten“ Milieus gerne auch mal zu verachten. Til Schweiger macht keinen Hehl daraus, dass er von Intellektuellen nichts hält, und er karikiert sie in seinen Filmen mit derselben Unbedarftheit, die sein ganzes Werk durchdringt. Umgekehrt gibt es filmische Erzählschulen, die in ihrer Hermetik und Abschottung das Ausschließen wesentlicher Teile des Publikums regelrecht zum ästhetischen Prinzip erheben. In diesem Milieu wiederum ist das Kino mehr ein Mittel der Distinktion als ein an sinnsuchende Zuschauer gewandtes Medium. Hier richtet man sich bevorzugt nur noch an Eingeweihte. Wer die Codes nicht deuten, das Maß der Verfremdung nicht mehr im richtigen Diskurs unterbringen kann, bleibt außen vor.

Konzept als Korsett

Mit Ich war zu Hause, aber ... ist Angela Schanelec nun ein echter Präzedenzfall für dieses Kino gelungen. Die in ein rigides konzeptionelles Korsett gezwungene Geschichte ist schnell erzählt und angesichts eben dieser Rigidität womöglich zu vernachlässigen: Ein pubertierender Jüngling ist, offenbar nicht zum ersten Mal, von zu Hause weggelaufen, taucht aber gleich zu Beginn des Filmes wieder auf. Das schwere Atmen der nun zu seinen Füßen knienden Mutter lässt allein durch die Länge dieser Einstellung erahnen, wie lange der Junge verschwunden gewesen sein mag, ist zugleich aber auch Vorschau auf das, was in den nächsten eindreiviertel Stunden auf das Publikum zukommen wird.

Dabei fing alles so vielversprechend an: Der Prolog eröffnet die Geschichte als Tierfabel mit den Mitteln reinsten Kinos und schärft damit die Sinne seines Publikums genauso wie die des darin durch die Landschaft gejagten Hasens. Was dann aber folgt, ist Verweigerung in ihrem ganzen enzyklopädischen Variantenreichtum.

Wir ahnen zwar, dass das Verschwinden des Jungen etwas mit dem Tod des Vaters, eines Theaterregisseurs, zu tun haben könnte. Wir erleben die beschädigte Restfamilie, mit der Mutter an der Spitze, die mit immer verzweifelteren Strategien diese Tragödie bewältigen will; wir verfolgen die Versuche der Aufrechterhaltung von Alltag und begleiten die Mutter als kurz vor dem Zusammenbruch stehende Schutzpatronin ihrer Schützlinge. Doch wir werden gleichzeitig bewusst auf Distanz gehalten. Und das auf eine Art, die in ihrer Aggression dem mutwilligen Verschwinden des Sohnes in nichts nachsteht.

Eben nur Eingeweihten, die wissen, dass Angela Schanelec mit dem vor zehn Jahren verstorbenen genialen Theaterregisseur Jürgen Gosch verheiratet war, und es die gemeinsamen Kinder sind, die hier spielen, gehen diese Exerzitien womöglich nahe. Dem Rest des Publikums wird sich nie erschließen, warum es, nur zum Beispiel, Halbwüchsigen dabei zuschauen soll, wie sie vollkommen lustlos Shakespeare rezitieren. Oder in welcher Verbindung Mutter und Sohn zu einer Gruppe von jungen Menschen stehen, die dekorativ in einem Raum auf Stühlen sitzen und ansonsten nur über einen gewissen Schlaumeier-Habitus, den man aus Theaterkantinen kennt, einzuordnen sind. Dass innerhalb dieser Gruppe noch Rudimente einer Liebesgeschichte angedeutet werden, wirkt geradezu opulent in dieser frugalen, im Kern doch sehr protestantischen Filmmahlzeit.

Nichts spricht dagegen, Filme über Kulturschaffende zu machen. Mit Nuestro Tiempo von Carlos Reygades und Leid und Herrlichkeit von Pedro Almodóvar bereichern gleich zwei sehr gelungene Beispiele für dieses Genre das aktuelle Kinojahr. Die Frage drängt sich jedoch auf, warum der Wille zur Form, die Strenge der vermeintlichen oder tatsächlichen Haltung, dazu führen muss, dass in einem gewissen Kino mit dem Öffnen des roten Samtvorhangs eine gleichsam unsichtbare Markise über die Leinwand gelassen wird, die suggeriert, dass das Erzählte nur ab einem gewissen Bildungsniveau zu deuten ist. Den besten Beleg dieser Symptomatik liefert der Film gleich selbst: Die einzige Person, die sich nicht in diesem Musenstall bewegt, ein Hauswart, der ein schadhaftes Fahrrad im Netz verkauft, spricht, ganz buchstäblich, ohne Stimme. Deutlicher kann man seine Verachtung, oder wenigstens sein Desinteresse an nicht standesgemäßen Mitmenschen kaum zeigen.

Info

Ich war zuhause, aber ... Angela Schanelec Deutschland 2019, 105 Minuten

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