Lobbymacht, ausgehebelte Abgeordnetenrechte und atomare Zukunft:
In acht Jahren Bundestag und über 20 Jahren aktiver Politik in einer Partei, in der Kommune, habe ich doch schon eine Menge erlebt. Ich habe mitbekommen wie stark man demokratische Rechte dehnen, Minderheitenrechte aushebeln und begrenzen kann – wie man Entscheidungen durchpeitscht und Diskussionen unterbindet. Ich bin niemand, der sich mit Kritik gegenüber der eigenen Partei zurückhält; was aber die Regierung und ihre Fraktionen in dieser Sitzungswoche im Bundestag durchgezogen haben, schlägt alle Rekorde.
Es war eine schwarze Woche, in gleich mehrfacher Hinsicht. Die Regierung hat im Bundestag die übelste Entscheidung der Legislaturperiode durchgepeitscht und die Verlängerung der Atomlaufzeiten beschlossen. Inhaltlich ein Super GAU, weil es die Erneuerbaren Energien ausbremst, die Stadtwerke schädigt und uns unnötig weiterem strahlenden Atommmüll und zusätzlichen Gefahren aussetzt (siehe meine Rede vom 1.10.2010 tiny.cc/vq6cv). Hinzu kommt, dass ein reines Lobbygesetz beschlossen worden ist. Es wurde für nur vier Konzerne ausgearbeitet und wird zu Lasten vieler mittelständischer Unternehmen gehen.
Der Vorgang ist einmalig: Als erstes holt Umweltminister Röttgen den obersten Atomlobbyisten Gerald Hennhöfer in sein Ministerium, damit er den Atomdeal mit seinen ehemaligen Kollegen verhandelt. Dann wird ein Institut (Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln) beauftragt, das mit den Geldern zweier Atomkonzerne seine Existenz sichert, um ein Gutachten zu erstellen, das als „wissenschaftliche“ Grundlage dienen soll. Als Sahnehäubchen übernimmt im Auftrag des Umweltministeriums eine Anwaltskanzlei die Ausarbeitung des Gesetzes, die sonst hauptsächlich von den Aufträgen des Atomgiganten RWE lebt. Eine heftigere Verflechtung von einseitigen Lobbyinteressen mit politischen Entscheidungen kann es kaum geben.
Als wäre dies nicht schon genug, wurden bei der Durchsetzung vielfach die Rechte des Parlaments ausgehebelt und der Bundesrat erst gar nicht gefragt. Dass die Regierungsfraktionen die Vorlage der Regierung ohne Beratung und Änderung abnickt, gehört ja fast schon zur Normalität. Dass aber der Opposition nicht genügend Beratungszeit eingeräumt und nicht einmal die Geschäftsordnung des Bundestages eingehalten wird, hat schon eine neue Qualität (Mehr dazu in meiner Persönlichen Erklärung, die ich vor der Abstimmung im Bundestag abgegeben habe: tiny.cc/72s3m).
Ein Vorgang, der eigentlich einen riesigen öffentlichen Aufschrei zur Folge haben müsste. Im Bundestag und in einem Teil der Öffentlichkeit hat es ihn auch gegeben. In vielen Medien wird aber ganz sachlich berichtet, als wenn es sich um eine ganz normale Debatte handeln würde, in der es halt zwei Meinungen geben kann. Ist es aber nicht. Hier steht mehr auf dem Spiel als die Zukunft unserer Energieversorgung – die natürlich wichtig genug ist. Hier geht es aber zusätzlich um unser Demokratie- und Politikverständnis. Auch Atomfreunde müssten sich dagegen wehren wie die Entscheidung zustande kam. 10 Abgeordnete von Union und FDP, die nicht für die Atomgesetze stimmten, haben dies auch getan. Dafür haben sie Respekt verdient.
Noch wackeln die Laufzeitverlängerungen, denn wir werden klagen und dann entscheidet sich die Zukunft der Atomgesetze in Karlsruhe. Aber auch das wird nicht die letzte Auseinandersetzung sein: In drei Jahren entscheidet die Bevölkerung bei der Bundestagswahl. Bis dahin muss der Widerstand gegen solch ein Vorgehen und gegen die Atompolitik im Parlament und auf der Straße fortgesetzt werden.
Kommentare 5
Herr Bülow, ich habe die Debatte gestern auf N24 zum Teil verfolgen können und auch einiges hier darüber gelesen, Tom Strohschneider war ja sehr fleissig, auch was Links betrifft. Ich stimme Ihnen zu, schlimmer kann die Regierung eine Opposition nicht behandeln. Nur, Ihre Hoffnung, dass der Protest 3 Jahre anhalten und die Wähler 2013 siich daran erinnern werden, halte ich leider für trügerisch, sorry.
"Nichts ist machtvoller als eine Idee, deren Zeit gekommen ist", schrieb Victor Hugo einstmals. Die Zeit dafür, dass das Volk seine Rolle als Souverän annimmt und ausfüllt, scheint mir doch noch in einiger Ferne zu liegen.
Dass Sie aber hier so offen schreiben und Fakten darlegen, lässt sie vielleicht wieder ein wenig näher rücken :)
Ich hoffe, dass die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht im kommenden Jahr Erfolg haben werden. NRW und Rheinland-Pfalz haben ja Klagen angedroht! Dieser Wahnsinn muss aufgehalten werden!
Sehr lobenswert Ihr Engagement – die Demokratie steht und fällt mit den Abgeordneten.
Die lobbyabhängigkeit der herrschenden Politik ist allen bekannt und die meisten sehen da auch das Kernproblem der Demokratie – das höre ich allerorten. Daher ist m.E. die Unabhängigkeit der Abgeordneten/der Politik vom Einfluss der Lobbyverbände, aber auch der taktierenden Parteifunktionäre, ein dringender Mehrheitswunsch und sollte ein wichtiges Thema bis zur nächsten Bundestagswahl sein.
Das wäre auch ein schönes Thema für ein Bürgerbrainstorming: „Welche Anforderungen sollte ein Bundestagsabgeordneter erfüllen?“
Vielen Dank für die Rückmeldungen und auch für den Tipp bezüglich des Bürgerbrainstorming. Müsste ich wirklich mal überlegen, wie man solch eine Befragung umsetzen könnte (zumindest in meinem Wahlkreis oder über meine HP)
es ist wirklich skandalös, wie die Bundesregierung die Demokratie mißachtet. Da fragt man sich natürlich, wofür das Parlament dann überhaupt da ist. Selbst Bundestagspräsident Lammerrt von der CDU kritisierte das Vorgehen. "Er habe den „Verdacht mangelnder Sorgfalt“.
Die Laufzeiten seien nach seiner Kenntnis auch nicht sachlich begründet, sondern schlicht ausgehandelt worden. „Das entspricht nicht meinen Anforderungen an ordentliche Gesetzgebungsarbeit.“> Was soll man davon halten? Es geht ja nur um die zukünftige Energiepolitik in Deutschland. Eine Schande ist das.