Mehr Humanität und Prävention

Außenpolitik Wir brauchen eine ehrliche Debatte über Deutschlands „neue Verantwortung“.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Verteidigungsministerin von der Leyen spricht gern über Deutschlands "neue Verantwortung"
Verteidigungsministerin von der Leyen spricht gern über Deutschlands "neue Verantwortung"

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Als es in Ruanda 1994 zu Vertreibungen und unglaublichen Gewalttaten kam, die ca. einer Million Menschen das Leben kosteten, schaute die Weltgemeinschaft nur zu. Es gab keine ernsthafte Debatte über eine militärische Intervention, Waffenlieferungen oder ähnliches. Die damalige Bundesregierung hielt sich zurück, ebenso der Teil der Medien, der sonst gerne mehr Verantwortung im Ausland einfordert. Bei anderen Konflikten dagegen sind Regierung und viele Meinungsträger schnell dabei, Auslandseinsätze der Bundeswehr oder zumindest Waffenlieferungen für unabdingbar zu erklären. Viel seltener allerdings gibt es eine Debatte darüber, wie es um unsere humanitäre Hilfe, um Prävention und Entwicklungshilfe bestellt ist – ganz so als ließe sich internationale Verantwortung auf militärische Einsätze reduzieren.

Da passt es ins Bild, dass seit Monaten vielfach über die „neue Verantwortung“ Deutschlands geredet wird und Bundespräsident Gauck, Verteidigungsministerin von der Leyen und andere wieder einmal vor allem an Bundeswehreinsätze und Waffenlieferungen denken. Natürlich wird in diesem Zusammenhang mehr Geld für die Bundeswehr gefordert, obwohl der Verteidigungsetat sowieso schon jedes Jahr einen der größten Haushaltsposten darstellt. Gleichzeitig entfernen wir uns auf der anderen Seite immer weiter von den von uns mit unterschriebenen Entwicklungszielen, den so genannten „Millennium Zielen“. Die notwendige Verantwortung bei Prävention und Entwicklungshilfe fällt der schwarzen Null der Bundesregierung zum Opfer. Es ist Zeit, eine zusammenhängende Debatte einzufordern und den Tarnhelm abzusetzen.

Es stimmt, dass Deutschland mit zunehmender wirtschaftlicher Stärke zu einem wichtigen Akteur in der internationalen Politik herangewachsen ist. Es hat sich durch seinen Einsatz für multilaterale Institutionen und eine regelbasierte Weltordnung das Vertrauen und den Respekt seiner Nachbarn und internationaler Partner verdient. Deshalb bin auch ich der Meinung, dass Deutschland vermehrt Verantwortung übernehmen und seine außenpolitische Strategie anpassen muss. Aber die Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik ist eine wichtige politische Diskussion, die wir in der Öffentlichkeit führen müssen und bei der wir die humanitäre und präventive Hilfe in den Vordergrund stellen sollten!

Prävention statt Intervention!

Eigentlich hat sich Deutschland als Zivilmacht dem Vorrang von zivilen vor militärischen Mitteln verschrieben und sich in diversen internationalen Abkommen zur Abrüstung und Nichtverbreitung von Waffen verpflichtet. Tatsächlich räumen wir allerdings militärischen Vorhaben wesentlich mehr finanzielle Mittel ein als humanitären oder entwicklungspolitischen Maßnahmen und unsere Rüstungsexporte konterkarieren jegliche Abrüstungsbestrebungen. Während einerseits Waffenlieferungen in den Nordirak beschlossen werden, kürzt man andererseits die Mittel des Auswärtigen Amtes für humanitäre Hilfe.

Deutschland beteiligt sich aktuell mit ca. 4.500 Soldaten an insgesamt 17 Missionen der NATO, UNO und der EU. Selbst wenn einige dieser Einsätze humanitär gerechtfertigt wären, muss man sich doch sowohl ihrer moralischen, als auch ihrer finanziellen Dimension bewusst sein. Allein im letzten Jahr fielen einsatzbedingte Zusatzausgaben von über 900 Millionen Euro an. Obwohl zivile Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit uns eine wesentlich günstigere Alternative bieten, verkommen sie zu Stiefkindern.

Selten ist eine Konfliktsituation außerdem so eindeutig, dass die Entscheidung für oder gegen eine Intervention zweifellos ist und gerade Einsätze, die Staatsbildungsprozesse und Krisenintervention in den Vordergrund stellen, sind häufig ein ethisch vermintes Terrain. Militärische Interventionen in Konflikten bewegen sich in einem Bereich, in dem wir in ‚gut‘ und ‚böse‘ unterscheiden wollen. Aber die Realität ist meist viel komplexer und nur selten ist es möglich, eine der beiden Konfliktparteien anhand ihrer Motive und Taten eindeutig als die gerechte und unterstützenswerte Partei zu identifizieren. Gleichzeitig zeigen uns die Erfahrungen in Afghanistan und dem Irak, dass ein militärischer Einsatz nicht mit dem Ende der unmittelbaren Kämpfe endet, sondern langwierige und teure Wiederaufbaumaßnahmen nach sich zieht. Wenn man sich also dafür entscheidet, sich einzumischen, dann sollte man weder sich noch die Öffentlichkeit darüber täuschen, dass damit unkalkulierbare Kosten und Verantwortungen auf uns zukommen.

Anstatt überall auf der Welt militärisch Krisenherde bekämpfen zu wollen, sollte es unser Ziel sein, frühzeitig dafür zu sorgen, dass Konflikte gar nicht erst ausbrechen. Ein Rebellenführer im Südsudan brachte es einmal auf den Punkt, warum arme Länder so viel häufiger gewaltsame Konflikte erleben als reiche Länder, indem er feststellte, dass ein Leben unter den gegebenen Bedingungen so wenig wert sei, dass es sich schlichtweg lohne zu rebellieren. Waffengewalt ist in solch einer Situation sicherlich nicht das geeignete Mittel, um dieser tiefgreifenden Frustration zu begegnen. Vielmehr hat hier die internationale Gemeinschaft die Pflicht die unterschwelligen Ursachen solcher Probleme wie humanitärer Not, erodierter Staatlichkeit und Diskriminierung entschieden zu bekämpfen.

Meine Zerrissenheit

Ich verstecke mich nicht hinter der simplen Forderung: Jeder Einsatz und jede Intervention der Bundeswehr muss abgelehnt werden. Dies ist zwar eine klare und einfache Position, aber ich glaube es gibt Extremsituationen, wo ein Eingreifen ernsthaft in Erwägung gezogen werden muss oder auch als Drohkulisse bei Verhandlungen in Frage kommt. Dennoch bleibe ich gegenüber jedem einzelnem Einsatz skeptisch und diese kritische Überprüfung sollte jeder Volksvertreter vornehmen. Ich bin nach wie vor verstört darüber, wie schnell man Bundeswehreinsätzen zustimmt, während gleichzeitig Menschenrechtler und Entwicklungshilfepolitiker im Bundestag um winzige Fortschritte kämpfen müssen.

In 12 Jahre Bundestag habe ich leider meistens Diskussionen erlebt, bei denen humanitäre Begründungen vorgeschoben wurden, während eigentlich strategische Erwägungen die entscheidende Rolle für Einsätze gespielt haben. Häufig konnte ich auch die „Ultima Ratio“ nicht erkennen. Jede einzelne Abstimmung, bei der es um Leben und Tod geht, sollte ein Gewissenskampf sein und darf nicht einer Fraktionsdisziplin untergeordnet werden. Es ist auch keine Frage, die man der Regierung alleine überlassen darf.

Auch „Nichtexperten“ sollten ihre Positionen stärker einbringen und wir müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung Auslandseinsätze skeptisch betrachtet. Ich bin überzeugt davon, dass wir eine möglichst transparente öffentliche Diskussion darüber brauchen, wie wir unsere internationale Verantwortung wahrnehmen wollen. Jedes Bauchgefühl eines „Normalbürgers“ hat für mich Vorrang vor den mächtigen Stimmen der Waffenlobby, die uns Politiker viel zu stark beeinflussen.

Zusammen mit meinem Team habe ich ein umfangreiches Dossier erstellt, in dem ich dieses Thema vertieft habe. Das Dossier ist hier zu finden.

Meine Kernforderungen

  • Wir brauchen ein neues Gesamtkonzept deutscher Außenpolitik, das dem engen Zusammenhang von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik Rechnung trägt. Um effektive Friedenspolitik zu leisten, darf Konfliktprävention nicht länger eine leere Worthülse bleiben, sondern muss aktiver betrieben werden.
  • Wir müssen die Flüchtlingsfrage in Deutschland neu aufrollen. Angesichts der aktuellen Lage in Syrien und der dramatischen Situation in den überfüllten Flüchtlingscamps der Nachbarstaaten muss Deutschland mehr Bereitschaft zeigen Flüchtlinge aufzunehmen.
  • Deutschland muss sich einer wertegeleiteten Politik hinsichtlich seiner Rüstungsexporte verpflichten, die Menschenrechte anstatt Profite in den Mittelpunkt stellt. Eine höhere Transparenz und eine stärkere Beteiligung des Parlamentes sind dringend notwendig. Ich schließe mich der Forderung nach einem Expertenrat für Rüstungsexporte, ähnlich dem Rat der Wirtschaftsweisen, an.
  • Statt mehr Geld für die Bundeswehr zu fordern, sollten die Ausgaben für Verteidigung lieber mit den Investitionen für Prävention, Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe gekoppelt werden. Ziel könnte ein Junktim werden, dass für jeden Euro für den Wehrhaushalt auch mindestens ein Euro in drei anderen Bereiche fließt.
  • Wir müssen endlich entschlossene Schritte unternehmen, um unser Versprechen einzulösen, 0,7 Prozent unseres BNEs als offizielle Entwicklungshilfe bereit zu stellen. Davon sind wir mit aktuell lediglich 0,38 Prozent noch weit entfernt und im Begriff sowohl unser Wahlversprechen als auch den Koalitionsvertrag zu brechen.
  • Im Sinne präventiver Politik müssen Fragen des Klima- und Ressourcenschutzes endlich ergebnisorientiert angegangen werden. Deutschland stößt de facto jedes Jahr zu viel CO2 aus. Der Klimawandel wird gerade die Entwicklungsländer hart treffen, und wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass diese Probleme uns nicht im Endeffekt wieder einholen.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden