Ein Baum scheint Goldregen zu versprühen, magischer Rauch dringt aus Unfallautos, Bettwäsche verwandelt sich in zauberhafte Wolken. Der 2015 mit gerade mal 40 Jahren verstorbene Fotokünstler Sascha Weidner stand im Ruf, ein Künstler zu sein, der mit „der Erschaffung einer radikal subjektiven Bildwelt“ beschäftigt ist. So ähnlich formulierten es etliche Kritiker, und so steht es heute, anderthalb Jahre nach Weidners frühem Herztod, bei Wikipedia. Tatsächlich kommt in seinen Werken eine sehr subjektive, fast schon sehnsüchtige Wahrnehmung zum Ausdruck. Doch was steckt hinter diesen Bildern – fragen wir uns beim Blättern durch die soeben bei Hatje Cantz erschienene Weidner-Monografie mit dem Titel Intermission II.
Ausgebildet
Ausgebildet an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, war der Meisterschüler von Dörte Eißfeldt nach seinem Studium viel unterwegs. Stipendien ermöglichten ihm etwa Reisen und Aufenthalte in Los Angeles, Kyoto und Peking. Ohne diese Erfahrungen mit und in fremden Räumen wäre Weidners Bildsprache nicht vorstellbar, das Sich-wegbewegen von der Heimat ist eine Grundkonstante in seinem Werk. Es ist eine durchaus „romantisch“ zu nennende Idee: das Durch-die-Welt-reisen und Eindrückesammeln. Aus diesen Foto-Expeditionen entstanden Weidners Bildessays, die stets um die Frage kreisen: Wie leben wir Menschen?Verweigerte AuthentizitätDas Banale, das Alltägliche ist ein wesentlicher Baustein von Weidners Kosmos. Doch finden wir es selten in fotografischer Banalität oder Alltäglichkeit abgebildet. Immer frisierte der Künstler die Realität, drehte er sie durch den so besonderen Weidner-Wahrnehmungs-Wolf, indem er Surreales, Irreales und Metaphorisches hinzufügte. Schon die Titel seiner Arbeiten verraten das: The Presence of Absence oder Beauty Remains heißen seine Werke.Jenseits dieser subjektiven Symbolhaftigkeit stellt Weidners Arbeit im Ganzen – da erinnert er stark an Wolfgang Tillmans – ein Abbild der Wünsche und Sehnsüchte der Generation dar, der Weidner selbst angehörte. Melancholie und Schönheit, Poesie, Leichtigkeit und Intimität stecken im Lebensgefühl genauso wie im praktischen Inventar, in weißen Laken genauso wie in den Adern unter der Haut. Weidners Bilder sind im wahrsten Sinne des Wortes ein Augenschmaus, er entführt uns in traumhafte Welten aus Licht und Farbe.Eben dieses Zauberhafte, Magische wurde an seiner Fotografie immer wieder bemängelt – gefordert, immer noch und immer wieder, wird stattdessen sogenannte Authentizität. Doch damit wollte Weidner zum Glück nicht dienen. Das Beiläufige hatte für ihn stets eine besondere Bedeutung, im Beiläufigen steckt Magie, nicht Realität: Das erzählen die 89 Abbildungen dieses Fotobuchs. Bleiben ist nirgends hieß einmal eine Ausstellung mit Weidners Werken. Der Titel ist ein Zitat aus Rilkes erster Duineser Elegie, das sehr genau auch Weidners Leben zusammenfasst. Das Unterwegssein, die ewige Suche, war eben nicht nur in biografischer Hinsicht essenziell für ihn. Auch in seiner Kunst betrieb Weidner eine „Suche nach dem Refugium, wo Utopie die Realität inszeniert und Realität die Utopie“, wie er es selbst ausdrückte.Der nun in Buchform vorliegenden Bildersammlung ist ein markanter Satz vorweggestellt: „It’s all connected somehow“ – „Alles ist irgendwie verbunden.“ Was zunächst wie eine Plattitüde klingt, füllen Weidners Bilder mit Sinn. Am Ende des Buchs schreibt die Kunst- und Medienwissenschaftlerin und Kuratorin Inka Schube noch eine Seite: Für Sascha W.: In diesem kurzen Text interpretiert Schube Weidners Werk als eine Hommage an das Licht: „Dinge sind (...) nicht mehr und nicht weniger als Prismen für Licht und Farbe – nicht Reste, eher Splitter des Authentischen.“ Sascha Weidner sei „inneren Impulsen jenseits der großen Weltdiskurse“ gefolgt.Ein Himmel aus TablettenDass er dabei bislang ungesehene Motive findet – etwa Bilder aus dem japanischen Selbstmordwald Aokigahara, mit blühenden Mandelzweigen, Ruinen und einem „Sternenhimmel“ aus Tabletten –, hebt Weidner über das Mittelmaß zeitgenössischer Kunstproduktion hinaus. „Alles ist wichtig. Kulturelles. Katastrophen. Klischees. Banales. Politisches“, sagte Weidner einmal.Gelegentlich brachte Weidner seine Fotografie mit frühen Kindheitserlebnissen in seinem Heimatort Belm bei Osnabrück in Verbindung: „Dunkle Orte aus Decken und Stühlen waren mein Hort.“ Düstere Höhlenbauten, in denen sich das Kind versteckt, mit Löchern versehen, durch welche die helle Welt hineinblitzt. Räume, in denen Realität und Fiktion verschwimmen. So wie später dann im Werk des erwachsenen Sascha Weidner, etwa bei Caché II, einer Fotografie, die eine in goldenes Licht getauchte Winterlandschaft zeigt. Ein rätselhaftes Arkadien von großer künstlerischer Autonomie hat dieser Mann geschaffen. Es mag pathetisch klingen, aber die Antwort auf die Frage, wie wir Menschen leben, lautete bei Sascha Weidner tatsächlich immer: It’s all connected somehow.Placeholder infobox-1