Warum wir einen Abgeordneten-Kodex brauchen

Für mehr Transparenz Mit dem Vorschlag eines Verhaltenskodex‘ soll erstmalig eine fraktionsübergreifende Diskussion über weitergehende Verhaltensregeln von Abgeordneten begonnen werden

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Langer Stillstand

Lange waren die Themen Transparenz, Lobbyismus und Korruption im deutschen Parlament höchstens ein Nebenthema. Fortschritte? Fehlanzeige! Vor allem die Regierungsfraktionen haben jeden noch so zaghaften Ansatz mit ihrer Mehrheit im Keim erstickt. Wenn die Mehrheit blockiert, muss die Diskussion auf allen Ebenen und nicht nur über die Oppositionsfraktionen verstärkt werden. Gerade wir gewählten Volksvertreter müssen endlich deutlich machen, dass man den wachsenden Unmut der Bevölkerung gegenüber Politikern nicht mehr ignorieren darf. Jeder Mandatsträger ist in erster Linie seinem Gewissen und der Bevölkerung verpflichtet.

Die permanent wiederholten Behauptungen einiger FDP-Politiker, dass wir keine Korruptionsregeln bräuchten, weil deutsche Abgeordnete eben nicht korrupt seien, sind nicht nur ignorant, sie provozieren auch noch mehr Politikerverdrossenheit. In Deutschland ist es bisher nur strafbar, wenn die Stimmabgabe eines Abgeordneten im Plenum erkauft wird. So etwas ist in der Praxis natürlich kaum nachweisbar. Erlaubt ist aber, dass beispielsweise ein Rüstungsunternehmen einem Abgeordneten eine große Spende für seinen Wahlkampf überweist oder dass ein Energieunternehmen einem Mandatsträger nach seiner politischen Laufbahn einen lukrativen Job in der Wirtschaft verspricht. Das fällt zwar nicht unter Korruption, aber dennoch ist doch klar, dass Unternehmen das nicht aus reiner Wohltätigkeit tun, sondern hiermit versuchen, sich Einfluss und Wohlwollen zu erkaufen. Meiner Ansicht nach wird diese Praxis noch viel zu wenig diskutiert.

Zögerliche Bewegung

Bei der vordergründigen politischen Debatte haben bisher einige wenige prominente Vorfälle dominiert, wobei es in der Regel leider hauptsächlich darum ging, einzelne Spitzenpolitiker zu diskreditieren, anstatt über das grundsätzliche Problem zu diskutieren. Zum Glück nimmt aber auch die Berichterstattung über die Grauzonen im Parlament zu. Durch die Arbeit von Organisationen wie LobbyControl, Transparency und Abgeordnetenwatch, aber auch den Druck einiger Abgeordneter hat die Diskussion um mehr Transparenz und strengere Regeln ebenfalls an Fahrt gewonnen. Dies hat immerhin dazu geführt, dass in einem Reförmchen unlängst beschlossen wurde, die Nebenverdienste von Bundestagsabgeordneten zumindest ein wenig transparenter zu gestalten (siehe dazu meine Erklärung: Neue Transparenzregeln sind feige und nicht ausreichend). Die Forderung der Opposition nach einer vollständigen Offenlegung der Nebenverdienste lehnen Union und FDP aber weiterhin ab. Auch die Forderung eines Lobbyregisters und klarere Regelungen zur Korruption zieren höchstens einige Sonntagsreden. Wir brauchen aber endlich eine offene generelle Debatte über die politische Kultur und darüber, was Bundestagsabgeordnete dürfen und was nicht.

Bei immer mehr Abgeordneten in fast allen Fraktionen wächst die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann. In der SPD hat sich beispielsweise schon vor längerer Zeit eine Arbeitsgruppe Demokratie gegründet, die zu sehr weitreichenden Ergebnissen gekommen ist (siehe Papier: Demokratie erneuern, Demokratie leben). Immer häufiger gehen auch einzelne Abgeordnete selbstständig voran, in dem sie beispielsweise als Gläserne Abgeordnete alle ihre Einkünfte auf Heller und Cent veröffentlichen oder ihre Lobbytermine transparent auflisten.

So lange eine Mehrheit die vielen guten Ansätze zunichtemacht, ist meines Erachtens das Vorangehen Einzelner die beste Chance, die Diskussion am Leben zu erhalten und das Umdenken voranzutreiben. Dabei sollte man vor allem auf die neue Generation der Mandatsträger setzen, also diejenigen, die noch nicht so fest in den alten Strukturen verhaftet sind. Fest steht, dass sich nur durch die Debatte in der Öffentlichkeit und in den Fraktionen und durch die Initiative Einzelner am Ende nachhaltig etwas verändern kann. Deshalb habe ich mich auch mit meinem Kollegen Gerhard Schick von den Grünen daran gesetzt, einen freiwilligen Verhaltenskodex für Abgeordnete zu erstellen, den wir unseren Kollegen vorstellen und diskutieren wollen.

Verhaltenskodex für Abgeordnete

In dem Kodex verpflichten wir uns beispielsweise dazu, unsere Nebentätigkeiten vollständig zu veröffentlichen und zu begrenzen, unsere Lobbytermine und Abgeordnetenreisen transparent zu machen und direkt nach der Mandatstätigkeit nicht als Lobbyist tätig zu werden. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, was in einen solchen Kodex reingehört. Dazu haben wir uns Rat von LobbyControl, Transparency International Deutschland, Abgeordnetenwatch und von der renommierten Rechtsprofessorin Prof. Dr. Anne van Aaken eingeholt.

Unsere Erfahrungen zeigen, dass es im Einzelfall nicht immer leicht ist, die Abgrenzung zwischen dem Richtigen und dem Falschen vorzunehmen. Manche Rechtslage ist unklar, gleichzeitig sind viele der derzeitigen Verhaltensregeln nach unserer Auffassung nicht ausreichend. Zentral ist, dass Abgeordnete bei ihrer Arbeit – der Gesetzgebung und der Kontrolle der Regierung – unabhängig von wirtschaftlichen Einzelinteressen sind. Dort, wo es Interessenskonflikte geben könnte, müssen diese transparent gemacht werden. Private und mandatsbezogene Angelegenheiten müssen sauber getrennt bleiben. Jedes Unternehmen verlangt von seinen Mitarbeitern eine hohe Transparenz, ein tadelloses Verhalten und die volle Aufmerksamkeit auf den Hauptjob. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass mindestens die gleichen Maßstäbe auch bei den Volksvertretern gelten? Sind wir das unseren Arbeitgebern – der Bevölkerung – nicht schuldig?

Anstöße geben, auch wenn man dazu Anstoß erregt

Wir wissen, dass dieser Vorstoß nicht jedem gefallen wird. Jeder kann anders mit dem Thema umgehen, aber wir halten es für wichtig, dass sich zumindest jeder einmal damit beschäftigt. Ich verstehe mich als selbstbewussten Abgeordneten, der glaubt, dass er sich seine Diäten redlich verdient, der falschen Vorurteilen und Verallgemeinerungen gegenüber Politkern vehement entgegentritt und mit Respekt behandelt werden möchte. Aber gerade deshalb ist es auch meine Pflicht, auf Missstände hinzuweisen und sie zu bekämpfen. Der Bundestag sollte der öffentlichste Raum sein, den es gibt und dessen politische Kultur stetig von innen und außen konstruktiv kritisch hinterfragt werden sollte. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat dazu eine passende Formulierung geprägt : „Wer Anstöße geben will, muss auch mal Anstoß erregen“.

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