Tristesse real

Gastronomie Die Eckkneipe stirbt aus. Ein Bildband betrachtet den Hort proletarischer Kultur voller Zuneigung
Ausgabe 38/2016

Für die rechtsextreme Gruppierung Pro Köln ist die Sache ausgemacht. Das Kneipensterben und das Ende der kölschen Traditionsgasthäuser geht ganz klar auf das Konto rot-grüner Bevormunder, die ein absolutes Rauchverbot in allen Gasthäusern in Nordrhein-Westfalen ausgesprochen haben. Besonders hart treffen solche Verbote tatsächlich die sogenannten Eckkneipen – Lokale eines bestimmten Formats, mit einer bestimmten Klientel. Lokale, die man aufsucht, um zwei, drei Grundbedürfnisse zu stillen: unter Leuten sein, ein bisschen was trinken, ein bisschen qualmen, ein bisschen palavern.

Das Rauchverbot mag eine Sache sein, die es den Wirten in den kölschen Veedeln inzwischen so schwer macht. Aber nicht nur in Köln machen seit einigen Jahren viele alteingesessene Kneipen dicht, vor allem Hamburger Thekenfreunde und -freundinnen trifft es ebenfalls hart. Hier soll, so berichteten es kürzlich vor allem lokale Medien, in den vergangenen 15 Jahren fast die Hälfte der traditionellen Kneipen geschlossen haben. Ein schleichender Kulturwandel hat stattgefunden, und der hat auch mit einem Generationswechsel zu tun. Der sonntägliche Frühschoppen unter Männern, früher zumindest auf dem Dorf fester Teil des Alltags, verliert rapide seine Anhänger. Auch werktags besuchen immer weniger Junge die Feierabendlokale in ihren Vierteln – „die kleine Kneipe in unserer Straße“, die Peter Alexander Mitte der 70er Jahre noch liebevoll, fast schon verklärt besungen hatte. Der Alkoholkonsum, vor allem der von Bier, geht ohnehin langsam, aber stetig zurück.

Wenn keine neuen Leute mehr kommen, müssen es halt die Stammgäste richten. Doch die sterben langsam weg. Von München bis Hamburg blicken Wirte und Wirtinnen ratlos auf die spürbar verwaisenden Stammtische: Nachwuchs einfach nicht in Sicht! Die Alten, die noch da sind und trinken, sind mit Erklärungen schnell bei der Hand – und schimpfen über die Facebook- und Whatsapp-Generation, die sich lieber berieseln lasse, statt sich zusammenzusetzen und richtig zu kommunizieren.

Richtige Sauflöcher

Einst waren die Eckkneipen Orte der proletarischen Arbeiterfreizeit. Aber eben jene Arbeiterklasse, die ihre eigenen Sitten und Gebräuche hatte, gibt es kaum noch. Und Reallohnverluste machen den heutigen Angestellten wenig Lust, auch mal ein paar Lokalrunden springen zu lassen, wie es in den traditionellen Kneipen zum guten Ton gehört. Das Bier, das man in der Eckkneipe trinkt, man trinkt es nicht für sich selbst, sondern für die Gemeinschaft, für das Gespräch, für das Soziale, stellten Soziologen noch in den 80er Jahren, vor dem Beginn des großen Kneipensterbens, fest.

Blättert man in dem neulich erschienenen Band Golden Days Before They End des Wiener Fotografen Klaus Pichler, will man die These der Soziologen bestätigen. In den Pinten und Wirtschaften, die Pichler fotografiert hat, geht es keineswegs nur ums Saufen, sondern vor allem um Austausch, um Kommunikation. Oder um beides, um „alkoholzentrierte Geselligkeit“, wie Franz Dröge und Thomas Krämer-Badoni 1987 in dem fast schon als Klassiker zu bezeichnenden Suhrkamp-Band Die Kneipe. Zur Soziologie einer Kulturform erkannten.

Pichlers Hommage an die aussterbenden Beisl von Wien zeigt diese Orte in ihren letzten Zügen, kurz vorm Schließen. Es sind nicht „schöne“ Lokale, die er aufgenommen hat. Es sind richtige Sauflöcher darunter, klebrig und schmutzig – nicht auf noble Art in die Jahre gekommen, eher im Gegenteil: Diese kleinen Kneipen sind teils auf recht unschöne Art gealtert. Und die, die dort sitzen – und die schon viele Jahre dort sitzen und bald wohl nicht mehr dort sitzen werden –, sind eben auch alt geworden.

Wer sich nicht in ein solches Lokal hineintraut, der kann dank Pichler jetzt aus der sicheren Distanz einen Blick hinter die vergilbten Glasscheiben werfen. Pichlers Verdienst ist es, das, was es hier noch gibt, in Bilder zu gießen, die an Absurdität, an Drama und letztlich eben an Humanität kaum zu überbieten sind. Das Milieu, das wir hier sehen, viele Arbeitslose und Sozialleistungsempfänger, der eine oder andere Rentner, ist gezeichnet vom Alkohol, von zu vielen Zigaretten, von zu wenig Frischluft. Doch durch die Bilder überträgt sich eben auch, dass diese Orte eine Anlaufstelle für viele sind, die sonst allein wären und keinen Ort hätten. Die Beziehung der Stammgäste zu den Wirten und Wirtinnen ist innig.

Ohne Voyeurismus

Jedes Beisl, jede Kneipe ist eine kleine Welt. Ein eigener Kosmos mit ganz besonderen Spielregeln. Ein Ort, an dem man auch mal seinen Rausch ausschlafen kann. Viele Bilder von Schlafenden, Dösenden sind zu sehen, Männer und Frauen, die Spitznamen wie Dolby Surround, Schlapfen-Charlie, Moldi, Futzi, Quasimodo, Bonsai-Peppe oder Falten-Charlie haben.

Etwa 100 Lokale hat Klaus Pichler besucht, manche gerade noch charmant, andere völlig desolat. Mit dem Autor Clemens Marschall ist er um die Häuser gezogen und hat dabei nur Wasser getrunken. Vieles, was er gesehen und mit viel Sinn für die Theatralik der Orte und Akteure dokumentiert hat, gibt es inzwischen schon nicht mehr. Die Tristesse, die viele dieser Bilder für kneipenfremde Leser ausstrahlen, mögen die Stammgäste kaum so empfinden. Auch das ist eine Lehre dieses Buchs.

Es steht wahrlich nicht gut um die Beisln, Tschocherln und Hütten. Im Jahr 2018 soll das Rauchverbot in Österreich noch einmal verschärft werden. Pichlers Buch ist eine womöglich letzte Würdigung einer Welt, die untergeht. Einer Welt, der wir auch über die Texte und Zitate in dem Band ganz nah kommen. Zum Beispiel, wenn eine Kellnerin aus dem „Café zur Panik“ über einen Gast erzählt: „Ich hab einmal einen gehabt, der wollt sich in der Hütte erschießen. Ich sag zuerst: ‚Geh, heast, des zahlt si ned aus, so schlimm kann’s ned sein, red ma drüber.‘ Dem hab ich dann eingeredet: ‚Du, heast, i bin nur a deppade, klane Kellnerin – warum willst mir an Dreck machen? Da drüben hast du die Polizei – mach denen drüben an Dreck, und i hab mei Ruah.‘“ Der Mann sei dann wirklich zur Polizei gegangen, habe dort geklingelt, mitten in der Nacht, und als man ihm öffnete habe er die Waffe angesetzt. „Und weg war er.“

Pichlers Blick ist voller Zuneigung für das, was er sieht. Vor allem ist er präzise und direkt. Er lässt seinen Protagonisten Raum, auf ihrer Bühne zu agieren. „ Auf vielen Fotos sieht man die Gäste in Situationen, die ich als Inszenierungen bezeichnen würde – allerdings von den Gästen selbst inszeniert und ohne mein Zutun entstanden“, sagt der Fotograf. Er zeigt Menschen, von denen man sagt, sie seien „unten“ angekommen. Und er führt uns die in den Kneipen Gestrandeten auf eine Weise vor Augen, die sich ins Gedächtnis brennt. Pichlers Bilder sind nicht voyeuristisch, sondern aufmerksam. Weil diese Fotografien eben auch von einer Solidarität erzählen, von einem Gemeinschaftsgefühl, von einem sozialen Gefüge, von Teilnahme und Kollektivität, die verschwinden. Wir sehen Szenen voller Elend – und Würde. Das ist heutzutage eine seltene Kombination.

Info

Golden Days Before They End Clemens Marschall, Klaus Pichler (Hg.) Edition Patrick Frey 2016, 250 S., 52 €

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