Zwischen Treptower Park und den Hotspots vom Kreuzberger Baller-Tourismus steht am Schlesischen Busch, einem Grünstreifen, der den ehemaligen Todesstreifen noch erahnen lässt, einer der letzten Wachtürme der Grenzanlage der ehemaligen DDR. Ein Solitär, der für eine ganz andere Wachsamkeit steht als die sich um ihn herumtreibende, zwischen Wokeness, Vandalismus und Veganismus oszillierende Jugend. Erbaut aus ganz und gar nicht politisch korrekter Motivation, bildet der Turm einen fast schon erfrischenden, ernsten Gegensatz zu der ihn umgebenden Tiefenentspanntheit.
Tatsächlich befällt einen beim Betreten des Bauwerkes augenblicklich lähmende Beklemmung. Die drei besenkammergroßen Zellen für die provisorische Verwahrung der im Streifen Aufgegriffenen sind dabei noch vergleichsweise harmlos. Es ist die steile Treppenleiter, die hinaufführt, welche einem die Kehle zuschnürt. Sie führt in den ersten fensterlosen Stock, wo nur mit Metallklappen verriegelte Schießscharten etwas Licht hereinlassen würden, während sich im darüber liegenden Geschoss dann ein Panoramablick bietet, der tatsächlich wunderschön sein könnte. Ein in der Decke angebrachter Griff für das auf dem Dach noch sichtbare Gehäuse eines Scheinwerfers trübt den Blick aber ganz konkret ein. Hier war Wachpersonal an der Arbeit. Genauer: die Grenztruppen der DDR – nicht der NVA, sondern der Staatssicherheit untergeordnet. Vom gewöhnlichen Gefängnis in Moabit bis zu den Wachtürmen in KZs reichen die Assoziationen ...
Als die Mauer dann fiel, verschwanden die innerstädtischen Grenztürme schnell, (entlang der Grenze waren es insgesamt 302 Beobachtungstürme). Ich erinnere noch, wie ich während der Studienzeit an der DFFB einen Kurzfilm am heutigen Engeldamm drehte, wo ich einen der Türme als Hintergrund für die Verbrennung eines großen Teddybären nutzte. Was auch immer ich damit symbolisieren wollte; alleine das Filmen eines solchen Turmes lädt einen womöglich gründlich missglückten Film heute mit Bedeutung auf.
Eine vertikale Kunsthalle
Gleich nach der Wende besetzte eine Gruppe um den Liedermacher Kalle Winkler den Turm und richtete mit dem „Museum der verbotenen Kunst“ eine Institution ein, die darin in zehn Jahren über 40 Ausstellungen zeigte. Bereits 1990 beginnt also die kulturelle Nutzung des mittlerweile denkmalgeschützten Bauwerkes, und mittlerweile hält die künstlerische Auseinandersetzung mit seiner Funktion bereits viel länger an als seine genuine Nutzung, die nur gerade von Mitte der 70er Jahre bis 1989 andauerte. Allein diese Tatsache gibt den am 9. September einsetzenden Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Projektes eine gewisse Würze. Bis 2010 war der Turm eine Art von vertikaler Kunsthalle, zum Beispiel mit den Ausstellungen Letzte Überprüfung. Anspielend auf die letzte Überprüfung des Turms 1986, überprüfte die Kuratorin Svenja Moor zwischen 2005 und 2009 Positionen zeitgenössischer Kunst. (Die nächste Überprüfung des Turmes durch die Grenztruppen hätte 1991 stattfinden sollen, wie ein sorgfältig erhaltene Aufschrift verrät.)
Seit 2011 wird der Turm nun – zuerst als AG des Flutgraben e.V., heute vom Verein The Watch – als Residency für Künstlerinnen und Künstler gedacht. Nicht zu verwechseln mit den Retreat-Angeboten, mit denen sich „die Oberschicht“ zwecks Entgiftung ein paar Wochen auf Wasser und Brot setzen lässt. Die entstandenen Arbeiten, die den Turm selber und den Aufenthalt darin verarbeiten, werden von Dominique Hurth, Jo Zahn und Chris Gylee ausgewählt und dokumentiert, sekundiert von einem kleinen Budget. Bedingung ist einzig, dass die Arbeiten am Ende des Aufenthaltes gezeigt werden können. Zuletzt Melanie Jame Wolf und Max Brück, die am 12. September ihre Arbeiten zum Thema „caretaking“ vorstellen werden.
The Watch wirft grundsätzliche Fragen zum Umgang mit Geschichte und ihrem Gedenken auf. Es ist bezeichnend, dass eine Besetzung, also ein gezielte Grenzübertretung, ein solches Projekt erst ermöglichte. Alle anderen Grenztürme, von ihren Erbauern mit Bedacht über das ganze Stadtgebiet verteilt errichtet, sind selbstverständlich verschwunden. Die ständige Erinnerung an Eingrenzung und Bewachung war den nach 1989 frei fließenden Kapitalströmen nicht dienlich. Stattdessen wurden, um es mit dem schottischen Schriftsteller John Burnside zu sagen, „autorisierte Versionen“ von Gedenkstätten eingerichtet. Das Mahnmal als Sehenswürdigkeit. So gelungen das Mahnmal für die Ermordung der Europäischen Juden im Zentrum der Stadt auch ist; einen Rest Unbehagen beschleicht mich noch immer, wenn ich Touristen auf den Stelen herumhüpfen sehe. The Watch greift die Frage auf, ob ein Gedenken, das einhergeht mit der Produktion von Kunst und Gedanken, nicht vielschichtiger wäre, tiefgründiger. In diesen dreißig Jahren „Kulturbewirtschaftung“ des Turmes haben sich – gut dokumentiert – zahlreiche KünstlerInnen einen ureigenen Blick erarbeitet. Und gerade weil so viele Menschen betroffen waren, ist dieser multiperspektivische Blick nachhaltig und relevant. Was wäre, wenn derartige Residencies auch in Auschwitz und Buchenwald eingerichtet würden? Wäre dies eine Möglichkeit, den allmählichen Verlust der Zeitzeugenschaft zu verkraften? Die Künstler würden ihre subjektive Betroffenheit zurücklassen, die in einem Publikum stärker transzendiert und „arbeitet“, als es offenbar leere Ruinen des Schreckens vermögen, die für viele Touristen nur noch die Kulissen für Instagram-Selfies abgeben.
30 Jahre künstlerische Nutzung des ehemaligen Grenzwachturms am Schlesischen Busch Gespräche mit Gästen, Geistern und anderen Erscheinungen, Park Schlesischer Busch
Berichtigung In meinem Artikel über die künstlerische Nutzung des Wachturms am Schlesischen Graben in Berlin, schrieb ich, dass „alle anderen Türme“ verschwunden seien. Dem ist nicht so. Am Potsdamerplatz existiert noch ein restaurierter zu besichtigender Grenz-Wachturm und bei Stasimuseum in Hohenschönhausen steht ebenfalls ein begehbarer Wachturm. Marc Ottiker
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