Herumdoktern am Habitus

Plagiate Falsche Anreize locken wissenschaftlich desinteressierte Doktoranden, die Titel benötigen, um außerhalb der Wissenschaft Wissenschaftler zu spielen. Der Fehler hat System

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Vermutlich plagiatfreie Ironie der Plagiatorengeschichte: Die Memoiren des Großvaters von Karl-Theodor zu Guttenberg
Vermutlich plagiatfreie Ironie der Plagiatorengeschichte: Die Memoiren des Großvaters von Karl-Theodor zu Guttenberg

Bild: Daniel Karmann/dpa

Wieder wird eine Figur der Spitzenpolitik von ihrer (akademischen) Vergangenheit eingeholt. Konkret von Fußnoten und von deren zuweilen fataler Abwesenheit. Von Belegen, die keine sind. Von einem nicht nur augenscheinlich kurz, schmerzlos und übersichtlich aufwendig geführten Doktorandenleben. Und natürlich bei alledem von den erwartbaren Nachlässigkeiten einer mal-eben-schnell-noch-Forscherin, die nach ihrem Medizinstudium – wie viele vor und nach ihr – sich jene Würde nicht entgehen lassen wollte, die in keinem anderen Fach wie dem ihren so häufig ohne eine Leistung einhergeht, die man als nennenswerte Anstrengung bezeichnen könnte.

Notorisch niveaulos

Wieder wird ein Polit-Plagiat mit dem unvermeidlichen Rücktritt enden. Und auch wenn die Causa von der Leyen Jahrzehnte zurückliegt: Wieder wird man in der deutschen Hochschulszene Besserung in jeder Hinsicht geloben. Etwa durch mehr Betreuung für methodisch inkompetente Promovenden; etwa über „klare Standards“ für Promotionsverfahren, die schon immer ebenso klar waren, wie sie klar unterlaufen wurden.

Erneut ist zu hören, wie sehr es doch auf die gute Betreuung ankommt, wie wichtig noch mehr und am besten noch strengere Regeln sind. So, als könne das ideale Betreuungsverhältnis notorische Niveaulosigkeit betrugsaffiner Promovenden heilen; so, als gelänge gutes Doktorieren am besten mit rigiden Strukturen; so als müsse man streng bewachen, um die unerfahrenen Forscher von der Versuchung des Missbrauchs abzuhalten. All diese Mahnungen zeugen nur vom tiefen Misstrauen, das Promotionsdelikte auslösen und sie schaden früher oder später womöglich ausgerechnet jenen, die angesichts steigender Kontrolle und zunehmender Einschränkung ihrer verantwortungsvoll genutzten Freiheiten am Ende die wirklich Bestraften sind. Am Grundproblem indes, wer, wie und weshalb überhaupt zum Doktor gemacht werden muss, soll, will, darf, wird der abermalige Schauwettbewerb um die neuesten Maßnahmen zur Steigerung der gern zitierten „guten wissenschaftlichen Praxis“ wenig ändern.

„Mal-eben-noch“- und „Nebenbei“-Promotionen

Medizinprofessoren werden weiterhin eine dubiose Promotionskultur ihres Faches diagnostizieren und dennoch ein Abweichen von eben dieser zu Forschungsbetrug verführenden Kultur ablehnen. Andernorts wird man fern akademischer Gepflogenheiten weiterhin über Themen promovieren, die weder die Schreiber noch die Professoren sonderlich interessieren, aber auf Erzeugerseite brauchbar sind, um in Landratsämtern, Schulbehörden oder Bauunternehmungen in den gehobenen Etagen etwas Anständiges zu werden.

Man wird weiterhin als universitärer Zaungast in Steuerrecht-, Marketing- und International Management-Instituten „mal eben noch“ oder „nebenbei“ seine Promotion abschließen, weil Firmen, in deren klangvollem Namen man gastieren darf, mitunter den Professor abhängiger vom Doktoranden machen als man es traditionell umgekehrt erwarten würde. Schließlich werden Promotionen längst nicht mehr allein mit individuellem Prestige und Bildungsrendite, sondern überdies mit so profanen Dingen wie der Gewährung von Projektaufträgen und Drittmittelflüssen für jene konditioniert, die meinen, diese Titelproduktion nach dem Augen-zu-und-durch-Prinzip alternativlos erdulden zu müssen.

Dr. med. als Upgrade

Eingedenk der fachlichen Spannweite von Promotionsvergehen wäre es gewiss sehr wohlfeil, jetzt so zu tun, als seien krasse Auswüchse des Doktormachens vornehmlich die altbekannte und naturgemäße Folge einer seit eh und je statussymbolisch reizbaren Ärzteschaft. Gleichwohl erscheint die Häufung von Plagiatsfällen in medizinischen Kreisen delikat. Es ist ja ein alter Hut, dass das mit künstlich quotierten Abitur-Bestnoten umzäunte Studium der Medizin auffallend niedrige Anforderungen in Sachen wissenschaftlicher Forschungsmethodik stellt; eine Beobachtung, die nicht etwa medizinische Laien wie der Schreiber dieses Textes, sondern namhafte Angehörige der medizinischen Community selbst verbreiten. Angesichts der von dort eingestandenen methodischen Dürftigkeit ihrer Ausbildung wirkt es beinahe karikativ, dass ausgerechnet diese Berufsgruppe die öffentliche Inszenierung des Doktorgrades besonders ausgiebig zu veranstalten pflegt, weshalb man als Arzt selbst dann von der Gesellschaft zum Doktor geadelt wird und selten widerspricht, wenn man urkundlich gar keiner ist.

Der deutsche Wissenschaftsrat hat die studienbegleitende Form der medizinischen Promotion bereits 2011 gerügt (S. 29). Die überwiegende Zahl der Qualifikationsschriften entspreche nicht den Standards der Naturwissenschaften. Und schon damals wies der Wissenschaftsrat auch darauf hin, seiner Kritik bereits mehrfach zuvor Ausdruck verliehen zu haben, vergeblich. Dabei gilt es informell als ausgemacht, dass die studienintegrierte Form der medizinischen Promotion vom Nachwuchs als Upgrade, ja als Bonusleistung oder kleine Entschädigung für ein langes und lernintensives Studium verstanden wird. Notfalls nimmt man dann bereitwillig ein paar oder auch mehrere Abstriche in puncto akademisches Niveau und Redlichkeit in Kauf.

Anderer Schauplatz, ähnliche Probleme: Auch in ökonomisch orientierten, anwendungsnahen Fachbereichen kennt man das Phänomen der Titelmühlen im In- und (auch näheren) Ausland; zum Leidwesen all jener dortigen Vertreter, denen solche ein ziemliches Dorn im Auge sind. Eine Vielzahl erfolgreicher Jungökonomen sucht sich dezidiert solche Fakultäten und Lehrstühle, die ihnen in kurzer Zeit einen überschaubar komplexen Weg zur Visitenkartenpromotion ermöglichen. Auch wenn es keiner so sagen mag, in erster Linie geht es bei diesem Weg schlicht um eine Kompetenz-Aufhübschung für den eigenen Habitus. Denn die Präsentation von Gelehrtengeist im Berufsleben schadet selbst dort nicht, wo Gelehrtentum nicht nur keine Rolle spielt, sondern gar argwöhnisch beäugt wird. Diese Einordnung mag man als polemisch bezeichnen, gleichwohl entspricht sie der unverblümten Selbstauskunft beteiligter Akteure, die aus unterschiedlichen Gründen von solchen „Weihe-Deals“ profitieren.

Herr Ordinarius kann auch nicht Nein sagen

Dass zum Beispiel ein Lehrstuhl rein zufällig gleich der halben Abteilung von ein und demselben Bank- oder Beratungshaus den Weg zur Promotion ermöglicht, ist ja vielleicht nicht ganz so zufällig, wie es einem beim Blick auf die um Seriosität bemühte Website des Instituts erscheinen mag. Und dass so mancher drittmittelgestärkte Ordinarius eigentlich keine Lust auf noch mehr Bank- und Beratungshaus-Doktoranden hat, aber angesichts kapitaler Projektaufträge mit sanftem Druck von dort dann doch wieder Lust zum Doktormachen bekommt, ist hinter vorgehaltener Hand in der einschlägigen Community längst bekannt. Es ist auch kein ganz seltenes Phänomen, das in Fachkreisen im Übrigen schon zu dem Bonmot führen konnte, ob auffällig promotionsfreudige Lehrstühle sich mit Blick auf ihren hohen Doktor-Output nicht eine Zertifizierung als „Ausbildungsbetriebe“ verdient hätten.

Wie auch immer man diese Auswüchse der mithin auf – im wahrsten Sinne – Scheinprofessionalität bedachten Universitäten werten mag, eines steht fest: Die reichlich fremdbestückte Doktorwürde Ursula von der Leyens wird wohl in naher Zukunft der Vergangenheit angehören. Doch nach dieser neuerlichen Aberkennung wird sich an dem Problem wenig ändern, dass Universitäten zwei Gruppen von Doktoranden anziehen, die zwar unterschiedlicher kaum sein könnten, aber für alle Beteiligten gleichermaßen nützlich sind. Auf der einen Seite geht es um den regulären Nachwuchs der Universität, der – um den früheren Inhaber eines Doktortitels formgerecht zu zitieren – „in mühevoller Kleinarbeit“ Jahre an Qualifikationsschriften zubringt, um mit besten Absichten reelle Erkenntnisse für die Wissenschaft zu schöpfen. Und auf der anderen Seite stehen jene Doktoranden, die bei Licht besehen ihre Promotion primär als akademisches Sahnehäubchen einer in aller Regel nicht akademischen, wenn nicht gar dezent anti-akademischen Karriere zu benötigen meinen.

Ungleiche Betrugsrisiken

Natürlich gilt das nicht in Bausch und Bogen, doch deutlich tendenziell. Fraglos gab und gibt es in jedem Fach hervorragende Köpfe „von außen“ und außerhalb der traditionellen Doktorandenqualifizierung, die vielleicht sogar eben aufgrund ihrer Talente oder ihrer an speziellen Fachangelegenheiten interessierten Persönlichkeit in den Standard-Laufbahnen der Universität keine Zukunft sehen und eben darum ihre Doktorandenzeit als das intellektuell herausfordernde Intermezzo einer ansonsten jedoch recht andersartigen Berufsbiografie betrachten.

Gegen all das ist nichts zu sagen. Und doch scheint genau solches Personal nicht die Mehrheit zu stellen, was daran zu sehen ist, dass es vielen Vertretern der „mal-eben-noch“- und „nebenbei“-Gruppe sichtlich schwerer fällt, das Reglement einer Qualifikationsphase ebenso redlich einzuhalten als jenen, die in beruflicher Abhängigkeit zur Wissenschaft stehen und deshalb einigermaßen dazu verdammt sind, ihre fachliche Existenz nach den Werten der Wissenschaftsgemeinde – und weitaus weniger nach persönlichem Nutzenkalkül – zu gestalten.

Außerhalb der Liga prominenter Doktoranden, wozu typischerweise Politiker gehören, führen diese unterschiedlichen Restriktionen der akademischen Qualifizierung folgerichtig zu verschiedenartigen Sanktionsrisiken bezüglich wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Für wen die Promotion nur den schicken, aber nötigenfalls verzichtbaren Bestandteil einer ambitionierten „Praktiker“-Laufbahn darstellt, für den ergeben sich womöglich eingeschränkte Voraussetzungen in puncto Leistungsmotivation und hinsichtlich all jener binnenwissenschaftlichen Formalia, die für jeden Praktiker außerhalb des akademischen Milieus wie Petitessen erscheinen mögen, für Wissenschaftler aber das A und O der Glaubwürdigkeit ihres Systems bedeuten.

Berechtigte Fragen, falsche Adresse

Nicht Ursula von der Leyen muss sich zu einer Sache erklären, zu der bereits alles gesagt ist. Nicht trickreiche Promotionsplagiatoren müssen nach ihrem Tun befragt werden, nicht die Nischen-Nutzer eines partiell zweifelhaften Graduierungssystems zur Befriedigung berufspraktischer Eitelkeit müssen mit moralingetränkter medial-akademischer Echauffierung behelligt werden. Stattdessen könnte man in Zeiten penetranter akademischer Exzellenz-Rhetorik zur Abwechslung auf die verwegene Idee kommen, beharrlich jene zu fragen, die sich bei jedem neuen Eklat schleunigst beeilen, Fehlverhalten zu personalisieren und damit die akademische Organisation zu entschuldigen. Irgendwie könnte man dann mit fadem Beigeschmack zum eigentümlichen Verdacht gelangen, dass der universitäre Titelbetrieb wohl ein wenig mehr mit den zweifelhaften Elaboraten von Plagiatoren zu tun hat, als jene mit ihren eigenen inkriminierten Blendwerken.

Marcel Schütz ist Doktorand der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften im Fach Organisationssoziologie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

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Geschrieben von

Marcel Schütz

forscht in Organisationen und experimentiert blogweise mit nicht uninteressanten Angelegenheiten mittlerer Reich- und Tragweite.

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