Los Angeles ist keine echte Stadt. Sie ist ein Zustand, ist eine Chiffre. Und das macht sie so faszinierend für all die Schriftsteller und Filmemacher und Musiker, die L.A. in ihrer Kunst verewigten. Frank Sinatra nannte L.A. eine Lady, andere beschimpften sie als bitch. Doch niemand hat sich diese Stadt so sehr angeeignet wie der Schriftsteller James Ellroy: „Durch das Schreiben habe ich Los Angeles zu meiner Stadt gemacht.“
Ellroy faltet seinen langen, in Grau- und Beigetöne gehüllten Körper in einen der unbequemen Sessel in der kühlen Lobby. Abwechselnd nippt er an seinem Kaffee, natürlich schwarz, und seinem Wasser, natürlich mit Kohlensäure. Unmöglich, sich vorzustellen, dass der 67-Jährige, der sich Computern und Smartphone
Smartphones verweigert, etwa einen Latte macchiato bestellt. „Ich mag klassische Dinge. Frauen, die sich Mühe mit ihrem Äußeren geben, Möbel aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, Sportwagen mit Retro-Touch und klassische Kleidung.“ Und dann will er wissen, von wem mein blumengemustertes Hemd ist. Paul Smith, erkläre ich ihm, ein britischer Designer, der seinen Stil als „classic with a twist“ beschreibt. Ellroy lacht und sagt, dass dieses Motto auch für ihn perfekt passen würde. Müssen wir uns also vorstellen, dass James Ellroy allabendlich in seinem James Chair sitzt, alte Filme sieht und von der Vergangenheit träumt? „Ganz so ist es nicht, ich habe keinen Fernseher. Aber dafür einen Freund, den ich fast jeden Freitag besuche. Dann schauen wir Film Noirs, aber auch neue Serien wie ,Kommissarin Lund̒. Ich bin ganz vernarrt in Sofie Gråbøl.“Grell, hart, politischEllroy ist nach Hamburg gekommen, um Perfidia (Ullstein) vorzustellen, sein neues, gewaltiges Krimi-Epos über Los Angeles in den Tagen nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour, als die Stadt für ein paar Wochen im Chaos versank. Auf die Idee gekommen ist er, als er an einem Wintertag vor ein paar Jahren aus seinem Bürofenster starrte: „Plötzlich hatte ich eine Vision: Ich sah einen Armeetransporter, darauf eine Gruppe von Japanern, in Handschellen, bewacht von bewaffneten Soldaten. Und in diesem Moment wusste ich, dass ich ein neues L.A.-Quartett schreiben und dass es mit Pearl Harbor beginnen würde.“Placeholder infobox-1Der erste Band der Trilogie L.A.-Quartett, entstanden zwischen 1987 und 1992, beginnt mit dem Roman, der James Ellroy berühmt machte: Die schwarze Dahlie. Sein siebter Krimi war ein Neuanfang: ein historischer Stoff, epischer als alles, was er zuvor geschrieben hatte. Hier fand er seinen Stil, den er über die Jahre perfektionieren würde: kurze Sätze, die Amok zu laufen scheinen, wie mit dem Maschinengewehr geschrieben. Nach der „Dahlie“ war die Krimi-Welt nicht mehr dieselbe: All die Autoren, die sich immer noch an Hammett und Chandler abarbeiteten, konnten einpacken. Ab jetzt herrschte ein neuer Ton: epischer, greller, härter, politischer. Die großen Autoren unserer Zeit – David Peace, Dominique Manotti, mit Einschränkungen Don Winslow –, sie alle wären ohne Ellroy undenkbar. Ellroys Romane von der „Dahlie“ bis zu Blut will fließen addieren sich zu einer alternativen Geschichte der USA von 1947 bis in die siebziger Jahre. Voller Gewalt und Korruption, obsessiver Liebe und brennendem Hass. Ellroy zeigt uns seine eigene, tiefschwarze Sicht der Dinge. Für die Fakten engagiert er Rechercheure, weil „der historische Rahmen einigermaßen stimmen muss. Und dann kann ich meiner Vorstellungskraft freien Lauf lassen – und ich habe eine gigantische Vorstellungskraft. Also lassen Sie mich mit den fucking facts in Ruhe.“Dass James Ellroy ein obsessiver Storyteller ist, der es auch im Leben mit den Fakten nicht allzu genau nimmt, merkt schnell, wer seine Interviews vergleicht. Von einem zum anderen Tag widerspricht er sich massiv. „Sehen Sie, ich gebe bis zu 300 Interviews im Jahr“, erklärt er und reckt dabei sein Kinn so weit vor, dass er mit seinem rasierten Schädel und dem raspelkurzen Schnurrbart Ähnlichkeit mit einem Kampfhund annimmt. „Und manchmal ist das so öde, dass ich alles sagen würde, jede Provokation, nur um mich nicht mehr zu langweilen.“ „Fucking facts“, verstanden, vielleicht muss man sich James Ellroy als Pendant zu Bob Dylan vorstellen, auf seiner eigenen „Never ending tour“, sich in der Variation des Immergleichen perfektionierend. Und so langweilig, wie es sein mag, immer wieder „Blowing in the Wind“ zu spielen, mag es auch sein, immer dieselben Fragen zu beantworten: Nach dem Tod der Mutter zum Beispiel, die ermordet wurde, als Ellroy zehn Jahre alt war. Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt, Wiedergängerinnen seiner Mutter tauchen in vielen von Ellroys Romanen auf, allen voran natürlich in Die schwarze Dahlie, der den wohl berühmtesten nicht gelösten Mordfall der USA aufnimmt, bis hin zu Perfidia, wo eine der Figuren in den Bann einer Frau gerät, die wie Ellroys Mutter auffällige rote Haare hat.In seinen Romanen gibt es keine „reine“ Liebe, nur Obsession. Ist er selbst so radikal? „Ich bin inzwischen etwas ruhiger geworden, aber ja, ich bin immer noch besessen von den Frauen, liebe es, sie zu jagen. Ich bin zwar kein Cop, kein Killer oder Agent, aber ich habe schon mal 12.000 Dollar in einem Jahr für Blumen ausgegeben.“ Und hat sich’s gelohnt? „Mmh, ihren Ehemann hat sie nicht verlassen …“Eine schöne, verkorkste FrauEinen „23 Tage währenden Rausch aus Alkohol, Drogen und Sex“, nennt Ellroy Perfidia, der „nicht viel länger hätte dauern dürfen“. Ein Rausch, bevölkert von Dutzenden Figuren, die Ellroy-Leser aus früheren Romanen kennen. Allen voran Dudley Smith, der charmante Teufel aus dem ersten L.A.- Quartett, der den Auftrag bekommt, den Mord an einer japanischen Familie aufzuklären – aber ja keinen Weißen als Täter zu präsentieren. Sein Gegenspieler ist Robert B. Parker, der echte spätere Polizeichef von Los Angeles, der hier noch an der Flasche hängt und sich – wie eigentlich alle Männer des Romans – in Kay Lake verliebt, eine schöne, schlaue und verkorkste Frau, die wir aus Die schwarze Dahlie erinnern. Mit dem neuen L.A.-Quartett taucht James Ellroy noch tiefer ein in die Vergangenheit von Los Angeles. Die Stadt, in der er geboren wurde und die er 1981 verließ, nach einer gescheiterten Liebe. Die Stadt, in die er 2008 zurückkehrte. „Zunächst wegen des Geldes“, sagt er, „weil hier die Film- und TV-Studios sitzen und ich eine zweite Scheidung finanzieren musste.“ Inzwischen will er nirgendwo anders leben. Wenn Ellroy in seinem Porsche Cabrio durch Los Angeles cruist, sieht er dann die Vergangenheit durch die Realität hindurchscheinen? „Die Gegenwart und die Vergangenheit stehen bei mir in einem ständigen Konflikt. Ich kann die beiden nicht voneinander trennen, obwohl ich mir das wünsche.“ Und warum schreiben Sie nicht mehr über die Gegenwart? „Sie ist für mich nicht von Interesse. In meiner Vorstellung habe ich schon immer in der Vergangenheit gelebt.“Ist James Ellroy ein Nostalgiker? „Nein“, sagt er, „es ist mehr als das. Ich schmachte nach der Vergangenheit, ich vergehe vor Sehnsucht. Ich sehne mich nach Geschichte und nach Geschichten, ich sehne mich nach dem ewigen Leben. Ich verzehre mich nach der vierzigjährigen Ingrid Bergman, ich verzehre mich nach einer Frau, deren Bild ich als Zehnjähriger in einem Magazin gesehen habe.“ Zweieinhalb Jahre hat er an Perfidia gearbeitet, fast ununterbrochen hat er geschrieben, am Tag, mitten in der Nacht und immer mit der Hand: „Ich weiß, wie ich mich von der Welt fernhalte, um das bestmögliche Buch zu schreiben. Ich sitze allein in einem Raum, ein älterer Mann, der viel erreicht hat in seinem Leben, und ich weiß, ich werde den verdammt besten Roman aller Zeiten schreiben. In einem Moment denke ich: ,Leckt mich, ich bin größer als Tolstoi, ich bin der amerikanische Beethoven.“ James Ellroy fängt an, laut zu knurren, dann geht das Knurren in ein Jaulen über. „Und im nächsten Moment bin ich wieder der kleine notgeile Junge, der heimlich in die Fenster von Fremden spannt und sich einen runterholt.“Placeholder authorbio-1
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