Von Dr. Feelgood zum fanatischen Katholizismus

Medienwandel Sind Fernsehserien die bessere Literatur? Gelegentlich machen wir hier die Probe aufs Exempel. Heute: „Die Kennedys“ als TV-Drama

Ein ehrgeiziger Vater von vier Söhnen sieht seine Lebensaufgabe darin, den Ältesten zum König zu machen und muss bis zum Ende drei von ihnen zu Grabe tragen; gerade weil sich seine Wünsche erfüllen. Was wie eine griechische Tragödie oder wenigstens ein elisabethanisches Königsdrama klingt, ist die stark verkürzte Zusammenfassung der Geschichte der Kennedy-Familie. In der Mini-Serie The Kennedys wurde 2011 diese Geschichte nun schonungslos aufgearbeitet. Der älteste Sohn fällt im Krieg, also muss J.F., der Zweit­älteste, ran. Ein kränkelnder Hänfling, der den Mangel an Selbstbewusstsein mit Umtriebigkeit in der Damenwelt ausgleicht. So zwanghaft, dass er damit während seiner Präsidentschaft erst recht nicht aufhört. Geplagt von chronischen Rückenschmerzen entsteht in den acht 44-minütigen Folgen der Eindruck, dass der desolate J.F. die Präsidentschaft nur dank seines Bruders Robert und später dank der geheimnisvollen Spritzen von Dr. Feelgood (ja, die Band ist nach ihm benannt) bis zu den verhängnisvollen Schüssen durchstand.

Diesen Spritzen ist schnell auch Jackie zugetan, so dass wir zur Kenntnis nehmen, dass in den wilden Sechzigern selbst im Weißen Haus Junkies zu Hause waren. Ein Grund für Jackies Drogenabhängigkeit: Es wird ihr immer klarer, dass alle Welt von den Schürzenjagden des Gemahls weiß und sie nur mitleidig beäugt wird. Wie die allseits unterschätzte Katie Holmes als Jackie Kennedy hochschwanger und von tiefer Melancholie an einer Zigarette zieht, gehört zu jenen Bildern in diesem kleinen Juwel, die man nicht so schnell vergisst. High Society und Subproletariat liegen plötzlich nur einen Wimpernschlag auseinander.

Die Ikone demolieren

Dass die Serie von Joel Surnow und damit einem bekennenden „Right-Winger“, der auch 24 mitentwickelt hat, produziert und geschrieben wurde, tut der Sache keinen Abbruch. Selbstverständlich möchte er auf diese Art eine Ikone der Demokraten demolieren. Historisch ist die Serie jedoch akkurat genug. So werden Kennedys politische Verdienste, vor allem was die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen angeht, nicht verheimlicht. Dieser Faden wird vom Einstellen des ersten schwarzen Secret Service-Personenschützers bis zum Entsenden von Bundestruppen, um James Meredith den Zugang zur University of Mississippi zu ermöglichen, elegant zu Ende geführt.

Zu sehen, wie sich die Last der ganzen Welt zusehends auf den Schultern dieses von seinem Vater ins Zentrum geschubsten Söhnchens türmt, ist auch wegen Greg Kinnear, dem Hauptdarsteller, eine Freude. Immer wieder steckt er mit seinem im Grunde viel geeigneteren Bruder im Stile der berühmten Bilder von der Kubakrise die Köpfe zusammen, bleibt sein Blick Hilfe suchend bei ihm hängen, während gestandene Militärs die Optionen eines Atomschlages ausloten.

Verkehrter King Lear

Als bekannt wird, dass der Vater selbst Mafia-Clans Straffreiheit bei Unterstützung des Sprösslings zugesichert hat, wird für die beiden Söhne der Vatermord notwendig. Der Alte ist nicht mehr tragbar. Obwohl das Stück zum Glück auf verschwörungstheoretischen Krimskrams à la Oliver Stone verzichtet, entsteht der Eindruck, dass die Tragödie ab diesem Moment mit klassischer Präzision ihren Lauf nimmt. Anstelle der Läuterung und Selbstbestimmung der beiden Helden steht ihre völlige Vernichtung. Und so entpuppt sich dieser Vater als eigentliche Hauptfigur. Der Patriarch hat den Umsturz überstanden – seine Söhne waren nicht mit der gewonnen Macht zu nahe an die Sonne geraten, sie sind im Grunde an diesem verkehrten König Lear verbrannt.

Unbewusst hatte er sich immer selbst in diesen Söhnen gesehen und muss nun dafür, gestorben bei lebendigem Leib, untot, von einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, sehenden Auges seinem eigenen Ende entgegen darben. Damit kommt die Stunde der so lange gedemütigten Ehefrau. Als zusehends fanatische Katholikin sieht sie in diesem Elend die Strafe eines rächenden Gottes. Düsterer kann eine Familiensaga nicht enden. Da wähnt man sich eher bei Ibsen als im Nähkästchen einer der schillernsten Dynastien der USA. Leider wusste die Kennedy-Restfamilie die weitere Ausstrahlung im US-Fernsehen zu verhindern.

The Kennedys: The Complete Seriesist für 36,99 Euro als UK-Import bestellbar. Arte will die Serie demnächst ausstrahlen

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