Scheinbar unbeeindruckt sitzt Jürgen Trittin einfach aus. Während er in den beiden vergangenen Wochen im Tages-Rhythmus Prügel von allen Seiten einstecken mußte, übte sich der grüne Umweltminister mit aufreizender Dickfelligkeit in buisness as usual. Erst demütigte ihn Gerhard Schröder, als er Trittin anwies, gegen dessen erklärte politische Überzeugung im EU-Umweltministerrat die europäische Altautoverordnung mit Geschäftsordnungstricks auszuhebeln und gleichzeitig in die Medien lancieren ließ, er habe den Kanal gestrichen voll von dem grünen Minister.
Nachdem er sich für die Vollstreckung der Schröderschen Blockadetaktik vernichtende Worte von der EU-Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard und dem Gros seiner europäischen Amtskollegen eingeholt hatte, mußte er dem ZDF-Politbarometer entnehmen, daß er von einem repräsentativen Bevölkerungssegment zum unbeliebtesten Spitzenpolitiker der Republik gekürt worden war. Gezielte Demontage erfuhr der 44jährige auch von seinen »Parteifreunden«: Erst attackierte ihn sein Intimfeind, der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch, öffentlich mit den Worten, Trittin betreibe eine Politik »David gegen Goliath, das kann er nicht gewinnen«, dann legte ihm der Europa-Abgeordnete der französischen Grünen, Daniel Cohn-Bendit, unverblümt den Rücktritt nahe. Gefragt, ob er an Aufgabe denke, gibt sich der Vielgescholtene einsilbig: »Den Gefallen tue ich nicht.« Und läßt dabei offen, wen er damit meint.
»Innerlich wie gepanzert«, kam Trittin schon der grünen Reala Krista Sager in der gemeinsamen Zeit an der Spitze der Partei vor. Selbst langjährige Weggefährten gestehen, daß sie nie einen wirklichen Zugang zu dem 1954 im Sternzeichen des Löwen geborenen Politiker gefunden haben. Kaum jemand hat Trittin vertraut. In seiner langen politischen Karriere hat der Machtmensch Trittin gelernt, daß Freunde von gestern die Feinde von morgen sind. Wer Grüne, die den Umweltminister gut kennen, über Trittin befragt, bekommt wenig schmeichelhafte Charakterisierungen zu hören: Der Umweltminister gilt als arrogant, oft zynisch, unerträglich stur und »beratungsresistent«. Als »absoluten Narzisten mit autistischen Zügen« bezeichnet ihn ein grüner Spitzenfunktionär. »Aus dem wird keiner schlau«, sagt ein anderer Parteifreund.
Mitunter scheint es, als habe sich Trittin in seiner Rolle als Buhmann der Nation und Prügelknabe der Koalition häuslich eingerichtet. Sein ausgeprägter Hang zur Selbstinszenierung und sein Mißtrauen gegenüber Jedermann und Jederfrau haben ihn zum politischen Einzelkämpfer werden lassen.
In der taz schrieb Cohn-Bendit:»Der Parteimann Trittin wird bei all seiner verschmitzten Listigkeit die Aura des Politkommissars nicht los.« Die Aura, auf die der grüne Europaabgeordnete anspielt, erwarb sich der junge Trittin während seiner Göttinger Studienzeit, wo er sich den ersten politischen Schliff als Mitglied der marxistisch-maoistischen Kaderorganisation Kommunistischer Bund holte. Eine Zeit, die Trittin auch heute nicht als »Jugendsünde« abqualifiziert haben will. 1982 begann der frischgebackene Diplom-Sozialwirt seine grüne Parteikarriere als Geschäftsführer der Ratsfraktion der Göttinger »Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste«. Von da aus führte ihn die Karriere-Leiter über den Posten des Pressesprechers der niedersächsischen Landtags-Fraktion der Grünen bis hin zum Vorsitzenden derselben. 1990 schmiedete er zusammen mit Gerhard Schröder die erste rot-grüne Regierungskoalition in Niedersachsen, in der er als Minister für Bundes-und Europaangelegenheiten fungierte. Die absolute Mehrheit, die die niedersächsische SPD 1994 bei den Landtagswahlen einfahren konnte, ebnete sowohl Schröder wie Trittin den Weg nach Bonn. Während sich der ehemalige Juso-Vorsitzende als Wahlgewinner für höhere Weihen empfahl, wurde Trittin 1994 Sprecher des grünen Bundesvorstandes und damit Aushängeschild der Bundes-Grünen.
Sein ausgeprägtes Gespür für Macht hat Trittin, der viel zu bigesam ist, um als strammer Ideologe durchzugehen, immer wieder dem innerparteilichen Verdacht ausgesetzt, im Kern ein Realo zu sein. Doch die Fähigkeit, Bündnisse einzugehen, die Balance zwischen Zuspitzung und Kompromiß zu halten, ist dem Umweltminister in den vergangenen Monaten abhanden gekommen. Das Verhältnis zum einstigen Duzpartner Gerhard Schröder, der für Trittin während der gemeinsamen niedersächsischen Regierungszeit meist lobende Worte fand, ist hoffnungslos zerrüttet. Den Parteilinken gilt der Umweltminister wegen seiner zahlreichen Alleingänge und der provokativen These, nach Lafontaines Rücktritt könnten die Grünen ebenso mit der CDU wie mit den Sozialdemokraten ins Koalitionsbett steigen, als nicht mehr verläßlich. Zudem taugt der durch zahlreiche politische Niederlagen gebeutelte Trittin schon längst nicht mehr als Aushängeschild der linken Parteiminderheit. Die atomkritische Basis der Grünen hat der Minister durch sein floskelreiches Auftreten verprellt, die Energiepolitiker der Partei kreiden ihm an, durch unabgesprochene, wenig durchdachte und taktisch unkluge Vorstöße den grünen Einfluß auf die Konsensgespräche mit der Energiewirtschaft auf ein Minimum reduziert zu haben. Sie verweisen auf den geringen Fachverstand Trittins, dessen politische Schwerpunkte bis zu seinem Aufstieg zum Bundesumweltminister weniger in den ur-grünen Bereichen Umweltschutz und Atomausstieg, sondern in Fragen der Innen-, Ausländer- und Rüstungspolitik lagen. »Jürgen hat in der Partei keine Fürsprecher«, sagt ein grüner Funktionär. »Er ist maximal isoliert«.
Eine Isolation, die bei Trittin deutliche Spuren hinterlassen hat. Unter dem scheinbar undurchdringlichen Panzer ist der Einzelgänger spürbar dünnhäutig geworden. Trittins feine Ironie ist grobem, oft auch die wenigen verbliebenen politischen Freunde verletzenden Zynismus gewichen, der Charme, der den 1,96-Meter-Koloß einst ausgezeichnet hat, bleibt unter einer fast permanenten Übellaunigkeit verborgen.
Doch die Selbstverliebtheit Trittins erträgt es offenbar nicht, das verbrannte Feld einfach zu räumen. Seit seine Ambitionen, Europakommissar auf grünem Ticket zu werden, wohl endgültig Schiffbruch erlitten haben, hat sich der grüne Politiker mit sturer Beharrlichkeit im Umweltministerium eingerichtet. Ein Angebot, die mit 46 000 Mark Monatssalär vergütete Nachfolge des Hohen Repräsentanten für den Wiederaufbau Bosniens, Carlos Westendorp, zu übernehmen, lehnte Trittin dem Vernehmen nach ab und vergab damit die Chance, sich ehrenvoll aus dem Kabinett zu verabschieden.
Die meisten Grünen würden es - flügel übergreifend - gerne gesehen haben, wenn sich Trittin, Bodo Hombach gleich, in der Balkan-Politik hätte entsorgen lassen. »Fischer verprellt uns ein paar linksorientierte Wähler, aber er gewinnt viele in der bürgerlichen Mitte. Trittin kostet uns überall Stimmen«, sagt ein Grüner, der durchaus nicht dem stramm realpolitischen Lager zuzuordnen ist. So schielen die Fundis und Realos gemeinsam darauf, den ungeliebten Minister im Rahmen einer größeren Kabinettsumbildung Anfang kommenden Jahres, die in den gutinformierten Bonner Kreisen als wahrscheinlich gilt, möglichst geräuschlos loszuwerden. Eventuelle Nachfolgerinnen und Nachfolger werden unter der Hand bereits ausgeguckt. Als eine der Favoritinnen gilt die amtierende nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn.
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