Müntefering ist am Zug

Hamburg-Wahl Die Möglichkeit eines Kanzler-Sturzes rückt näher

Es mag für die SPD ein schwacher Trost sein, dass dieser für sie eher desaströse Wahlsonntag vor allem von landes- und weniger von bundespolitischen Aspekten bestimmt wurde und dass die von der CDU zur Bürgermeisterwahl umgewidmete Bürgerschaftswahl vor allem das Votum für einen ungeheuer beliebten Regierungschef war, dem ein ernstzunehmender Gegner fehlte. SPD-Kandidat Thomas Mirow entpuppte sich in der Rolle des Herausforderers als Fehlbesetzung: Ein Politiker, dessen Qualitäten als Strippenzieher hinter den Kulissen, als moderner Politikmanager unbestritten sind, der aber kein Typ für die erste Reihe ist. Ole von Beust ist unterdessen zur hanseatischen Kultfigur avanciert und hat dabei noch machtpolitisches Kalkül bewiesen (zumindest stellt es sich im nachhinein so dar). Er ließ sich von seinen Koalitionären Ronald Schill und FDP-Konteradmiral Rudolf Lange an die Macht bringen, um sich im gebotenen Augenblick von ihnen zu trennen.

Freilich spielte auch die Agenda-2010-Politik von Rot-Grün eine Rolle. Ohne den bundespolitischen Abwärtssog wäre die Hamburger Talfahrt der SPD nicht zu erklären. Die Zahlen von CDU und SPD liegen fast punktgenau auf dem Bundestrend, der die Christdemokraten bei 48 Prozent, die Sozialdemokraten aber nur bei 29 Prozent sieht. Auch der angekündigte Wechsel an der SPD-Spitze vermochte die Abwärtsspirale nicht zu stoppen. Mehrfach war Franz Müntefering zu Wahlkampfauftritten an die Elbe gereist, um zu retten, was nicht mehr zu retten war. Der erhoffte Effekt blieb jedoch aus, die Niederlage der Hamburger SPD ist deshalb - zumindest in zweiter Linie - auch eine Niederlage des designierten Parteichefs .

Müntefering und Schröder stehen nach der Hamburg-Wahl unter wachsendem Druck, einen schnellen Stimmungsumschwung zu schaffen. Bis zum 13. Juni, an dem das Europaparlament, der thüringische Landtag und in sechs Bundesländern die Kommunalparlamente gewählt werden, bleiben gerade noch 100 Tage. Spätestens im September, wenn die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und dem Saarland sowie die nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen ins Haus stehen, muss die SPD wieder punkten. Hat der Genosse Trend bis dahin nicht die Richtung geändert, wird auch Müntefering die Risse in der Partei nicht mehr zu kitten vermögen.

Unstrittig ist aber wohl auch, der sogenannte Reformkurs, der nichts anderes ist als Sozialabbau in allen Lebensbereichen, lässt sich nicht mehr umkehren, allenfalls noch sozial abfedern und besser vermarkten. Bleiben die erhofften wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Erfolge aus, dürfte die Sozialdemokratie dem Sog, der sie immer weiter in die Tiefe zieht, nicht mehr entkommen. Das Image, Partei der sozialen Gerechtigkeit zu sein, hat die SPD längst verloren.

Die Grünen blieben vom Wählergroll über das Berliner Reformchaos verschont. Nicht Tritt fassen konnte wiederum die PDS. Sie erhielt in Hamburg, wo sie in einem breiten linken Bündnis namens Regenbogen antrat und nur ein mageres Prozentpünktchen ergatterte, erneut einen kräftigen Dämpfer. Trotz Agenda 2010, trotz Rekordarbeitslosigkeit und zunehmender Armut, verfügen linke Alternativen in den alten Ländern weder über Charme noch Chance. Auch deshalb ist das traditionell rote Hamburg seit Sonntag tiefschwarz.


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