Es könnte die letzte, alles entscheidende Verhandlung sein. Wenn sich an diesem Wochenende in Saarbrücken die Mitglieder des Vermittlungsausschusses zum Feinschliff am Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes treffen, haben sie die Ziellinie dabei fest im Blick. Mit einem "baldigen Ergebnis" rechnet nicht nur Bundesinnenminister Otto Schily - auch der Verhandlungsführer der Opposition, Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), übt sich in vorsichtigem Optimismus.
Fünf Jahre währt inzwischen das Gezerre um das Gesetz. Erst fanden Sozialdemokraten und Grüne keinen gemeinsamen Nenner, danach blockierten die Unionsparteien das Kompromisspapier der Koalition. Fünf Jahre, in denen jede Textpassage der Ursprungsentwürfe mehrfach zerkaut wurde: Übrig geblieben ist ein schwer verdaulicher Brei, der niemandem mehr recht schmecken will.
Was ursprünglich die Zuwanderung und Integration von Ausländern im Einwanderungsland Deutschland regeln und verbessern sollte, hat seine Geschmacksnote inzwischen grundlegend verändert. Statt Eingliederung steht nun Abschiebung im Vordergrund. Nichts hat diese Verkehrung der einstigen Zielsetzungen in ihr Gegenteil besser verdeutlicht, als die von der Union nach den Anschlägen von Madrid in die Gesetzesberatungen eingeführte Debatte um die "Abschiebung bei Verdacht". Gibt es Erkenntnisse der deutschen Sicherheitsbehörden, die eine Annahme rechtfertigen, dass der hier lebende Ausländer einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, soll er ohne die Einhaltung langwieriger Rechtswege außer Landes geschafft werden können. Darin sind sich Schily und Beckstein inzwischen einig. Die Einwanderungsnovelle mutiert so zu einem Terrorbekämpfungsgesetz.
Otto Schily meidet dabei die Formel von der "Ausweisung auf Verdacht" wie der Teufel das Weihwasser - wenn nicht mehr Beweise, sondern nur Verdächtigungen als Ausweisungsgrund zählen, ahnt der ehemalige Strafverteidiger, wird der Bruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien allzu offensichtlich. Das deutsche Recht kennt den Verdacht als Anfangsverdacht im Strafverfahren - als Voraussetzung für jede staatsanwaltschaftliche Ermittlung. Erst wenn der Verdacht erhärtet ist, kommt es zur Anklage, erst wenn er bewiesen wurde, zur Verurteilung. Um zu kaschieren, dass dieses grundlegende rechtsstaatliche Prinzip im Zuwanderungsgesetz ausgehebelt werden soll, spricht der Bundesinnenminister deshalb statt vom Verdacht lieber von einer "tatsachengestützten Gefahrenprognose". Die Ausweisung ohne Beweis ersetzt Rechtsstaatlichkeit durch Willkür. Im Zuwanderungsgesetz als zentraler Punkt festgeschrieben, hat sie noch eine andere Konsequenz: die subtile Diskreditierung von ausländischen Mitbürgern überhaupt; ein Generalverdacht gegen alles Fremde.
Verdacht kann niemand widerlegen - er kann zutreffen oder auch nicht. Stellt schon die geplante Verkürzung des Rechtsweges auf eine einzige Instanz - das Bundesverwaltungsgericht - eine drastische Einschränkung der Verfahrensrechte dar, so macht die Annahme als Grundlage einer Ausweisungsverfügung, das Verfahren vollends zur Farce. Wie sich dagegen verteidigen, wenn die Sicherheitsbehörden glauben, ein Mensch könnte sich aufgrund seiner Biografie, seiner Kontakte, seiner Einstellungen irgendwann einmal zu einer Gefahr für diese Gesellschaft entwickeln?
Die Versuchung für Politiker, dem Terrorismus mit hektischem Aktionismus und dem Abbau rechtsstaatlicher Garantien zu begegnen, ist nach den Anschlägen von Madrid noch einmal gewachsen. Dass heute schon das geltende Recht erlaubt, einen Ausländer auszuweisen, "wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigt" gerät dabei schnell in Vergessenheit. Eine Formulierung, die Schily und Beckstein nicht weit genug geht, weil hier dem Gericht immer noch Fakten beigebracht werden müssen, um eine Ausweisung juristisch durchzupauken.
Am offensichtlichsten aber wird der Bruch mit den Prinzipien des Rechtsstaats, wenn Otto Schily die Sicherheitsverwahrung von Terror-Verdächtigen fordert, die nicht abgeschoben werden können, weil ihnen in ihrer früheren Heimat Folter und Todesstrafe drohen. Das willkürliche Wegsperren Verdächtiger auf unbestimmte Zeit ist mit geltendem Recht nicht in Deckung zu bringen. Auch Günther Becksteins Vorstoß, nicht nur potenziell gewaltbereite Ausländer, sondern auch erwiesene Extremisten auszuweisen, verlässt den Boden der Verfassung. Friedlicher Extremismus ist nicht strafbar, sondern steht unter dem Schutz der im Grundgesetz verbürgten Meinungsfreiheit.
Der Frankfurter Jurist und Publizist Victor Pfaff hat zu Recht die Frage gestellt, ob das, was mit der Ausweisung auf Verdacht erreicht werden soll, eigentlich klug ist. Ist es denn schlau, angeblich gewaltbereite Extremisten, die hier unter der Beobachtung von Polizei oder Staatsschutz stehen, "in den Schoß ihrer Terrorfamilie" zurückzuschicken? Dabei so zu tun, als lasse sich die Gefahr abwenden, indem man vermeintliche Terroristen exportiert und damit der Beobachtung entzieht?
Die Grünen haben die Debatte um die Ausweisung auf Verdacht mit kritischen Tönen flankiert, Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte die Vorschläge der CDU gar "abstrus". Doch die grüne Begleitmusik wird trotz einiger schräger Töne wohltemperiert vorgetragen: Schließlich ist und bleibt das Einwanderungsgesetz auch ein Kind der Grünen, selbst wenn der Balg mit zunehmendem Alter immer hässlichere Züge aufweist. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau fand da auf einer Veranstaltung der IG-Metall deutliche Worte: "Angekündigt war ein modernes Einwanderungsrecht. Nun droht ein fragwürdiges Polizeigesetz. Nach Lage der Dinge sage ich heute: Besser kein Einwanderungs-Gesetz, als ein schlechtes von Unions Gnaden".
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.