Ich bin sicher nicht der einzige, der das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage (LSR) verfolgt, seit es als Ostereiüberraschung im Koalitionsvertrag landete, aber im Sommer letzten Jahres nicht mehr mit einem Gesetzesentwurf gerechnet hat. Zu groß die Ablehnung von allen Seiten, zu gering – man sollte eher sagen zu nichtexistent – die Argumente für ein solches geplantes Recht.
Wenn praktisch alle Verbände und alle Rechtsexperten, die nicht direkt mit Presseverlagen verbunden sind, gegen ein solches Gesetz sind und die Befürworter in ihrer Argumentation jegliche Logik vermissen lassen (Man will für etwas bezahlt werden, weil es einem mehr schadet als nützt, aber nimmt erst einmal weiterhin freiwillig an dieser angeblich schadenden Kooperation teil, ohne bezahlt zu werden?), kann dieses Gesetz doch einfach nicht mehr kommen.
Was haben wir falsch gelegen. Die Referentenentwürfe kamen. Die Lügen in der deutschen Presse häuften sich gen Himmel. Und jetzt steht das LSR für die letzte Lesung im Bundestag noch für diese Woche auf der Tagesordnung.
Wenn die Koalition und die Bundesregierung etwas bewiesen haben, dann, dass ihnen vollkommen egal ist, was im Internet passiert, welches ja nur der "wichtigste Wirtschaftsfaktor des 21. Jahrhunderts" ist, solang einem Axel Springer und Burda nicht in den Rücken fallen.
Angesichts der Ungeheuerlichkeit hat fast niemand damit gerechnet, dass es so weit kommen würde. Und das ist wohl auch das Problem: Weil niemandem aus dem Lager der Kritiker das Ausmaß der Beratungsresistenz der Regierungskoalition bei diesem Thema bewusst war, haben alle gegen eine Verabschiedung eines LSR gekämpft. Die stand aber anscheinend nie zur Debatte: Axel Springer soll sein Gesetz bekommen. Ende.
Der Kampf hätte also – so bitter das ist – bereits viel früher um ein möglichst entschärftes LSR gehen müssen. Nun ist es zu spät. Vielleicht.
"Wie wir heute in der Anhörung gelernt haben, weiß man noch nicht genau, welcher Text genau abgestimmt wird, aber das wird schon, geht ja nur um Internet. Zwischenstopp ist noch der federführende Rechtsausschuss, der am Mittwoch darüber abstimmen soll."
Vielleicht lässt sich über den Rechtsausschuss noch eine vernünftigere Version des LSR in den Bundestag bekommen. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Was gilt es also zu tun? Zwei Aspekte müssen eingebracht werden, um die Kollateralschäden des LSR zu minimieren:
Das LSR tritt nur zeitlich begrenzt in Kraft und wird nach dieser Zeit evaluiert
Die Bundesregierung hat in ihren Antworten auf kleine Anfragen zum LSR die Antworten selbst entweder verweigert oder geradeheraus zugegeben, dass sie nicht weiß, welche Auswirkungen das Gesetz haben wird. Das sind beste Voraussetzungen, um das Gesetz zeitlich zu begrenzen und nach dieser Zeit zwingend zu evaluieren, ob das Gesetz den gewünschten Effekt gebracht und welche Kollateralschäden es verursacht hat. Anschließend wird im Bundestag erneut darüber entschieden, ob das Gesetz beibehalten werden soll und wenn ja, in welcher Form.
Einer der Sachverständigen, Professor Spindler, hatte die zeitliche Beschränkung in der Anhörung im Rechtsausschuss bereits vorgeschlagen. Man sollte seinem Vorschlag folgen. Es gibt kein Argument dagegen, das bei einem Gesetz zu tun, bei dem die Bundesregierung frei zugegeben hat, nicht zu wissen, welche Konsequenzen es haben wird.
Kennzeichnungspflicht für Presseverlage
Eines der größeren Probleme des LSR ist die Tatsache, dass überhaupt nicht einbezogen wird, dass es im Internet keine von außen klar ersichtliche Abtrennung zwischen Verlagsangeboten und Websites gibt, die nicht von Presseverlagen betrieben werden. Ein regelmäßig von einem Team befülltes Blog fällt bereits unter eine verlagstypische Publikation, ob diejenigen das wollen oder nicht.
Google, Rivva, filtr und co. können nicht wissen, ob sie gerade auf Inhalte von Presseverlagen zugreifen oder nicht. Die Folge: Wer nicht von unerkannten Presseverlagen wegen Nichtachtung des LSR verklagt werden will, muss erst einmal alle[sic!] Webangebote so behandeln, als könnten sie sich später als Erzeugnisse von Presseverlagen herausstellen.
Ich hatte über das Problem und seine Lösung bereits im November letzten Jahres geschrieben:
"Es gibt kein vernünftiges Argument gegen die Kennzeichnungspflicht für diejenigen Presseverlage, die ein Leistungsschutzrecht in Anspruch nehmen wollen. Der Aufwand für ein gewinnorientiertes Unternehmen ist gering und automatisch wird die Rechtsunsicherheit gelöst, die niemals aufgrund der organisatorischen Vielfalt im Web über juristische Definitionen gelöst werden kann.
Die Bringschuld liegt hier eindeutig bei den Presseverlagen. Der Aufwand ist zumutbar. Die Kollateralschäden bei einem Vorgehen ohne Kennzeichnungspflicht sind inakzeptabel.
[..]
Ein Presseleistungsschutzrecht wäre so oder so ein wenig zielführendes Gesetz aus gesamtgesellschaftlicher Betrachtung.
Ein Presseleistungsschutzrecht aber, das ohne Kennzeichnung der Verlage kommt, wäre zusätzlich eine Katastrophe beispiellosen Ausmaßes für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Denn wer Presseverlag ist und wer nicht können Anbieter von Suchmaschinen und Aggregatoren nicht im Vorfeld wissen. Sie sollten es auch nicht, um die Vielfalt des Webs nutzbar machen zu können.
Dieses gesellschaftliche Problem muss von denen gelöst werden, die das das Problem auslösende Privileg für sich einfordern.
Die Wahl, mit dem Presseleistungsschutzrecht die Transaktionskosten im kompletten(!) Web erheblich zu erhöhen oder den Presseverlagen einen Aufwand von 10 Minuten Arbeitskraft zuzumuten, sollte dem Gesetzgeber, so er denn an der Einführung des Rechtes festhält, eigentlich sehr leicht fallen."
Einen Anspruch auf das geplante Recht mit einer Kennzeichnungspflicht zu verbinden und nicht qua schwammiger Presseverlag-Definition einfach zu vergeben, ändert zwar die juristische Definition des geplanten Rechts erheblich, an der Umsetzung des Rechts im Alltag für die fordernden Presseverlage fast nichts. Gleichzeitig eliminiert es die Kollateralschäden durch das LSR weitestgehend.
Fazit
Vor allem die Politiker in den Regierungsparteien, die sich gegen das LSR ausgesprochen haben, sind nun gefragt, intern in den Parteien und den Bundestagsfraktionen Druck zu machen, um ein Minimum an Vernunft in die Gesetzgebung zu bringen.
Wenn ein LSR verabschiedet wird, das nicht diese minimalen Entschärfungen enthält, wäre das ein Beweis dafür, dass alle LSR-kritischen Netzpolitiker in CDU/CSU und FDP nicht mehr denn einflusslose Feigenblätter sind, mit denen zu sprechen künftig kaum mehr Sinn hätte.
Marcel Weiß bloggt auf neunetz.com über Netzpolitik. Dieser Beitrag erschien ebenfalls zuerst dort
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