Bio-Linux gegen Monsantosaurus Rex

Open Source in der Biotechnologie Ein kleines Forschungsinstitut kämpft gegen die Macht der Agrokonzerne - mit den Waffen der Computeranarchisten

Eigentlich beginnen so die steilen Karrieren im Biotech- oder Agrobusiness. Während seines Doktorats isolierte Richard Jefferson ein so genanntes Markergen (b-Glucuronidase), das seither in den gentechnischen Labors der ganzen Welt eingesetzt wird. 1987 leitete er den weltweit ersten Freisetzungsversuch mit transgenen Nutzpflanzen. Doch den Molekularbiologen zog es nicht in die Industrie - im Gegenteil: Er bezichtigt die Konzerne des "‹Kidnappings› der öffentlichen Wissenschaft" und meint damit die Praxis, Entdeckungen wie etwa Genomsequenzen als "Erfindungen" zu patentieren und als Eigentum zu vermarkten. "Wir sind zutiefst überzeugt", sagt Jefferson, dass die patentgeschützte monopolistische Kontrolle fundamentaler Prozesse des Lebens absolut inakzeptabel ist.

Richard Jefferson ist ein Kalifornier, wie er im Buche steht. Jongliert, spielt Gitarre und Mandoline und komponiert Musik ("blues, celtic, bluegrass and new acoustic styles"). Und begeistert sich für Biotechnologie. Denn in dieser sieht er die Möglichkeit, die Welt, konkreter: die Landwirtschaft zu verbessern und damit dem Hunger der Welt zu begegnen.

Fatale Abhängigkeiten

Als eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu diesem Ziel hat er die heutige Praxis der Patenterteilung erkannt, auf der die Macht der Biotech-Industrie basiert: Gentechnisch veränderte Pflanzen sind, anders als konventionell gezüchtete Sorten, patentierbar. Landwirte müssen, um Saatgut benutzen zu dürfen, Lizenzgebühren zahlen, was zu fatalen Abhängigkeiten führt. Genomsequenzen, die wir in uns tragen, können "geistiges Eigentum" von Firmen oder Privatpersonen werden. Aber auch die Entwicklung neuer Anwendungen unterliegt der Kontrolle durch Patentinhaber, wenn bei dieser Entwicklung patentgeschützte Methoden verwendet werden.

So wurde Jefferson zum Vater der Open-Source-Bewegung in der Biotechnologie. Open Source bedeutet: Jede und jeder darf das "geistige Eigentum" gratis nutzen und weiterentwickeln, wenn er oder sie die Weiterentwicklungen wiederum gratis weitergibt. Die Idee stammt aus der Informationstechnologie: Dort kämpfen ProgrammiererInnen gegen die quasi monopolistische Macht von Riesen wie Microsoft, indem sie Betriebssysteme wie Linux und Programmpakete wie OpenOffice zur freien Verwendung anbieten. Jefferson kämpft statt gegen Microsoft gegen Monsanto, Dupont, Syngenta oder BASF.

Basis für seinen Kampf ist das unabhängige Forschungsinstitut Cambia, das Jefferson 1992 gegründet hat und das seinen Sitz heute im australischen Canberra hat. Hier entwickeln er und seine Mitstreiter Instrumente der Biotechnologie, die sie mit der von ihnen entwickelten Bios-Lizenz open source weitergeben - also "verschenken". Bios steht für Biological Innovation for an Open Society und orientiert sich an Software-Lizenzen wie beispielsweise der GNU-Lizenz.

Ein solches Bios-lizenziertes Instrument ist TransBacter: Dieses Bakterium kann fremde Gene in ein Zielgenom einbringen. Meist wird zu diesem Zweck das Agrobakterium verwendet, das aber mit mehreren Patenten belegt ist; wer es benutzt, muss Lizenzgebühren entrichten. TransBacter dagegen ist gratis. Cambia arbeitet aber auch in weniger strittigen Bereichen wie etwa der Genomanalyse oder der Krebsforschung - wobei Letztere mangels Geldern vorderhand ruht. Denn Cambia lebt im Wesentlichen von Spenden. Eine Million Dollar jährlich zahlt die Rockefeller-Stiftung; einen großen Beitrag erhielt Cambia vom norwegischen Außenministerium.

Ganz einfach verschenken?

Freilich: So einfach ist das "Verschenken" biologischer Errungenschaften nicht. Man könnte einfach auf ein Patent verzichten. Das birgt aber erstens die Gefahr, dass ein anderer das Patent beantragt. Das wäre zwar Piraterie, aber wenn niemand ein solches geklautes Patent anficht, gilt es. Zweitens hat, wer auf ein Patent verzichtet, keinen Einfluss darauf, wie seine Errungenschaft verwendet wird. Deshalb tut Cambia das, wovon die Organisation eigentlich findet, es dürfte gar nicht möglich sein: Es lässt biologische "Erfindungen" patentieren - um sie dann gratis zu lizenzieren. Die Bios-Lizenz, unter der das Patent genutzt werden darf, schreibt vor, dass Weiterentwicklungen ebenfalls nach dem Open-Source-Grundsatz vergeben werden. (Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Forschungsinstitute der Weltbank nahen Consultative Group for International Agricultural Research CGIAR, die riesige Genbanken von Zehntausenden Variationen der wichtigsten Nahrungspflanzen unterhalten. Jede und jeder darf die Genbanken gratis benutzen, sofern er oder sie darauf verzichtet, die daraus resultierenden Entwicklungen patentieren zu lassen.)

Doch Patentieren kostet. Eine Errungenschaft weltweit patentieren zu lassen, koste schnell einmal 50.000 Euro und mehr, sagt Jörn Erselius, Geschäftsführer der Garching Innovation GmbH, die die geistigen Eigentumsrechte der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) verwaltet. Etwas zu patentieren, um es danach gratis abzugeben, ist für die Garching Innovation deshalb kein Thema. Es komme zwar vor, dass Max-Planck-Forschende von sich aus auf ein Patent verzichten wollten - niemand werde dazu gezwungen. Er glaube aber nicht, sagt Erselius, dass solche Verzichte vom Open-Source-Gedanken getragen seien.

Mit Entwicklungsländern allerdings wolle die MPG keine Geschäfte machen. Es werde deshalb dort - vor allem im Pharmabereich - gelegentlich auf die Anmeldung eines Patents verzichtet. Oder man lizenziere ein Patent in Entwicklungsländern zu viel günstigeren Bedingungen als in Industrieländern. Hier arbeite man auch mit der Melinda-und-Bill-Gates-Stiftung zusammen. Und wenn ein Max-Planck-Forscher auf ein Patent verzichtet, dieses aber von jemand anderem missbräuchlich beantragt wird? "Dann melden wir das dem Patentamt. Ich glaube aber nicht, dass wir Geld in die Hand nehmen würden, um gegen ein missbräuchliches Patent aktiv vorzugehen."

Genau dies tut Cambia. Das Institut war etwa in einen fünfjährigen Patentrechtsstreit gegen die Schweizer Agrofirma Syngenta verwickelt. Cambia bietet auch noch andere Initiativen, um die Landschaft der Biopatente transparenter zu machen - etwa eine Online-Datenbank für solche Patente, eine Online-Diskussionsplattform sowie Vorträge und Workshops.

Begrenzte Parallelen mit IT

Aktiv gegen Patente kämpfen auch verschiedene Entwicklungs- und Umwelt-NGOs, darunter Greenpeace. Christoph Then, der bei Greenpeace Deutschland die Patente-Kampagne betreut, findet Open-Source-Ansätze grundsätzlich unterstützenswert, er hält sie allerdings für Reparaturen am System: Das Problem sei die Patentierbarkeit genetischer Information an sich, und diese gelte es politisch anzugehen. Einen Weg zeige Frankreich: Zwar anerkennt Frankreich wie alle EU-Mitglieder und einige weitere europäische Staaten die Patente des Europäischen Patentamts in München. Die Reichweite dieser Patente ist gesetzlich aber so geregelt, dass die genetische Information frei bleibt.

Von Open-Source-Ansätzen erwartet Then deshalb auch nicht allzu viel, weil die Biotechnologie anders funktioniere als die Informationstechnologie: Letztere erlebte ihren Boom durch das Internet, dessen Erfolg sehr stark auf der freien Verfügbarkeit von Information beruhe. Die Biotech-Industrie hingegen sei dank der Patentierbarkeit von Information stark gewachsen. Hier bestünde deshalb eine ganz andere Tradition.

Während heute jeder schon mal von Linux gehört hat, ist die Open-Source-Idee unter Forschenden der Life Sciences noch kaum bekannt. Das dürfte ebenfalls mit den Unterschieden zwischen Bio- und Informationstechnologie zu tun haben. Immerhin hat sich die Wizard of OS, eine Bewegung, die sich für die freie Verfügbarkeit von Wissen im Internet stark macht, auf ihrer 4. Konferenz Mitte September in Berlin ein Panel zum Thema Open Source im Bereich Biotechnologie gewidmet.

Richard Jefferson ist als Fachmann für Entwicklungsfragen unterdessen weithin anerkannt und arbeitet viel mit der CGIAR zusammen. Als leitender Autor verantwortete er für die UNO-Biodiversitätskonvention (CBD) einen Bericht über die so genannte Terminator-Technologie (den Einsatz unfruchtbarer transgener Nutzpflanzen). Die Agroindustrie sieht darin die Lösung für das Problem, dass transgene Pflanzen ihr Erbgut in Wildpflanzen auskreuzen; Kritiker lehnen die Terminator-Technologie ab, weil sie die Landwirte zwingt, ihr Saatgut immer wieder neu zu kaufen. Auch in dieser Frage nahm Jefferson eine industriekritische Haltung ein: Der CBD-Bericht empfiehlt, die Terminator-Technologie bis auf weiteres zu verbieten.

Was aber, wenn sich ein Open-Source-lizenziertes Produkt als schädlich erweist? "Eine gute, aber schwierige Frage", sagt Richard Jefferson von Cambia. Grundsätzlich sei ein Patentinhaber der "Besitzer" eines Produkts und also dafür haftbar. Rechtlich unklar sei aber, ob Technologien, die Bestandteil eines Produkts sind, auch für dieses mitverantwortlich gemacht werden können. Bei heutigen biotechnologischen Produkten seien nämlich oft Dutzende, ja Hunderte von Patenten involviert. Auch wenn Jefferson keine definitive Lösung für dieses Problem kennt, glaubt er, dass die Risikoabschätzung in einer Open-Source-Welt besser würde, weil es keinen pekuniären Anreiz zum Schummeln mehr gebe.

Gelassen gibt sich die Industrie. Dupont-Chefbiotechnologe Ganesh Kishore teilt auf Anfrage mit, er sehe Cambia nicht als Herausforderung, "zumindest nicht in näherer Zukunft". Weil sich Software viel leichter auf den Markt bringen lasse als Biotech-Produkte, könne man die beiden Branchen nicht gleichsetzen. BASF ist sogar einer der ganz großen Bios-Lizenznehmer. Jefferson gibt sich kämpferisch: "Die Konzerne sind Dinosaurier. Es scheint aussichtslos, gegen den Tyrannosaurus Rex zu kämpfen. Aber die Riesenechsen sind ausgestorben - kleine, agile Säuger haben sie überlebt!"

www.cambia.org, www.bios.net


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