Bierdeckelfragen

Älterwerden Tilman Rossmy und seine Band Die Regierung prägten in den 1980ern die deutsche Pop-Landschaft vom Ruhrpott aus. Mit dem Album „Raus“ sind sie nun zurück
Ausgabe 13/2017

Tilman Rossmy ist ein ganz besonderer Fall. Vor vielen Jahren, mit seiner Band Die Regierung, da war er der Größte für manche Leute. Doch irgendwann war das nicht mehr so. Dann machte er jazzigen Country-Pop mit Westerngitarre. „Du musst immer wieder hingehen, wo dein Schmerz ist, damit er sich verändert“, sang er damals. Den Schmerz, man hörte ihn nicht mehr so richtig. Der war lange schon überstanden, so schien es. Rossmy erzählte von ihm im Plauderton, kultivierte ihn, pflegte ihn wie ein kleines Beet, draußen im Garten. Denn da wo Schmerz ist, da ist immer auch ganz viel Liebe.

Das alles, die heroischen, stürmischen frühen Jahre, diese grandiosen Platten, dann all das, was danach kam, die Soloalben, die Zeit als Tilman Rossmy Quartett, das ist alles schon sehr lange her. Aber man hatte Rossmy nie vergessen, zitierte ihn gern, wenn man gleichgesinnte Freunde traf. Denn die alten Zeilen haben sich fest im Gedächtnis verbissen: „Ich hab gehört, du bist jetzt so ’ne Art Prediger – find ich ganz normal …“

Und jetzt ist der Mann, der die schönsten Songs mit Frauennamen geschrieben hat (Charlotte! Natalie! Corinna! Ulrike! Nicole! Und natürlich Markus!), einfach so wieder da. Der Mann, der mit seiner damals in Essen beheimateten Regierung schon in den 1980ern ein erstes Album vorgelegt hat, das bis heute zu den ganz großen Werken der deutschen Pop-Geschichte gezählt werden muss und als ruhrpottlerische Protovariante der Hamburger Schule gilt: Supermüll kam 1984 aus dem Nichts – ein musikalischer Solitär, ein Stürmer und Dränger, der seinesgleichen sucht.

Mitten hinein, das erste Stück des neuen Albums Raus, stellt direkt klar, worum es hier geht: sich noch einmal mitten hineinzustellen, als Musiker, als Mensch, eben so, wie man ist. Da wird kurz angezählt, dann schnurrt die alte Maschine: „Du bist ein alter Hase …“ – so beginnt die neue Platte tatsächlich. „Und du stellst dich mitten hinein ins Scheinwerferlicht, mitten hinein, so wie du bist.“ Das ist der Anfang eines Werks, das dort weitermacht, wo die Band 1994 aufgehört hat. Nur eben textlich aus der Perspektive eines Mannes, der bald 60 wird. Stücke wie Immer mehr so wie du bist stellen die Frage nach dem Älterwerden auf typische Rossmy-Art: „Sie sagt: Ich kenne dich so lange, du veränderst dich nicht. Du wirst nur immer mehr so, wie du bist.“

Was wäre aus dir geworden?

Musikalisch ist Raus genau so, wie man es sich wünscht. Schnoddrig, leichtfüßig, rumpelig, sperrig, schwer, leicht, traurig, lustig. Alles zusammen. Da gibt es ein paar alte Synthesizer. Da gibt es Rückblicke, Einsichten, Nachdenken, auch über verpasste Möglichkeiten. Konjunktiv 2 stellt die große Frage: Was wäre aus dir geworden, wenn? Das Tolle an dieser Musik, das ganz Besondere, hat sich nicht verändert: Rossmy stellt auch die gewichtigsten Fragen ohne Pathos, ohne Allüren. Seine präzisen Weltsichten und lakonischen Beobachtungen passen auf einen Bierdeckel.

Natürlich ist diese Musik wie gemacht für älter werdende Männer. Männer, die nicht wissen, wohin mit sich und ihren Erinnerungen. Männer, die sich plötzlich in Urbesetzungen wiederfinden, um gemeinsam noch einmal auf Bühnen zu steigen. Männer, die alte Songs immer und immer wieder zitieren. Männer, die auf die frühen Platten von Lloyd Cole stehen, dessen Like Lovers Do die Band hier auf eine hinreißende Weise interpretiert: So wie ein Liebhaber, heißt es bei der Regierung. Frank Spilker, selbst Musiker (Die Sterne), hat es in einem schönen Begleitschreiben zur neuen Rossmy-Platte auf den Punkt gebracht. „So sehr kann man sich gemeint fühlen“, schreibt Spilker.

So sehr kann man sich tatsächlich – immer noch und immer wieder – gemeint fühlen, wenn man Die Regierung hört. „Woher kommst du? Wohin willst du gehen? Und was hast du schon alles gesehen?“, fragt uns Rossmy. Würden wir ihn am Tresen treffen, würden wir ihm das alles und noch viel mehr sehr gern erzählen.

Info

Raus Die Regierung Staatsakt / Caroline International

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