Simone Buchholz’ Blaue Nacht und Katja Bohnets Messertanz gehören zu den aufregendsten deutschen Spannungsromanen des Jahres. Grund genug für unseren Autor, die beiden an seinen Küchentisch nach Hamburg-St. Pauli einzuladen. Ein Heimspiel für Buchholz, die gleich um die Ecke wohnt. Die beiden Schriftstellerinnen sind trotz aller Unterschiede sofort auf einer Wellenlänge. Unser Autor hat nicht viel mehr zu tun, als dafür zu sorgen, dass die Weingläser immer gut gefüllt sind.
Simone Buchholz: Katja, warum hast du einen Thriller geschrieben? Magst du es blutig?
Katja Bohnet: Messertanz habe ich auch aus Wut geschrieben, nachdem ich eine Absage bekommen hatte, in der es hieß, eine deutsche Hausfrau könne keinen amerikanischen Thriller schreiben.
Buchholz: Frechheit. Das musst du erzählen.
Bohnet: Ich hatte eine Art Western-Krimi geschrieben, eine finstere Geschichte, die in Texas spielt. Und man sagte mir, dass man diese Art Storys lieber in Amerika einkaufe.
Buchholz: Lustig, ich habe immer das Gefühl, dass ich im Grunde auch eher Western schreibe als Krimis. In meinen Romanen geht es ja nicht um einen einsamen Mann auf Heldenreise, sondern um einen Trupp von Revolverhelden, die alle irgendwie halbseiden sind. Und dann gibt es diese große offene Flanke, den Hamburger Hafen, und da kommen Leute rein und machen Stress. Und im Hintergrund hört man eine Saloontür knarzen.
Bohnet: Ich spüre das in deinen Romanen, diesen Sound, Menschen, die immer die Hand an der Waffe haben. Und dazu kommt noch eine gute Portion Roadmovie. Das macht Literatur erst interessant, mit Vorbildern und Konventionen zu arbeiten, zu spielen, sie aufzulösen.
Buchholz: Sonst wird einem doch auch schnell langweilig beim Schreiben, oder? Aber zurück zu Messertanz, sag doch bitte nochmals, wie es dazu kam.
Bohnet: Ich habe meinen Agenten gefragt: Was brauchst du, um das Buch zu verkaufen? Er sagte, es müsse mindestens ein Bein in Deutschland haben. Ich wählte Berlin, wo ich eine Weile gelebt habe. Berlin ist das Tor in den Osten, ein Teil der Geschichte spielt in St. Petersburg und in Moskau.
Buchholz: Du schreibst wirklich tolle internationale Sätze: „An diesem Tag war Gott ihr junger Körper für den Tod zu schade.“ Das hat Speed, das mag ich sehr.
Bohnet: Thriller brauchen ab und zu die rechte Gerade.
Buchholz: Machst du dir manchmal selber Angst, wenn du eine blutige Szene schreibst?
Bohnet: Mit Gewalt habe ich kein Problem. Allerdings wundere ich mich später manchmal darüber, woher ich diese Szenen habe.
Buchholz: Wenn ich meinen Sohn von der Schule abhole und die Kinder rumtoben sehe, denke ich oft: Wenn die wüssten, womit ich mich gerade beschäftigt habe.
Zur Person
Simone Buchholz, 1972 geboren, lebt mit Mann und Sohn im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Hier spielen auch ihre bislang sechs Kriminalromane um die Staatsanwältin Chastity Riley. 2016 wurde Buchholz für Blaue Nacht mit dem Crime Cologne Award ausgezeichnet
der Freitag: Den Unterschied zwischen euch sehe ich vor allem im Stil: Simone, du bist am amerikanischen Hardboiled-Krimi geschult, Katja, du hast einen eher emotional-eruptiven Stil.
Bohnet: Ich spitze gern zu, das stimmt. Ich mag die extremen Momente, das Überlebensgroße, ob in der Kunst, am Theater oder eben in meinen Romanen. Normalität interessiert mich nicht.
Buchholz: Ich sehne mich manchmal nach den Extremen im Leben, würde gern öfter mal über den Rand malen. Das kann ich aber nicht, weil mein Leben als Mutter gewissen Zwängen unterworfen ist. Vielleicht leben meine Figuren deshalb alle in ungeordneten Verhältnissen: weil ich mich aus meinem bürgerlichen Leben herausschreibe. Manchmal sehne ich mich nach dieser Verlorenheit.
Bohnet: Mir geht es ganz anders: Ich finde es wunderbar, dass ich dieses ganz bürgerliche Leben führe. Das Schriftstellerleben ist eine lange, lange Talfahrt mit ganz kurzen Zwischenhochs. Deshalb brauche ich das Konstante, meine Familie, meinen Job an der Rezeption beim Kieferorthopäden.
der Freitag: Blaue Nacht spielt auf St. Pauli und in Leipzig, Messertanz in Berlin und Russland. Wie recherchiert ihr die Orte in euren Romanen?
Buchholz: Wenn ich über einen Ort schreibe, muss ich da gewesen sein, damit der Film im Kopf anspringt. Für Blaue Nacht war ich in Leipzig und in Tschechien.
Bohnet: Ich habe in meinem Leben unzählige Reisen gemacht, aber ich war zum Beispiel nie in St. Petersburg. Ich recherchiere im Netz, ich besorge mir Bücher und ich war schon mal in Russland. Und dadurch habe ich ein Feeling für das Land.
Buchholz: Das würde mir nicht reichen. Vielleicht auch weil ich gelernte Journalistin bin. Ich habe das Gefühl, ich muss die Wirklichkeit abbilden, was mir gern auch mal im Weg steht, zum Beispiel was Polizeiarbeit angeht. Ich kann mir da nichts einfach ausdenken. Ich will eigentlich dauernd mit jemandem von der Polizei sprechen, muss mich immer absichern: Welche vollautomatische Waffe passt noch unter eine Lederjacke, welche Austrittswunde ruft die hervor …?
Bohnet: Zu einer Recherche gehört natürlich dazu, sich möglichst viele Informationen zu besorgen. Wir haben zu Hause ja auch keine Waffe unter der Matratze versteckt.
Buchholz: Echt nicht? Aber im Ernst: Ich muss erst mal möglichst alles wissen über die Realität, erst dann kann ich davon abweichen, wenn es dramaturgisch notwendig ist. Am Ende ist es natürlich toll, Gott zu spielen (lacht). Und ich mag es, meinen Figuren ordentlich einen mitzugeben. Ich schreibe auch, um den Schmerz und die Ratlosigkeit angesichts von Gewalt zu verstehen.
Bohnet: Oder wie Kurt Vonnegut einmal in seinen Schreibtipps gesagt hat: Sei ein Sadist. Ich könnte keine Romane über glückliche Menschen schreiben. Ich würde auf einer Party auch niemals das Gespräch mit jemandem suchen, der total glücklich und zufrieden wirkt.
Buchholz: Man möchte immer mit den Unglücklichen tanzen. Mir wurde schon oft gesagt, ich könnte richtig viel Geld verdienen, wenn ich „Chick-Lit“ schreiben würde, mit Figuren, die Hummeln im Herzen oder Schmetterlinge im Kopf haben. Aber das würde mich wahnsinnig machen.
Bohnet: Geht mir genauso. Und vielen anderen Krimis schreibenden Frauen auch, zum Glück.
Buchholz: Ich finde, Frauen schreiben die gefährlicheren Krimis, weil sie mehr vom Hass verstehen.
Zur Person
Katja Bohnet sammelte für ihr bei Knaur veröffentlichtes Thriller-Debüt Messertanz von stern bis FAZ viel Lob ein. Bohnet, Jahrgang 1971, lebt mit ihrer Familie zwischen Köln und Frankfurt. Die Fortsetzung von Messertanz soll im Herbst 2017 auf den Markt kommen
der Freitag: Steile These.
Buchholz: Vielleicht. Aber Frauen setzen sich anders mit Gewalt auseinander als Männer. Das ist wie beim Fußball: Männer sind immer aufseiten der Trainer, Frauen sind Physiotherapeuten. Wir sorgen uns um die Gesundheit eines gefoulten Spielers – denken aber auch darüber nach, wie er sich an seinem Gegner rächen wird.
Bohnet: Ich bin keine Physiotherapeutin, ich interessiere mich fürs Spiel.
Buchholz: Frauen kommen mehr über die Figuren, Männer über den Plot.
Bohnet: Ach, das glaube ich so nicht, ist vielleicht ein bisschen stereotyp.
der Freitag: Ist es nicht egal, ob ein Krimi von einem Mann oder Frau stammt?
Buchholz: Ich erlebe die deutsche Krimiszene als sehr männlich. Auch wenn viele Frauen Krimis schreiben: Die Jungs bekommen die Preise. Und ich erlebe es immer wieder, dass mich Leute eher auf mein Kleid ansprechen als auf meine Romane.
Bohnet: Ich finde interessant, dass Frauen auf bestimmte Spielarten des Krimis festgelegt sind, meistens auf Psychothriller oder „Cosy Crime“, das sanfte Fiese.
der Freitag: Wie viel von euch steckt in euren Figuren?
Buchholz: Es gibt eine Figur, die viel von mir hat, ich verrate aber nicht welche. Es ist nicht Chastity, mit ihr schaue ich nur ab und zu gemeinsam in denselben Abgrund.
Bohnet: In allen Figuren steckt etwas von mir, ich möchte meine Zeit ja nicht mit Menschen verbringen, die mich nicht interessieren.
Buchholz: Das gilt auch fürs Lesen. Kopfgeborene Superschurken interessieren mich nicht. Denen fehlt die Menschlichkeit, denen fehlen die wahren Abgründe. Aber ich würde schon gerne mal mit Hannibal Lecter essen gehen.
der Freitag: Katja, mit deinem Bösewicht würde man nicht mal gern einen Kaffee trinken, oder?
Bohnet: Das sehen viele so, aber auch er ist ein Mensch. Ich finde wie Simone, dass es erst spannend wird, wenn die Figuren nicht festgelegt sind.
Buchholz: Man merkt das ja an sich selbst, wie durchlässig die Grenzen sind. Du musst nur mal als Frau nachts durch die Stadt laufen, und schon ploppen Gewaltfantasien auf. Seit ich 14 war, habe ich verbale und körperliche Übergriffigkeit erlebt und hätte mir gewünscht, dass ich anders reagieren könnte als mit Worten.
Bohnet: Gewaltfantasien habe ich nicht, außer beim Autofahren. Aber eigentlich macht mir Gewalt Angst, schon wenn ich drüber lese, kommen mir fast die Tränen. Schreiben über Gewalt ist für mich auch Anschreiben gegen Gewalt. Mir geht es überhaupt nicht darum, literweise Blut zu vergießen.
Buchholz: Es geht darum, zu schauen, was Gewalt bei Menschen auslöst, physisch und psychisch.
Bohnet: Für mich ist Gewalt etwas Systemisches. Deswegen hat mich Uhrwerk Orange total beeindruckt.
der Freitag: Gerade diesem Film wurde ja Gewaltverherrlichung vorgeworfen. Viele Jungs fanden den eher stimulierend.
Buchholz: Kann ich verstehen, obwohl ich Uhrwerk Orange auch eher abstoßend fand, Natural Born Killers hingegen hat mich total fasziniert. Gewalt zieht mich auf eine beängstigende Art und Weise an. Ich ballere zum Beispiel an Silvester gern mit einer Gaspistole in die Luft. Und würde auch sonst gern schießen, nur nicht auf Menschen natürlich.
Bohnet: Wenn du wie ich mal Antifa-mäßig unterwegs warst, dann willst du es auf keinen Fall sexy finden, eine Knarre in der Hand zu halten. Und wenn du merkst, dass es dir gefällt, dann gehst du ganz schnell zum Arzt. Ich finde, du bewegst dich da auf dünnem Eis, wenn du sagst, dass du Waffen faszinierend findest.
Buchholz: Ich find’s auch fragwürdig. Aber meine Gewaltfantasien sind immer reaktiv. Vielleicht schreiben Männer anders über Gewalt, weil sie auf eine andere Art mit Gewalt aufgewachsen sind. Das sehe ich aktuell bei meinem Sohn: Die Jungs hauen sich auf dem Schulhof auf die Fresse, die Mädchen reden. Du erlebst als Mädchen keine Gewalt, bis ein Junge kommt und sie dir antut.
Bohnet: Interessant: Ich habe mich als Kind gern mal gekeilt, mit Mädchen und Jungs. Und bin inzwischen absolute Pazifistin.
Buchholz: Ich hätte gern etwas davon. Wenn ich mich mit Leuten anlege, wird es schnell körperlich.
Info
Blaue Nacht Simone Buchholz Suhrkamp 2016, 235 S., 14, 99 €
Messertanz Katja Bohnet Knaur 2015, 304 S., 9,99 €
*Die Fotos der Beilage
Kamil Sobolewski, geboren 1975 in Gdansk, Polen, studierte Fotografie an der Berliner Ostkreuzschule. Für seine Arbeit „Rattenkönig“ wurde er unter die neun Finalisten im Fotowettbewerb „gute Aussichten – junge deutsche fotografie“ für das Jahr 2015/2016 gewählt. Die Jury schrieb, Sobolewski begebe sich auf eine Reise ins Innere. „Die kleinen schwarzweißen Formate zeigen eine metaphorische Reihung unterschiedlicher Gefühls- und Bewusstseinszustände, in denen es um existenzielle, grundsätzliche Fragen geht. Aus den kraftvollen, existenzialistisch durchhauchten Bildern geht eine Mischung aus Trotz und Resignation, Aggression, Kampf und Zärtlichkeit hervor.“ Mehr Informationen zu Kamil Sobolewskis „Rattenkönig“ (in Englisch, 14,8 × 21 Zentimeter, 64 Seiten, 24 Euro) unter dienacht-magazine.com
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