Per Videobotschaft bat Einwanderungs- und Identitätsminister Eric Besson (UMP) die Franzosen in dieser Woche darum, die Frage zu beantworten: „Was heißt es heute, Franzose zu sein?“ Sonderlich begeistert wirkt der Minister auf dem Bildschirm dabei nicht. Er handelt im Auftrag von Präsident Sarkozy, dessen Vorliebe für Fragen der nationalen Identität bekannt ist. Noch am Abend seines Wahlsiegs im Mai 2007 hatte er verkündet: „Ich möchte den Franzosen den Stolz zurückgeben, Franzose zu sein.“
Tägliches Plebiszit
Doch Kritiker bezweifeln, ob Frankreich ein solche Debatte wirklich braucht. Auf der eigens vom Ministerium eingerichteten Website schreibt ein User, der sich Jacques le Français nennt: „Franzose zu sein, das heißt gerade, keine Debatte über die nationale Identität zu brauchen.“ Dieser Meinung schließen sich prominente Politiker aus allen Lagern an, auch aus dem Sarkozys. „Die Nation ist ein täglich sich wiederholendes Plebiszit“, bemüht der ehemalige konservative Premier Alain Juppé den berühmten Satz des Historikers Ernest Renan. Will sagen, man kann die Nation nicht von oben inszenieren.
Damit es auf keinen Fall so wirkt, als werde von oben etwas vorgegeben, können sich die Franzosen selbst im Internet beteiligen und dort drei Monate lang der Frage widmen, wer sie sind, und wo sie hin möchten. Zunächst soll in den über 300 Unterpräfekturen diskutiert werden. Anfang Dezember wird Sarkozy dazu eine Rede halten und im Februar soll auf einer Abschlussveranstaltung ein Ergebnis vorgelegt werden. Der Termin ist wohl nicht zufällig gewählt, denn im März sind Regionalwahlen, die Präsident Sarkozy, der wegen der ausufernden Staatsverschuldung unter Druck steht, durchaus zu fürchten hat. Noch hat nämlich jede amtierende Pariser Regierung diese Wahlen seit ihrer Einführung 1986 verloren. 2004 endeten sie sogar in einem historischen Debakel für die Rechtsregierung zu Zeiten der Präsidentschaft von Jacques Chirac. Seither kontrollieren die Sozialisten 20 der 22 Regionen (ohne Überseegebiete).
Auf Stimmenfang
Mit der Identitätskarte wollen Sakozy und seine konservative UMP vor allem den Front National (FN) in Schach halten. Die nationale Identität ist ein bewährtes Thema, um Wahlen zu gewinnen. Es hat zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2007 funktioniert. Ohne Umschweife räumt Sarkozy in Yasmina Rezas Wahlkampf-Tagebuch ein: „Hätten wir nicht die nationale Identität, wären wir hinter Ségolène. Wenn ich 30 Prozent habe (in der ersten Runde), dann weil wir die Wähler von Le Pen haben.“
Der 81-jährige Le Pen wird sich bald vom Vorsitz des von ihm gegründeten rechtsextremen FN zurückziehen. Es könnte sein letzter Wahlkampf sein. Seine Partei ist infolge interner Streitigkeiten geschwächt: Nur noch 3,5 Prozent der Wähler bekannten sich im Verlauf das Jahres 2009 als Sympathisanten – ein historischer Negativrekord. Bei den Regionalwahlen 2004 waren es noch 14 Prozent. Le Pen könnte in die Bedeutungslosigkeit driften.
Rechtsextreme Konkurrenz
Der Kampf um die Nachfolge hat längst begonnen. Marine Le Pen und der Holocaust-Leugner Bruno Gollnisch sind aussichtsreiche Kandidaten. Die Tochter aus der Le Pen-Familie versucht sich in der aktuellen Debatte zu profilieren. Sie hat eine Gegen-Webseite eingerichtet, auf der die „wahre“ Debatte stattfinden soll. Und in der Tat: Hier gibt es Extrem-Positionen. Jene, die auf der Seite des Ministeriums nicht vorkommen sollen, und von den staatlichen Moderatoren „zensiert“ werden. Bei Le Pen lässt sich auch das De-Gaulle-Wort posten: „Es ist gut, dass es gelbe Franzosen, schwarze Franzosen und braune Franzosen gibt. (…) Aber unter der Bedingung, dass sie eine kleine Minderheit bleiben. Sonst wäre Frankreich nicht mehr Frankreich.“ Da die Website des Front National nicht von einem Moderator gelenkt wird, enden die Debatten häufig in rassistischen Tiraden oder wüsten Beschimpfungen.
Identitätsminister Besson, der selbst einen Migrationshintergrund hat, greift den Fehdehandschuh auf und freut sich, Zielscheibe zu sein: „Jean-Marie Le Pen hat vielleicht verstanden, dass wir ihm endgültig einige Werte wegnehmen werden, die er glaubte, für sich beanspruchen zu können.“ Auch Ségolène Royal , die Sarkozy unterlegene Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, weiß, was auf dem Spiel steht. Ihr Misserfolg 2007 hatte ebenfalls mit Fragen der nationalen Identität zu tun, obwohl sie auf ihren Wahlkampfveranstaltungen die Trikolore aufhängen und die Marseillaise abspielen ließ. Da knüpft sie heute an. Die Linke „dürfe diese Debatte nicht ablehnen und schon gar nicht fürchten“, erklärt sie.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.