Xiaolong-Klößchen kauend Fälle lösen

Marcus Hernig über Kriminalliteratur aus den USA, Schweden, Lateinamerika, Deutschland. Aber was ist eigentlich mit China? Unser Autor berichtet aus Shanghai
Ausgabe 47/2013

China und Krimis? Klar, denkt sich der deutsche Krimifan, da gibt es doch Inspektor Chen in Shanghai, der, Gedichte auf der Zunge und Xiaolong-Klößchen kauend, elegant seine Fälle löst. Die Figur des Erfinders Qiu Xiaolong, geboren in Shanghai und seit den 1980ern in den USA zu Hause, kam dem blutdürstigen deutschen Krimifan gerade recht. Ein wenig China-Ambiente, warum nicht!

Doch was in Deutschland und anderswo so erfolgreich ist, funktioniert nicht in China. Qiu erreicht hinter der Großen Mauer nur ein kleines Lesepublikum. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zunächst gibt es in China keine ununterbrochene Tradition moderner Kriminalliteratur. Zwar wagte der Autor Cheng Xiaoqing (1893–1976), vermutlich nach intensiver Conan-Doyle-Lektüre, einen Sherlock-Typus namens Huo Sang zu schaffen, der unterwegs ist im Sündenbabel Shanghai der zwanziger und dreißiger Jahre. Doch seine Erfolge, die er mit einer Serie von Huo-Sang-Heften feierte, waren wohl dem Umstand zu verdanken, dass das damalige Shanghai eine Welt war, in der ein Polizeichef gleichzeitig Gangsterboss sein konnte und eine lebendige Literatur- und Filmszene im In- und Ausland solche Phänomene aufschnappte.

Mit der kommunistischen Herrschaft änderte sich das. Das Sujet war nicht mehr willkommen, in einem strahlenden China durfte Kriminalität nicht existieren. So beraubte sich die chinesische Literatur eines Genres mit Tradition, denn schon in den Tagen der Song-Dynastie wurden die sogenannten gong’an-Geschichten um den Richter Bao sehr geliebt. Dabei ging es aber mehr um den unbestechlichen Beamten, der stets ein kluges und aufrechtes Urteil fällt. An solchen Lichtgestalten fehlt es heute leider, sodass auch die Richter-Bao-Geschichten der Vergangenheit angehören.

Gibt es denn wirklich keine Krimiliteratur aus China? Doch, es gibt sie, allerdings führen recht erfolgreiche Autoren wie He Jiahong, dessen Buch Hanging Devils genau unter diesem Titel 2012 in englischer Sprache erschien, ein Schattendasein. Kenner der chinesischen Krimiszene sind eine Minderheit. Straffälle und Urteile nicht transparent. Wie also kompetent darüber schreiben? Autoren, die es versuchen, machen sich beim Leser mit ihrem Halbwissen oft lächerlich. Und wenn dann einmal einer ins Rampenlicht gerät, wie der jüngst mit „lebenslänglich“ abgeurteilte ehemalige Parteisekretär von Chongqing, dann birgt solch ein Stoff doch hohes Risiko für einen Autor. Wenn er denn mit seinen Recherchen erfolgreich wäre, würde er schnell in die dunklen Bereiche vordringen, die schon das Shanghai Cheng Xiaoqings prägten. Wer dann publiziert, wird meist zensiert oder verboten. Im Inland ist das gefährlich, im Ausland verhilft es oft zu Ruhm.

Trotz aller Probleme aber könnte der Krimi in China eine Zukunft haben. Schließlich werden Autoren wie der japanische Bestseller-autor Higashino Keigo auch in China zu Bestsellern.

Und Nobelpreisträger Mo Yan hat in seinem lesenswerten Roman Die Schnapsstadt einen Polizisten zum tragischen Helden gemacht und das Dunkelste chinesischer Korruption zuoberst gekehrt. Er ist im Lande geblieben. Also warten wir mit Geduld und lesen so lange Qiu Xiaolong aus Amerika.

Marcus Hernig ist Sinologe, Autor und lebt in Shanghai

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