Der Titel: Böses Blut. Es ist das fünfte einer Reihe von Büchern, die verlässlich auf den vorderen Plätzen der Bestsellerlisten auftauchen, seitdem 2014 kurz nach Erscheinen des Auftaktbands Der Ruf des Kuckucks bekannt wurde, dass sich hinter dem männlichen Pseudonym Robert Galbraith die aktuell wohl erfolgreichste Autorin der Welt verbirgt, die Britin J. K. Rowling.
Das Krimigenre hat die Autorin mit ihren Romanen um den Privatdetektiv Cormoran Strike und seine Assistentin und spätere Geschäftspartnerin Robin Ellacott sicherlich nicht revolutioniert. Aber dafür gelingt es Rowling auf höchstem Niveau Traditionslinien für die Gegenwart zu adaptieren, die zurückgehen bis in das sogenannte „Golden Age of Detective Fiction“, zu dem Autor:innen der 1920er/1930er Jahre zählen, von Agatha Christie bis Dorothy L. Sayers, um nur zwei der bekanntesten zu nennen.
Die Romane leben von der Dynamik zwischen dem Ermittlerduo. Der Afghanistan-Veteran Strike hat im Krieg seinen rechten Unterschenkel verloren und ein bisschen auch den Glauben an das Gute im Menschen. Seine Grantigkeit bildet den perfekten Gegensatz zu Ellacotts cleanem Optimismus. Kriegen sie sich oder nicht, das ist der rote Faden, der durch die Geschichten führt. Darüber hinaus stellt Rowling die „Britishness“ aus, vom schwarzen Humor bis zu den unzähligen Tassen Tee und Pub-Besuchen. Zudem sind die Bücher ausgezeichnet geplottet und kommen ohne übertriebene Gewaltdarstellung aus.
„Cosy Crime“ nennt man solche Romane etwas abfällig, weil sie in erster Linie nicht aufregen, sondern wohltemperierte Unterhaltung bieten. Geschichten also, die in der Regel keinerlei Anlass für Debatten oder Kontroversen bieten. Wenn das so ist, dann ist Böses Blut – der Titel scheint bereits eine Antizipation kommenden Ärgers seitens der Autorin zu implizieren – die Ausnahme von dieser Regel. Denn noch bevor Troubled Blood, so der Originaltitel, in Großbritannien überhaupt erhältlich war, ging der Shitstorm los. Transphobie wurde dem Buch vorgeworfen, weil in ihm ein Serienkiller auftaucht, der schon mal Frauenkleider trägt. Ein Vorwurf, der sich eigentlich eher gegen die Autorin richtet als gegen ihr Werk, anders ist diese Vorverurteilung nicht zu erklären. Seit Rowling im Juni auf ihrer Website einen Essay veröffentlichte, in dem sie klarstellte, nicht transphob zu sein, aber auch darauf beharrte, dass es biologische Geschlechter gibt, sieht sich Rowling in den sozialen Medien heftigen Anfeindungen ausgesetzt.
Unschärfe, nicht Klarheit
Ob aus ideologischen Gründen oder ganz einfach, weil die Kritiker:innen sich nicht die Mühe gemacht haben, den Roman zu lesen, der mit seinem gewaltigen Umfang von 1.200 Seiten nicht nur diejenigen auf eine Probe stellt, die es gewohnt sind, sich im Rahmen von maximal 280 Zeichen ihre Meinung zu bilden und diese zu teilen. Wer den Roman gelesen hat, dürfte sich ziemlich leicht davon überzeugt haben lassen, dass Böses Blut definitiv nicht dazu taugt, zu klären, ob es sich bei J. K. Rowling tatsächlich um eine sogenannte TERF handelt, also eine „transexkludierende Radikalfeministin“ (der Freitag 50/2020). Oder ob sie nur legitime Fragen stellt und somit Teil dessen sein will, das in einer idealeren Welt eine Debattenkultur wäre, in der Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, die in der Lage sind, wie es Erik Schilling in seinem aktuellen Buch Authentizität. Karriere einer Sehnsucht ausdrückt, „beim Denken das Interessante in der Unschärfe und der Frage zu sehen, nicht in der Klarheit und der eindeutigen Antwort“.
Dennis Creed, der erwähnte Serienkiller, steht weder im Mittelpunkt des Romans noch wird thematisiert, ob er Frauenkleider trägt, weil er sich in seinem Körper nicht wohlfühlt oder lediglich, um die Menschen in seiner Umgebung – darunter auch seine Opfer – über seinen wahren Charakter zu täuschen. Creed ist nur einer in einer Reihe von Verdächtigen in einem alten Fall, den Strike und Ellacott aufklären sollen. Damals, Mitte der 1970er (Böses Blut spielt 2014/15), verschwand Margot, eine Ärztin und junge Mutter, spurlos, zur selben Zeit, als Creed sein Unwesen trieb. Doch den Mord an Margot hat der Killer, der längst hinter Gittern sitzt, nie gestanden. Also soll Strike Margots Tochter helfen, endlich Gewissheit über das Schicksal ihrer Mutter zu bekommen. Denn auch davon erzählt dieser Roman: wie Verbrechen Menschen brechen und Familien über Generationen zerstören können. Rowlings Sympathie und Interesse gilt dabei jederzeit den Opfern.
Mehr als ein Jahr arbeiten Strike und Ellacott an diesem Cold Case, und Rowling schaut ihnen bei ihren Ermittlungen ganz genau zu. Wie sie es schafft, dass der Leser, die Leserin trotz der Überlänge nur selten die Geduld mit dieser Geschichte verliert, liegt nicht zuletzt am Subthema des Romans: Rowling dekliniert parallel zur Ermittlung verschiedenste Formen teilweise toxischer, teilweise bräsiger Männlichkeit durch – von Misogynie, die sich hinter aggressivem Flirtverhalten mühsam verbirgt, bis zur Lieblosigkeit, die Frauen verkümmern lässt. Sie erzählt von Männern, die von einer gynozentrischen Gesellschaft fantasieren, und von solchen, deren einzige Form der Verständigung in Gewalt besteht.
Das ist Böses Blut eigentlich: ein trojanisches Pferd. Ein feministisches Statement getarnt als Cosy Crime. Dabei stellt Rowling aber weder Männer an sich an den Pranger noch entwirft sie Frauen als ein glorreiches Anderes. Ihr Roman zeichnet sich durch seine Offenheit aus und macht Angebote für Diskurse. Man würde der Autorin wünschen, dass sie im richtigen Leben angenommen würden.
Info
Böses Blut Robert Galbraith Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz (Übers.), Blanvalet 2020, 1.200 S., 26 €
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