Gleich mit seinem ersten Roman hat Sven Heuchert die deutsche Provinz auf die Landkarte des deutschen Kriminalromans gemalt, eine Prosa geschrieben, wie sie bislang nur die Amerikaner beherrschen, einen poetischen Realismus, der an Country-Noir-Ikonen wie Daniel Woodrell, Benjamin Whitmer oder Brian Panowich erinnert. Schriftsteller, die Heuchert kennt und verehrt, aber nirgends kopiert. Dunkels Gesetz hat seinen eigenen Sound, und er findet seinen eigenen Weg ins finstere Herz der deutschen Kleinstädte und Kleinleute, das er mit wenigen Strichen lebendig macht – reduce to the max.
Seine Ozarks, sein Mississippi, seine Appalachen, das ist ein wasteland, irgendwo zwischen Köln und der belgischen Grenze, wo der 40-jährige Heuchert selbst aufgewachsen ist. Hier lässt er ein halbes Dutzend desperater Gestalten aufeinander los. Eine abgehalfterte Prostituierte zum Beispiel, die mit ihrer Teenie-Tochter bei dem Tankstellenbesitzer Achim Unterschlupf gefunden hat. Ein Dach überm Kopf und was zu saufen gegen regelmäßigen Sex. Achim träumt von der dicken Kohle, will wie Walter White in Breaking Bad Drogen kochen. Dass das schiefgehen muss, weiß er eigentlich selbst, aber er geht sehenden Auges in den Untergang – „easier than just waitin’ around to die“, um Townes Van Zandt zu zitieren, dessen tränentieftraurige Balladen den perfekten Soundtrack für Dunkels Gesetz abgeben würden. Einen Helden gibt es auch – einen von der reichlich traurigen Gestalt.
Der titelgebende Richard Dunkel, ein Ex-Söldner auf Billigschnaps-und-Kippen-Diät, stolpert eher zufällig in Achims Welt. Und irgendwann wird es brutal, zwangsläufig. Wenn auch im Off: Den Showdown verweigert uns Heuchert. Gewalt führt nicht zu Katharsis, Gewalt ist nicht geil, Gewalt ist eben auch nur eine Form der Kommunikation.
der Freitag: Für einen Debütroman hat „Dunkels Gesetz“ enorm viel positive Resonanz bekommen, auch in den Feuilletons von „FAZ“ bis „Zeit“. Schwirrt dir der Kopf?
Sven Heuchert: Für mich ist das immer noch total surreal, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Was das Schreiben angeht, befinde ich mich immer noch im Status eines Lernenden. Und bei Interviews weiß ich oft gar nicht, was ich eigentlich sagen soll, schließlich kenne ich mich im Literaturbetrieb null aus. Vor Dunkels Gesetz habe ich Kurzgeschichten in einem Kleinstverlag und in undergroundigen Literaturzeitschriften wie DreckSack oder Maulhure veröffentlicht. Da gab es nicht so viel response. Übrigens bekomme ich auch negative Kritiken, zum Beispiel bei Amazon.
Woran liegt das?
Die Leser wurden vielleicht vom Label „Kriminalroman“ auf dem Cover angezogen und waren dann enttäuscht, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Hat dein Verlag also Etikettenschwindel betrieben?
Viele Leute verbinden mit Kriminalromanen typische Ermittlerkrimis, wo es darum geht, dass ein Mord passiert und aufgeklärt wird. Bei mir geht es um die sozialen Verschiebungen und die Frage: Was passiert nach einem Verbrechen, und was sind die Motive? Ich komme ja eher aus der Tradition des dirty realism, einem Genre, in dem es auch Tote und Leichen geben kann, aber das Verbrechen nicht das zentrale Thema ist, und schon gar nicht die Aufklärung. Ich hätte einfach Roman auf das Cover geschrieben, so wie beim göttlichen Pete Dexter ja auch nicht Kriminalroman draufsteht.
Ist dein Roman eine Art Gegengift zu den banalen Regiokrimis aus Deutschland, ein deutscher Country Noir sogar?
Der Begriff Country Noir ist ja auch wieder so ein Marketing-Ding, Daniel Woodrell oder Donald Ray Pollock weigern sich zu Recht, so bezeichnet zu werden. In Deutschland muss ein Schriftsteller besonders aufpassen. Es kommt schnell der Verdacht auf, man wolle nur amerikanische Vorbilder kopieren.
Zur Person
Sven Heuchert, 1977 im rheinländischen Siegburg geboren, schreibt seit seiner Schulzeit. Nach der mittleren Reife absolviert er eine handwerkliche Ausbildung. Über die Rockmusik findet er zur amerikanischen Lyrik. Sein Debüt Dunkels Gesetz ist bei Ullstein erschienen
Foto: Gerald von Foris
Auf jeden Fall ist deine Art zu schreiben sehr amerikanisch, dieses fast erzählerlose Erzählen
Das stimmt, und da muss ich noch einmal auf den dirty realism zurückkommen, auf die Storys von Raymond Carver oder Jayne Anne Phillips. Die zeichnen sich durch den weitgehenden Verzicht auf Adjektive aus, schreiben hoch konzentriert auf einen Moment hin, bieten wenig Innenansichten. Das ist in Deutschland oft anders, da ist alles so von den Autoren durchdrungen, da verschwinden die Figuren hinter dem Autorenschwall. Ich hingegen möchte mich so weit zurücknehmen wie möglich, sehe mich viel mehr als Werkzeug für die Geschichte. Wenn sich in zehn Jahren niemand mehr an meinen Namen erinnert, aber an Figuren wie den Zuhälter Falco oder Dunkel, dann habe ich etwas richtig gemacht.
„Dunkels Gesetz“ ist sehr kurz geraten, gerade mal 180 Seiten, großzügig gedruckt, man könnte es eine Novelle nennen ...
Klar, man hätte auch Novelle oder Erzählung draufschreiben können – aber sobald etwas anderes draufsteht als Roman, lässt es sich schwerer verticken. Kurz vor Abgabe war das Buch übrigens noch etwa 100 Seiten länger – ich habe es in einer Woche runtergetrimmt. Die Dialoge sind knapper geworden, die Beschreibungen präziser.
Du brauchst nur wenige Worte, um einen Raum, eine Landschaft erfahrbar zu machen, wie schaffst du das?
Oft reicht das richtige Detail, weil der Leser sich den Rest vorstellen kann. Zum Beispiel in der Szene am Anfang, als sich Marie und ihre Mutter in der Küche treffen. Ich beschreibe, wie die Sonne auf den fleckigen Linoleumboden scheint, mehr nicht – und jeder Leser, der schon mal eine abgefuckte Küche gesehen hat, weiß, wie es da aussieht. Ich finde Autoren unerträglich, die dem Leser keinen Raum lassen, alles vollmalen. Ein Autor soll die Welt nicht beschreiben, sondern seine Leser in die Welt mitnehmen. Und das funktioniert nur, wenn er den Verstand des Lesers anregt.
Die Welt, in die du deine Leser mitnimmst, ist ziemlich finster. Wie realistisch ist deine Schilderung der Gegend zwischen Köln und belgischer Grenze?
Den Ort Altglück gibt es wirklich, ebenso wie die abgefuckten Landstriche. Das ist die totale Provinz, hier leben unsere Hillbillys. Es gibt Täler, in denen nur ein oder zwei Häuser stehen, es wird mit Drogen gehandelt, es passieren andere üble Dinge, und oftmals ist die nächste Polizeistation 20 Kilometer weit weg und macht um 18 Uhr dicht. Natürlich ist es nicht so krass wie in den amerikanischen Ozarks oder so, solche Zustände hast du vielleicht mittlerweile in Brandenburg. Aber auch hier entwickelt es sich in die Richtung, ganze Stadtviertel gehen vor die Hunde, der Speckgürtel wird ausgedünnt.
Ein großer Teil der Handlung spielt an einer Tankstelle – ich musste an Dürrenmatts „Das Versprechen“ denken …
Ich hatte eher Jacques Tourneurs Film Noir Goldenes Gift mit Robert Mitchum im Kopf. Ich benutze viele Topoi und Sujets, die im Noir immer wieder auftauchen.
Mich hat die Ausgangssituation eher an einen Western erinnert – der geheimnisvolle Fremde, der in eine Stadt reitet, die auf einen Heilsbringer gewartet hat. Wobei es in deinem Roman wenig Hoffnung auf Heilung gibt, oder?
Das wäre auch sehr unrealistisch. Meine Figuren träumen vom sozialen Aufstieg, sind aber dem Abgrund viel näher.
So wie Achim, der Tankstellenbesitzer, der vom schnellen Drogengeld träumt und zum Mörder wird. Was hat dich an dieser Figur interessiert?
Ein Achim steckt doch in jedem von uns, jeder möchte doch in seinem Königreich auf dem Thron sitzen. Mich hat interessiert, wie jemand, der im Prinzip eine bürgerliche Existenz lebt oder zumindest leben könnte, sich bewusst dazu entscheidet, zum Verbrecher zu werden. Unsere Knäste sind ja voll mit Leuten, die sich vom Leben ungerecht behandelt fühlen, die eine Chance suchen, ihr Leben zu verbessern und dann einmal vom Weg abkommen und nie mehr die Kurve kriegen. Typen wie der Gladbeck-Geiselgangster Hans-Jürgen Rösner, der nie aus dem Dreck rauskam, aber immer gesagt hat: „Ich will nach vorne.“
Deine männlichen Figuren scheinen keine andere Form der Kommunikation als Gewalt zu kennen. Deshalb wirkt dein Roman sehr gewalttätig, auch wenn du sehr zurückhaltend bist in der Schilderung der Verbrechen.
Genau, die Gewalt passiert zwischen den Zeilen, und in der Sprache. Wie die Figuren reden, das ist sehr realistisch. Ich mag keine voyeuristischen Gewaltszenen. Gewalt ist ein Kern des Menschseins, und deshalb muss man sie auch zeigen, so pessimistisch das auch klingt. Aber am besten so, dass sie sich im Kopf des Lesers weiterentwickelt, sich dort erst das Bild vervollständigt. Dann ist die Wirkung am größten.
Gewalt darf also kein Selbstzweck sein?
Richtig, deshalb habe ich zum Beispiel Probleme mit vielen Tarantino-Filmen, wo der Kopfschuss zur Kunst wird. Gewalt muss wie eine Punchline kommen, auf leisen Pfoten und dann richtig zuschnappen. Wenn Leute meine Bücher lesen würden, weil sie die Gewaltszenen geil finden, hätte ich etwas falsch gemacht.
Dein Titelheld Richard Dunkel war früher Söldner – ein Mann der Gewalt.
Und jetzt hat er die Schnauze voll, will auch nichts mehr mit Waffen zu tun haben. Er wird nur einmal gewalttätig, als er sich verteidigen muss. Er ist so etwas wie ein fatalistischer Katalysator.
Warum hast du die Figur des Söldners gewählt?
Mich hat fasziniert, wie diese Leute in ganz anderen Kategorien denken als wir. Und wie sich der Horror, den sie in ihrem Alltag erleben, ihnen erst erschließt, wenn sie wieder in einem funktionierenden Sozialgefüge leben, aber nicht mehr funktionieren. So wie Dunkel, der nur noch seine Ruhe haben will. Er ist eine waidwunde Figur, emotional am Ende, er passt nicht mehr in unser System.
Da ist er ein bisschen wie Lee Childs Held Jack Reacher, oder? Nur extrem passiv …
Er ist passiv, so wie die meisten Figuren in meinem Roman. Sie treiben aufeinander zu – und kollidieren zum Schluss. Dunkels Gesetz ist ein eigener Mikrokosmos. Einer muckt auf, dann gibt’s eine drauf, andere mischen sich ein – und am Ende gibt’s Krieg.
Wie viel von dir selbst steckt in deinen Figuren?
Ich kann sie alle gut verstehen, auch wenn ich sie nicht unbedingt mag. Wie sie habe ich ein Faible für Alkohol und derbe Sprüche. Aber ich bin kein harter Typ.
Die Bilder des Spezials
Terje Abusdal lebt und arbeitet in Oslo. Für seine Reihe Slash & Burn erhielt der 1978 im norwegischen Evje geborene Fotograf den renommierten Leica Oskar Barnack Award.
2014 studierte er in Aarhus an der Dänischen Schule für Medien und Journalismus und besuchte anschließend mehrere Meisterklassen. 2015 veröffentlichte er sein erstes Fotobuch Radius 500 Metres. In seinen Arbeiten, die in Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen sind, widmet er sich vor allem den Themen Identität und Migration. Die Reihe Slash & Burn entwickelte sich zu einem Langzeitprojekt. Was bedeuten Tradition und Mystik? Wann gehört man zu einem Land, zu einer Gruppe? In Slash & Burn gelingt Terje Abusdal eine magische Annäherung an die Waldfinnen, eine historische naturverbundende Volksgruppe in Skandinavien. Bei ihnen sei „ganz unabhängig von deinem ethnischen Ursprung – das Kriterium der Zugehörigkeit eindeutig: Man spürt es einfach“. Die Bilder aus Slash & Burn erscheinen 2018 im Kehrer Verlag. Im Internet findet man Zugang zuseinem Werk unter: www.terjeabusdal.com
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