Mehr Dreckwühler!

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Engagierte Journalisten und Bürger, die Zivilcourage zeigen, die Missstände aufdecken und anprangern, werden nicht selten als „Nestbeschmutzer“ abqualifiziert. Doch eine gesunde Demokratie muss diese Art der Kritik nicht nur ertragen, sondern sollte sie fördern.

Muckraker und Wallraffa

Einer der ersten Journalisten und Schriftsteller, der sich in die schmutzigsten Winkel gewagt hat, um zu recherchieren, der im „Dreck gewühlt hat“, um dann mit Schrift und Wort darüber zu berichten, war der amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair. Er verfasste unzählige Romane, Sachbücher, journalistische Artikel und engagierte sich als Sozialreformer. Sein zentrales Thema war die soziale Gerechtigkeit, der Kampf für mehr Mitbestimmung und Meinungsfreiheit. Sinclairs Erlebnisse und die ausbeuterischen Zustände in den amerikanischen Schlachthöfen ließ er in den Roman „The Jungle“ einfließen. Trotz zahlreicher Preise blieb er für die mächtigen Politiker und Wirtschaftsbosse ein unbequemer Störenfried. Präsident Theodore Roosevelt prägte für ihn den Schimpfnamen Muckraker, was so viel bedeutet, wie Dreckwühler oder Nestbeschmutzer. Muckraker wird in der amerikanischen Alltagssprache noch heute für sozialkritische Literatur oder Enthüllungsjournalismus benutzt.

Günter Wallraff ist so etwas wie die deutsche Version von Upton Sinclair, auch wenn er seine Erlebnisse und Recherchen in Sachbüchern und Artikeln und nicht in Romanen verarbeitet hat. Wallraff hat in Deutschland wie kein anderer den „investigativen Journalismus“ geprägt. In „Der Aufmacher. Der Mann, der bei „BILD“ Hans Esser war“ schildert er beispielsweise seine Erfahrungen bei der BILD und weist der Boulevardzeitung schwere journalistische Versäumnisse und unsaubere Recherchemethoden nach. In Norwegen und Schweden wurde sein Name - „wallraffa“ - in den Wortschatz als Synonym für „verdecktes Ermitteln“ aufgenommen.

Savianos Gomorrha

„Ein Wort sei zurückgekehrt ins Bewusstsein, in unsere Alltagssprache. Ein einziges Wort, das alle bisherigen Geschwister-Scholl-Preisträger charakterisiert, allen voran unseren heutigen, dreißigsten und selbst erst dreißigjährigen Roberto Saviano: ich spreche von Zivilcourage“. So beginnt eine Laudatio für Roberto Saviano, der es gewagt hat, ein Enthüllungsbuch („Gomorrha - Reise ins Reich der Camorra“) über Italiens Unterwelt zu schreiben. Nachdem das Buch ein Welterfolg wurde, musste der Autor wegen der Racheankündigungen der Camorra untertauchen. Er wird seitdem nicht nur aus Angst gemieden und ausgegrenzt, angeheizt wird die Diskreditierung von hochrangigen Politikern, wie Silvio Berlusconi, die Saviano als „Nestbeschmutzer“ beschimpfen.

Saviano schildert in „Gomorrha“ eindrucksvoll, warum mehr schweigen, als reden: „Aber in einem Land, wo das wahr ist, was Geld einbringt, und das eine Lüge, was einem zum Verlierer macht, bleibt solch eine Entscheidung (zur Aufklärung) nicht nachvollziehbar. Und so kommt es, daß selbst die Menschen, die einem nahestehen, plötzlich irritiert und sich von demjenigen entlarvt fühlen, der den Grundregeln des Lebens zuwiderhandelt, dessen Regeln sie selbst ganz fraglos akzeptiert haben. Akzeptiert haben ohne Scham, denn letztlich muß es ja so laufen, weil es schon immer so gelaufen ist, weil man aus eigener Kraft ohnehin nichts ändern kann und es daher besser ist, seine Kräfte zu schonen, in den alten Bahnen zu verharren und so zu leben, wie es einem zugestanden wird."

Gegengewichte schaffen

Auch prominente Kritiker sind vor Diskreditierungen nicht sicher, auch sie werden ausgegrenzt. Weniger bekannte Querdenker haben zudem kaum eine Chance, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Der Grat zwischen „Nestbeschmutzung“ und „Zivilcourage“ ist schmal. Natürlich schießen viele Kritiker über das Ziel hinaus, sind nicht alle Aufklärer idealistische Überzeugungstäter oder objektive, gute Rechercheure. Dennoch sollten wir gerade die Arbeit schätzen, die Widerspruch erregt, die enthüllt, die sich die Finger schmutzig macht. Wir brauchen ein Korrektiv zu der häufig oberflächlichen Berichterstattung und dem „Gefälligkeitsjournalismus“, der die starken Lobbys und ihre Protagonisten schont oder sich gar ihrer PR-Arbeit angleicht.

Der Ruf nach mehr investigativen und gut recherchiertem Journalismus ist leicht formuliert. Der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl weist zu Recht daraufhin, dass professionelle, gute Recherche auch eine Frage des Geldes ist (ZEIT, 12. August 2010: Qualität kostet): „Journalisten, die verlässlich mit eigenrecherchierten Informationen Schneisen in den Info-Dschungel schlagen und den PR-Sumpf trocken legen, erbringen eine wertvolle Dienstleistung. Wenn nicht wir, die Leser, Hörer, Zuschauer oder User dafür aufkommen, dann werden entweder solche Leistungen nicht erbracht, oder sie müssen von dritter Seite finanziert werden.“ Doch diese „dritte Seite“ hätte natürlich Eigeninteressen und vor allem keine Interesse daran, selbst kritisiert zu werden.

Es geht also um mehr, als die „Dreckwühler“ aus der Schmuddelecke zu holen und ihnen die notwendige Öffentlichkeit zu verschaffen. Wir brauchen auch eine Diskussion, was uns guter Journalismus, aufwändige Recherchen wert sind und wie wir sie finanzieren. Initiativen wie die journalistische Vereinigung „Netzwerk Recherche“ liefern dazu gute Ansatzpunkte und setzen einen Kontrapunkt zum PR-Journalismus. Aber nicht nur Medienleute sind in der Pflicht. Enthüllende Worte, Zivilcourage brauchen wir in allen Gesellschaftbereichen, die immer stärker von mächtigen Lobbyinteressen und ihren Erfüllungsgehilfen beherrscht werden. Der vollständigen Ökonomisierung unserer Lebensbereiche sollten wir Transparenz, Aufklärung und Selbstbestimmung entgegensetzen. Engagierte Organisationen wie „Transparancy“, „Lobbycontrol“ können dafür nur der Anfang sein.

In „Gomarrha“ gibt der italienische Dreckwühler Saviano auch das passende Schlusswort: „Wissen, verstehen und ergründen, ist daher nicht bloß eine moralische Pflicht, es ist eine Überlebensfrage. Ohne diese Selbstverpflichtung ist kein menschenwürdiges Dasein möglich“

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