Blutleerer Bundestag braucht Radikalkur

Debattenkultur Wie kann man die Debattenkultur im Bundestag lebendiger und bürgernäher gestalten?

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Blutleerer Bundestag braucht Radikalkur

Bild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Die Diskussion darum ist erneut entbrannt, doch die meisten Vorschläge greifen zu kurz. Die Defizite sind größer als viele glauben. Zudem muss man den massiven Einflussverlust des Parlaments mitdenken.

Ritualisiert und langweilig

Die Debatten im Plenum sind häufig reine Showkämpfe mit gleichen, vorhersehbaren Riten und Abläufen. Die Kritik bezüglich der leeren Plätze greift ins Leere, denn parallel finden wichtige Sitzungen und Vorbereitungen statt und sicher steigert ein vollerer Plenarsaal nicht die Qualität und Aufmerksamkeit. Die wichtigen Entscheidungen fallen zudem hinter geschlossenen Türen - nicht transparent und in kleinen Runden. Wenn überhaupt sind noch die Ausschüsse spannende Gremien, in denen die Positionen der Fraktionen deutlich werden und nicht alles völlig vorhersehbar abläuft. Aber auch diese tagen nur in Ausnahmefällen öffentlich. Vor allem die sogenannte Befragung der Bundesregierung wird immer mehr zu einem Trauerspiel. Sie ist nicht mehr als das Vorlesen von vorbereiteten Antworten durch Staatssekretäre.

So verwundert es kaum, dass es in der Öffentlichkeit kaum noch Interesse an aktuellen Debatten und Diskussionen im Bundestag gibt. Auch die Abgeordneten gehen meist nur zu den Debatten, die ihre Fraktionen zu Schwerpunkten deklarieren oder bei denen sie fachpolitisch involviert sind. Ich persönlich liebe die politische Debatte, den Austausch von Argumenten, aber im Plenum bin ich immer häufiger nur noch aus Pflichtgefühl. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass dem Bundestag die Querköpfe, die Vordenker ausgehen. Nicht nur die Zwischenrufe sind weniger geworden, sondern auch die Typen in der Politik, die im Zweifel ihrem Gewissen folgen und deren Herz auf der Zunge liegt. Angepasstheit erhöht die Karrierechance. Insgesamt haben sich die Fraktionen nicht nur inhaltlich, sondern auch vom Stil und Auftreten her angenähert.

Vorschläge für eine Frischzellenkur

Es gibt Maßnahmen, die das Parlament dennoch lebendiger und offener machen können. Der Bundestag sollte die Mitte der politischen Auseinandersetzung werden. Die Ausschüsse sind das Herz des Bundestages und dieser Bedeutung sollten wir mehr Rechnung trage. Dazu sollten Fachausschüsse generell öffentlich tagen, was bedeutet, dass Zuschauer zugelassen sind und die Sitzungen live im Internet übertragen werden. Öffentliche Sitzungen sollten die Regel, nicht-öffentliche die Ausnahme sein. Daneben sollte man auch andenken, ob man bestimmte Debatten und Abstimmungen vom Plenum in den Ausschuss verlegt. Damit entschärft man auch das unwürdige Schauspiel, dass die Debatten ohne Publikum bis spät in die Nacht stattfinden und ab einer nachtschlafenden Uhrzeit die Reden sogar nur zu Protokoll gegeben werden. Ich halte es auch für denkbar, dass sachkundige Bürger rotierend (vielleicht ähnlich wie Schöffen bei Gericht) in den Ausschüssen Rederecht erhalten.

Auch die Anhörungen, die es zu bestimmten aktuellen Themen in den Ausschüssen gibt, sollten reformiert werden. Im Moment ist es die Regel, dass jede Fraktion Sachverständige benennt, die dann letztendlich nur die Position der jeweiligen Fraktion bestätigen. So verkommen diese Anhörungen zu einer Farce: die Positionen stehen vorher schon fest und es gibt keinerlei Erkenntnisgewinn. Um dies zu vermeiden, sollte es für die Zivilgesellschaft möglich sein, Anhörungen in den Fachausschüssen zu initiieren und dann auch eigene Sachverständige zu benennen. Zudem könnten Fragen mit besonders viel Zustimmung (könnte über neue Medien ermittelt werden) dann auch in diesen Anhörungen gestellt werden.

Um die Debatten im Plenum interessanter zu gestalten, wäre es nötig, die Fragestunde zu reformieren. In Großbritannien gibt es z.B. regelmäßig einen offenen Schlagabtausch zwischen Premierminister und Unterhaus. Dies wäre auch für Deutschland denkbar: die Kanzlerin sollte den Abgeordneten zumindest jede zweite Sitzungswoche im Plenum Rede und Antwort stehen. Genau diesen Vorschlag hatte die SPD-Bundestagsfraktion vor kurzem gemacht. Leider sperrt sich die Union jedoch dagegen und verhindert dadurch eine regelmäßige Befragung der Kanzlerin. Eine direkte verbale Konfrontation, könnte natürlich auch mit Ministern stattfinden oder zwischen Parlamentariern. Am Spannendsten wäre es, wenn eine Art Dialog entsteht, also kurze Rede – Gegenrede - erneute Erwiderung – erneute Gegenrede.

Zudem bin ich immer mehr dafür, dass wir einige wichtige Debatten vom Fraktionszwang lösen, so wie das bei wichtigen ethischen Fragen – wie aktuell bei der Diskussion um die Sterbehilfe – bereits der Fall ist. Diese ethischen Debatten gehörten in der Vergangenheit zu den Sternstunden des Bundestages. Hier gab es - oh Wunder - immer wieder Mehrheiten jenseits der starren Fraktionsmehrheiten, ohne dass die Regierung wie sonst üblich das Abstimmungsverhalten vorgibt und abnicken lässt. Dies sollte bei essentiellen Entscheidungen, beispielsweise bei Auslandeinsätzen, Grundgesetzänderungen oder auch Fragen zur Atompolitik möglich werden. In Kombination mit der direkten Bürgermitentscheidung würden wir hier sicher viel spannendere und demokratischere Entscheidungen bekommen.

Enquete „Lebendige Demokratie“

Über die genannten Ansätze kann man diskutieren und es sind ja bereits weitere Vorschläge gemacht worden, wie z.B. in der letzten Legislaturperiode von der SPD Bundestagsarbeitsgruppe „Demokratie“ (Positionspapier: Demokratie erneuern, Demokratie leben: http://www.spdfraktion.de/sites/default/files/demokratie_erneuern_demokratie_leben_-_12.3.2012_positionspapier_ag.pdf). Leider landen viele Vorstöße meist in der Schublade. Vor allem die Unionsspitze möchte möglichst alles verhindern, was innovativ ist oder Bürgerinnen und Bürgern mehr Transparenz und Mitmachmöglichkeiten verschafft. Dabei lebt die Demokratie von Weiterentwicklung und stetiger Überprüfung. Daher ist die öffentliche Diskussion, die von einigen Journalisten und Initiativen jetzt erneut entfacht wurde, so wichtig. Um sie am Laufen zu halten wäre es ein erster Schritt, eine Enquetekommission: „Lebendige Demokratie“ ins Leben zu rufen. Insgesamt ist aber auch bei den Medien ein Umdenken notwendig. Es wäre hilfreich, wenn nicht immer nur die gleichen „Großkopferten“ ihre abgeschliffenen und überprofessionellen Thesen in die Kamera posaunen, sondern mehr auch die Fachpolitiker zu Wort kommen. Statt den 112. Bericht zur Mautdebatte, wäre ein Blick in Hinter die Kulissen der Arbeit im Bundestag angebrachter.

Vor allem sollte uns aber bewusst sein, dass uns alle Innovation und Lebendigkeit nur nutzen, wenn wir Abgeordnete endlich unser Selbstvertrauen zurückgewinnen. Wir sind die Legislative, der Gesetzgeber, sollten das Herz der Demokratie sein. Wir sind in erster Linie unserem Gewissen und den Wählerinnen und Wählern verpflichtet und dürfen nicht zu einem reinen Erfüllungsgehilfen der Regierung oder gar einiger einflussreichen Lobbyisten werden.

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