Die Tagesschau zappe ich jetzt regelmäßig weg. Ich werde einfach viel zu sauer, wenn ich dort sehe und höre, was ein immer grösser werdender Teil meiner Mitbürger so für legitime politische Meinungen hält und was sie bereit sind zu machen, um diese auch durchzusetzen. Noch bis vor kurzem hätte ich mir niemals vorstellen können, dass fünfundzwanzig Prozent der Wähler bei einer Landtagswahl einer rechtspopulistischen Partei ihre Stimme geben würden; oder dass Rostock-Lichtenhagen plötzlich überall ist; dass Politiker auf Gossenniveau angegangen werden und auch mal symbolisch am Galgen baumeln... Das alles und noch viel mehr passiert mittlerweile ständig und lässt mich einigermaßen fassungslos zurück. Zu bekannt, so dachte ich, seien die Gefahren, die von Rattenfängern für die Demokratie und das friedliche Zusammenleben ausgehen. Ich hielt es für das herausragende deutsche Paradigma, dass rechtes Gedankengut im öffentlichen Diskurs für alle Zeit gebrandmarkt ist und außerhalb der Stammtische und einer kleinen Gruppe Ewiggestriger einfach nicht stattfindet. Nein: nicht stattfinden kann. Weil man sich gesellschaftlich komplett selbst versenkt hätte, wenn man das, was inzwischen auf Facebook, in Kommentaren oder auch Leserbriefen Normalität ist, früher in diesem Ausmaß und in dieser Qualität öffentlich vertreten hätte.
Ich habe mich getäuscht. Viele Menschen finden trotz aller Warnungen und Erfahrungen genug Ausreden, um die zu wählen, die nicht können und nicht wollen. Welcher Hass und welcher Neid muss diese Menschen nur antreiben, dass sie die Politik ihres Landes in verantwortungslosester Weise in solche Hände zu geben bereit sind und somit alle anderen in demokratisch formal legitimierte Geiselhaft zwingen? Wo sind Aufklärung und Vernunft geblieben, wenn man das Geschenk der Partizipation an Maulaffen vergeudet? Und wo die Moral, wenn man anderen nicht mal mehr ein Dach über dem Kopf und eine warme Dusche gönnen möchte?
Diese Wut und diese Gier kotzen mich einfach nur noch an. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich verabscheue diese Menschen wirklich. Sie stehen für mich für all das, was ich in dieser Gesellschaft nicht will. Ja, ich bin auch wütend. Meine Toleranz geht eben nicht so weit, dass ich mich mit ihnen abgeben möchte oder auch nur neben ihnen in der U-Bahn sitzen will. Sie geben durch ihre Stimme denjenigen Macht, die sie nicht verdienen und bedrohen damit den Fortschritt unserer Gesellschaft. Einer Gesellschaft, auf die man ohne sie eigentlich stolz sein könnte. Wir leben in düsteren Zeiten. Nicht, weil es uns so schlecht geht, sondern weil es uns so gut geht.
Kommentare 34
"Mir wird mit jedem Tag mehr und mehr bewusst, wie wenig ich die Menschen um mich herum mit ihren Motiven und Handlungen noch verstehen kann."
In der Regel liegt das darin begründet, die eigenen Vorstellungen und Erwartungshaltungen als Parameter gesetzt zu haben. Und die Kunst liegt darin, zwischen Verstehen und Gutheißen, zwischen Toleranz und Akzeptanz zu unterscheiden sich zu üben.
Welcome back, Herr Hennemann! Mir scheint, Sie sind an einem Punkt angekommen, an dem ich seit langem bin, wenn auch nicht aus den gleichen Gründen wie Sie: Sie mögen also auch keine Tagesschau mehr sehen.
Mir scheint, die Aggression, die Sie beklagen, war bis vor einiger Zeit noch auf die Arbeitswelt und die Autobahn beschränkt. Neu ist sie aber nicht. Und dass sie mit Vorliebe auf die Schwächsten losgeht - und dass ihre moralische Desorientierung vor allem darauf beruht, dass sie ihren Glauben an die "Autoritäten" verliert -, passt zu der Hemmungslosigkeit, mit der sich seit 1982 die politische Klasse der Zerstörung sozialer Standards zugunsten geschäftlicher Lobbies hingibt. Man schämt sich halt für nix mehr.
Der mehr oder weniger bürgerliche Mob ist, soweit er die AFD wählt, nicht ganz dicht: er wählt den Verein, der ihn am meisten quält. Das Programm trägt immer noch die Handschrift derer, die die AFD neoliberal-hoffnungsvoll mitbegründeten und sich jetzt ekeln, weil die neuen Tonangaber beim Fressen so laut schmatzen. Das ist extrem dumm. Und wer extrem dumm ist, ist auch schnell damit bei der Hand, böse Dinge zu tun. Das müssen Sie nicht verstehen. Ich glaube es aber zu verstehen.
Das ist der Status Quo, Herr Hennemann. Sie sind sauer, ich bin sauer. Jeder auf seine Art.
Das war's?
Ich drehe es mal um: man muss nicht sauer sein, dass viele Menschen die AfD wählen - je nach Umfragen sind 50 bis 75% reine Protestwähler. Wenn Sie die Tagesschau abstellen, sind Sie ja auch ein Protestmensch, mindestens ein Negierer der öffentlichen Meinung.
Für mich stellt sich die Wahlmisere der Altparteien schlichtweg als Denkzettel dar, der sicht annähernd täglich in irgendwelchen Talkshows gerechtfertigt sieht. Politiker, die derart am Volk vorbeireden und -argumentieren, müssen diesen Denkzettel unausweichlich erhalten. Vor der AfD fürchte ich mich nicht: Es kann kommen wer will, siehe auch in Polen, es wird immer restriktive Größen geben, die dem Schnellgedachten Einhalt gebieten. Nur bei Merkel ist das anders, die geht schonmal mit einem Fingerstreich über das Grundgesetz um dann zu behaupten: passt schon irgendwie. Sie kanzelt z.B. einen Orban ab, weil der sich an geltendes Recht hält. Das ist mir, ich denke vielen Menschen, innerhalb meiner Sozialisation, nicht verständlich zu machen. Gilt nun Recht oder nicht? Wer darf es brechen - wer nicht? Geht Deutschland, auch außenpolitisch, den Weg der USA, unabhängig vom Rechtssystem, Menschen- und Völkerrechten zu agieren?
Die Fragen werden, ebenso wie die zu den Flüchtlingsthemen nicht beantwortet. Das ist für die Wähler fatal, sie hängen in der Luft. Aus einem "So nicht" wird dann einfach ein "AfD".
Vielleicht schauen Sie sich einfach die Sendung Hart aber Fair vom 14.3. an, die hat mein Gefühl zu meiner Einschätung bestätigt.
Und wenn alles gut läuft, schwenken die Wähler noch um und wählen die Linke.
Ja, ich denke das wars. Sind gewisse Linien erst einmal übertreten lassen sie sich nicht mehr so einfach wieder ziehen. Aber wahrscheinlich ließ sich die Verrohung im öffentlichen Diskurs gar nicht verhindern. Diese Meinungen waren schon immer da. Und so mancher begreift wohl immer noch nicht, dass ein Posting eine öffentliche Äußerung darstellt und welche Konsequenzen diese haben können. Den gesellschaftlichen Tabubruch zum Beispiel, der sich eben schwer zurück nehmen lässt.
Ist es nun gut, dass sich jeder öffentlich äußern darf oder schlecht? Genau darum geht es ja eigentlich. Bildet sich die Meinung im Netz, oder äußert sie sich nur? Waren schon immer so viele Menschen Feierabendnazis oder wurden sie es erst durch die Bestätigung anderer?
Ich jedenfalls würde sehr gerne auf eine solche Öffentlichkeit verzichten. Zeugt sie doch, wieviel Halbwissen und Sozialneid doch in den Menschen da draußen stecken.
Da mache ich doch in Zukunft lieber den Rückzug in mein persönliches Biedermeier. Auf ins Private und scheiß auf die Politik. Gegen den Egoismus da draußen scheint kein Kraut mehr gewachsen, wenn jetzt sogar auf die Schwächsten eingedroschen wird.
Ich schalte nicht aus Protest um, sondern aus Wut und Hilflosigkeit. Mein innerer Kompass hat ein echtes Problem damit, dass ständig überall nur Scheiße postuliert wird. Und mir ist Moral um einiges wichtiger als Recht. Wer vernünftige Prinzipien hat weiß, was man von Typen wie Orban, Putin und Szydło zu halten hat. Und der Bürger bekommt die Politik, die er verdient. Ich kann es wirklich nicht mehr hören, dass Politiker angeblich nicht mehr die Menschen erreichen würden. Dazu sage ich nur: "Bla". "Negierer der öffentlichen Meinung" - Um sich eine Meinung bilden zu können, muss man erst einmal was tun und sich mit den politischen Themen befassen. Mit Talkshows gucken allein funktioniert das allerdings nicht.
Schaue Dir die Leute an, die sagen, dass sie nicht mehr erreicht werden würden. Diese Leute, die von "denen da oben und wir hier unten" sprechen. Das sind - wie es JR schön schrieb - dumme Menschen, die sich keinen Deut um Politik kümmern und deren Grundprinzip der Egoismus darstellt. Meistens blöde dabei wie wie ein Laib Brot. Man kann sich nämlich in unserer Gesellschaft sehr wohl einbringen, wenn man es denn möchte. Man kann sich engagieren und etwas verändern. Wenn man natürlich Politik nur alle paar Jahre in der Wahlkabine machen möchte, so ist das selbst gewählt und eine Selbsteinschränkung seiner politischen Teilhabe.
Und nur um von vornherein klar zu machen, wo ich selbst dabei stehe: Ich bin Linker und sehe die Gesellschaft kritisch. Es gibt jede Menge Baustellen. Wenn man aber Gesellschaftskritik betreiben möchte, sollte man über die richtigen Sachen meckern. Und vielleicht auch erst dann, wenn man sich ein umfassendes Bild über die Verhältnisse gemacht hat. Dieses oben/unten-Gedenke ist doch nur Zeugnis, dass man absolut nichts verstanden hat.
Waren schon immer so viele Menschen Feierabendnazis oder wurden sie es erst durch die Bestätigung anderer?
Die Nazis verbrachen einen Weltkrieg und einen millionenfachen Massenmord an wehrlosen Zivilisten und Mitbürgern. Ich finde, wenn wir von Tabubrüchen reden, gehört auch der Begriff "Feierabendnazi" dazu.
Anhand der paar Realitäten, die ich selbst beobachte, vermute ich, dass die öffentlich zelebrierte rechter Verrohungskultur einen harten Kern Überzeugter enthält, aber auch einen erheblichen Anteil an Leuten, die schlicht gemerkt haben, dass sie mit solchen "Tabubrüchen" Aufmerksamkeit auf ihre - womöglich von ihnen selbst als ziemlich unbedeutend und elend erlebten - Existenz ziehen können. Für sie ist das eine der seltenen Gelegenheiten, "zurückzuschlagen". Kreativer werden sie dabei nicht - sie bleiben Teil einer Massenkultur ohne Gewissen.
Und wenn sie Posts lesen wie Ihren obigen, haben sie ein trauriges kleines Erfolgserlebnis - allerdings kein nachhaltiges. Das äußert sich schon darin, dass sie davon nie genug bekommen.
Ist dieser Post der Anfang Ihres Rückzugs ins Biedermeier, oder der Abschluss davon?
Hmm. Sehe ich irgendwie nicht so. Üben sollte man sich doch vielmehr darin, zwischen Toleranz und Inakzeptanz zu unterscheiden. Ansonsten würde man die Meinung derer, die eigentlich gar keine Meinung haben, ja sogar noch aufwerten. Man wäre dann sozusagen doch eine Art passiver Steigbügelhalter, oder?
Na ja. Ich kann mich auch irren.
Das sehe ich ganz genau so wie Du es ausdrückst.
Ob das der Anfang oder das Ende des Rückzuges ist hmm... Sehr gute Frage. Ich glaube, dass ich mir selbst darüber auch noch nicht im Klaren bin. Einerseits habe ich keine Lust mehr, mich weiter aufzuregen. Das geht irgendwie auch an die Substanz. Andererseits sagen mir meine Grundwerte, dass man doch lieber etwas tun sollte gegen den rechten Pöbel. Du siehst also: Ich schwanke noch zwischen Sofa und Schreibstube.
Sie sind nicht verpflichtet, sich zu überfordern. Ich auch nicht. Das Sofa oder der workout sind ja keine lieux inderdits. :-)
Aber das pure Biedermeier erscheint mir nicht besonders tragfähig, wenn ich mir ansehe, wem ich damit das Feld überlasse.
Damit meine Antwort an Dich jetzt nicht falsch verstanden wird. Damit meine ich natürlich nicht Dich. Ist ja klar, oder?
Und genau das ist mein Konflikt.
Ich habe eine Zeit lang sehr obsessiv gegen gehalten, diskutiert und versucht Verständnis zu haben, um die Angst, die immer wieder angegeben wird, zu verstehen. Das bringt nur nichts. (Außer vielleicht einem selbst, weil man sich eventuell erhabener fühlen kann.) Für dieses Problem sehe ich absolut keine Lösung.
"Dieses oben/unten-Gedenke ist doch nur Zeugnis, dass man absolut nichts verstanden hat."
Das sehen viele, die politisch engagiert sind, anders: die Politik soll sich ja um die Menschen kümmern, die sie "betreuen". Aufgrund der langen Zeit großer Koalition ist das aber nun weniger der Fall, die Politik kann die Menschen nur erreichen, wenn die Menschen die Politik auch verstehen. Da ist mit den Aussagen fast aller Politiker aber nicht geholfen, das es zunehmend Worthülsen sind, inhaltslose Sätze. Also oben/unten.
"Um sich eine Meinung bilden zu können, muss man erst einmal was tun und sich mit den politischen Themen befassen. " Ja, da bin ich bei Ihnen. Da Sie selbst aus Berlin kommen, werden Sie sicherlich genug Menschen kennen, die 2 Jobs haben, um über die Runden zu kommen. Wann sollen die sich um Politik kümmern? Es ist zu einfach, denen zu sagen, sie sollten da an ihrer eigenen Kompetenz arbeiten - nur weil man das selbst so macht. Manche, viele, können und wollen das nicht. Für die gibt es dann Regeln, gerne auch Moral, die für die Menschen den restriktiven Raum schaffen, innnerhalb dessen sie leben können. Sich in der von Ihnen gewünschten Tiefe mit Politik auseinander zu setzen, können eben die meisten nicht. Wenn ein Altmaier z.B. behauptet: "das können Sie alles auf unserer Internetseite nachlesen" gilt das nicht für alle: es gibt in GER ca. 10% Analphabeten, die fallen schon mal raus. Ca. 20% sind der deutschen Sprache nicht so mächtig, dass sie sich einfach informieren können. nur 80% der deutschen Bevölkerung haben überhaupt einen Internetzugang. Dann bleibt ein Rest, der das faktisch könnte...
"Meistens blöde dabei wie wie ein Laib Brot." Das ist natürlich eine Beleidigung derer, die dafür nichts können. Gelinde gesagt unfair und zu wenig differenziert. Warum sind die denn blöde?
Ich glaube, Sie sind da etwas auf dem falschen Dampfer, vielleicht aber auch ich...
Das medial vermittelte Problem ist kollektiv. Dafür kann es keine individuelle Lösung geben. Lösen kann ich nur mein Problem, das ungefähr so auftritt wie beim Pfadfinder die Herausforderung zur guten (oder bösen) Tat. Ich kann lokal handeln.
Mit dem "global denken" wird es schon komplizierter. Einer der FC-Blogger hat in der Hinsicht für sich wohl zu einer Policy gefunden - →Seriousguy47. Sowieso sehr lesenswert, aber im Zusammenhang mit unserem Thema vor allem mit seinen neuesten Posts.
Die Argumente hinsichtlich der Vermittelbarkeit von Politik, die Du aufzählst kenne ich natürlich auch und da ist selbstverständlich auch was dran. Keine Frage. Diese Probleme, die Du nennst gibt es und sie sind auch nicht gerade unwichtig. Allerdings glaube ich, dass die Informationsangebote die es gibt, von denen, die sie vielleicht benutzen sollten, eben nicht benutzt werden wollen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg (und das gilt vor allem dann, wenn man sich mit seiner Meinung in die Öffentlichkeit wagt). Und mal ganz allgemein gesprochen: Wie tief muss man denn in der Politik durchblicken, um zu wissen, dass man den Wahlzettel nicht als Denkzettel verwendet? Vor Populismus und Rattenfängerei müsste doch jeder bereits in der Schule ausgiebig gewarnt worden sein, oder? Dieser einzelne Punkt reicht doch schon. Ist ja keine Atomphysik.
Den hatte ich noch gar nicht auf dem Zettel. Danke Dir für den Tipp.
Na ja, der Toleranz ist die Inakzeptanz ja inhärent.
"Wie tief muss man denn in der Politik durchblicken, um zu wissen, dass man den Wahlzettel nicht als Denkzettel verwendet? " Das Durchblicken wurde den meisten in den letzten Jahren wie geschrieben aberzogen. Da blicken auch die Interessierten und Professionellen nicht mehr duch, zu komplex die Systeme. Den Wahlzettel nicht als Denkzettel? Doch: es funktioniert ja, alle rudern wie wild, schlafen den Kater aus und sortieren sich neu. Fangen vielleicht mal wieder an, normal zu denken und zu reden, mit klaren Zielen und halten sogar die notwendigen Reihenfolgen der Einzelhandlungen ein, in dem sie diejenigen, die die Auswirkungen zu spüren bekommen, vielleicht frühzeitig mit einbinden (vgl. Flüchtlinge/EU-Mitgliedsstaaten).
Wie sähe denn ihrer Meinung nach ein Denkzettel aus? Einen Brief an das Bundeskanzleramt schreiben? Mit einem Plakat vorm Reichstag stehen? Und was steht auf dem Plakat? "Ihr Idioten"? Meines Erachtens ist die "Protestwahl" das einzige Mittel, zudem demokratisch möglich und nicht strafbar.
Vielleicht kann man auch ein Lied komponieren, dass man sich dann selbst anhört...
By the way: Wo sind eigentlich die ganzen vollgefressenen Künstler - warum gibt es keine Band Eight? Die kriegen den Arsch auch nicht mehr hoch, sitzen auch auf Ihrem Sofa...
schön mal zur Abwechslung einen Autor zu lesen, bei dem man ehrliche Hilflosigkeit und Scham erkennt, wenn er sich über seine Mitmenschen Gedanken macht.
Das ist hier eher die Ausnahme, hier geht es eher darum, den Anderen missverstehen zu wollen, um ihn dann mit unsäglichen Projektionen zu belegen.
Dass Du eher aus Scham die Tagesschau weg zappst, und nicht als Bestätigung der "Lügenpresse" hat Dir ein Putin-Versteher ja gleich unter geschoben. Andere kommen mit überheblicher Arroganz daher oder leisten für RT und politische Parteien unter dem Deckmäntelchen eines "Diskurses" ihre Lobby-Arbeit.
Dabei ist Scham doch die originäre Bedeutung Deines Mottos, das heute eher unbedarft mit "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt" verwendet wird, aber im Wortsinne „Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt“ zu verstehen ist.
Darüber meint in Deinem Kontext diese unsere Gesellschaft, deren Teil aber eder von uns ist.
Statt also, wie hier in dFC sehr verbreitet, sich über diese Gesellschaft zu erheben, also von einem abgehobenen Standpunkt aus auf sie oder Teile von ihr abzulästern, sollte man sich doch eher zuerst einmal der eigenen Verantwortung bewusst werden und den Eigen-Anteil sondieren, der in Summe jetzt zunehmend dieses Schamgefühl von dem Zustand einer Gesellschaft auslöst, zu der man ja selbst gehört, sich eigentlich auch ganz wohl fühlt, aber bei Bewusstwerdung (Wahlergebnisse) dieser Größenordnung von Mitmenschen mit prekärer Gesinnung/Haltung doch lieber nicht gehören möchte.
Es ist wie bei Statistiken. Darin zeigen sich manchmal Steigerungen von Kriminalität, die nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, sondern einfach durch eine genauere Erfassung oder Umgruppierung erreicht wurde.
Die sich in der Öffentlichkeit (den Medien) äußernden müssen nicht einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung entsprechen, denn häufig ist es doch so, dass sich diejenigen, die mit dem System noch Kompromisse machen oder sich darin bewegen können, in den Medien zurückhalten. Denen fehlt einfach der Impuls zur Kritik, sowohl im Pro als auch im Contra.
Ansonste sind Sie in ihrem Umfeld immer ein Katalysator und können nie (selten) wissen, welchen positiven Einfluss Sie ausüben. Deshalb halte ich ihren Rückzug für falsch, obwohl ich ihren Frust durch die Zeilen lesen kann und ich den ebenfalls gut kenne. Ein Grund doch auch, warum wir hier schreiben.
Das Politikverständnis, was Du mit Deinem Kommentar erkennen lässt ist doch sehr diffus. Es braucht keine Denkzettel. Niemals. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich mich gezwungen fühlen würde, meine Stimme an populistische und bösartige Idioten zu verschwenden.
Das Protestwählen ist so ziemlich die bescheuertste Form von Meinungsäußerung und Partizipation. Und sie ist für mich gleichzeitig ein Anzeichen von mangelnder Reife. Ist doch total kindisch, wenn man beleidigt ist und dem anderen einen rein würgen will - was anderes ist das doch nicht? Das zeugt vor allem von fehlendem Demokratieverständnis und mangelhafter politischer Bildung. Demokratische Politik ist nämlich immer Konsensfindung und niemals Kampf. Wer aus Protest wählt, bringt Emotionen in eine Sphäre, in denen diese nichts verloren haben. Die ganzen spontan Politisierten mögen das vielleicht anders sehen. Richtiger wird es dadurch aber auch nicht. Weißt Du eigentlich, wie schlimm diese Wahlergebnisse wirklich sind?
Wenn einen politische Botschaften nicht mehr erreichen kann das mehrere Gründe haben. Du denkst, die Thematik sei zu komplex und es sei die Sache der Politiker, alles jedem vorzukauen (ist ja auch in der Schule eine sehr beliebte Methode: wenn mans nicht rafft, ist der Lehrer Schuld). Ich denke allerdings, dass auf Seiten der Bürger zu wenig getan wird. Zum Beispiel ist kaum jemand in einer Partei. Und die Bürgerinitiative wird erst dann besucht, wenn irgendwas eigenes das Thema ist. So lange es die Menschen nicht selbst betrifft, hocken sie auf dem Sofa und fressen Chips. Die ganze Zeit sind gesellschaftliche Themen den Leuten egal. Wenn sie dann aber selbst irgendetwas wollen, dann werden sie auf einmal laut und schimpfen herum. Zeugt das von Demokratieverständnis? Und wenn die Wutbürger erst einmal los legen, geht dabei auch sofort die Diskussionskultur im öffentlichen Diskurs komplett den Bach runter. Lirum larum: Die Faulheit sich zu informieren und der Egoismus von Dilettanten legitimiert weder das Verhalten der AfD oder der PEGIDA-Bratzen, noch das vermeintliche Protestwählen. Ich sage: Unterschiedliche Parteien haben verschiede Meinungen, Methoden und Instrumente, um mit gesellschaftlichen Phänomenen und Problemen umzugehen. Die sind in der Regel nicht geheim. Und um da durchzublicken muss man zwar kein Wissenschaftler sein, sich aber auf jeden Fall darum kümmern, wenn man sich eine fundierte Meinung bilden möchte. Das ist Arbeit, ja. Finde ich persönlich jetzt nicht besonders schlimm. Es gehört halt dazu.
Anstatt alle Politiker generell in einen Topf zu werfen und über sie zu urteilen sollten sich viele vielleicht erst einmal an die eigene Nase fassen. Es gibt Spielregeln. Sowohl im demokratischen Miteinander als auch im öffentlichen Diskurs. Und jeder ist eingeladen, sich daran zu beteiligen. Wer glaubt dass es keine Möglichkeiten geben würde etwas zu verändern, sollte noch einmal Nachhilfe in Sachen Zivilgesellschaft nehmen. Und wem das ganze zu komplex ist kann ja mal eine Bibliothek besuchen.
Genau so ist es. Gut gesprochen.
Am liebsten auswandern, aber woanders ist es ja auch nicht besser. Es ist schlimm, weil es noch schlimmer werden kann. Und ich befürchte, dass es das auch wird. Also doch: Rückzug.
Stimmt. Das Problem, was ich in dem Zusammenhang noch sehe, ist, dass die Lauten doch leider meistens die Richtung bestimmen. Und selbst Gegenhalten ist auf Dauer anstrengend. Es fehlt auch meiner Meinung nach die Rückendeckung aus Politik und Presse. Viele sollten sich viel deutlicher positionieren (obwohl es schon besser geworden ist).
sich aus der mit-schunkel-position zu lösen und auf einen distanziert ethnologischen blick/standort mit exil-erwägung katapultiert zu sehen, ist nicht ohne, aber hoffentlich zu puffern.
Nein, Herr Hennemann, da sollten Sie sich doch beruhigen, lesen Sie sich ihren Kommentar nochmal durch und versetzen Sie sich in die Lage eines Menschen der von Ihnen überzeugt werden möchte und auf Argumente wartet. Ich hatte gehofft, da kommt noch etwas mehr Tragfähigkeit in die Aussagen, aber das Gegenteil ist der Fall.
"Die Faulheit sich zu informieren und der Egoismus von Dilettanten legitimiert weder das Verhalten der AfD oder der PEGIDA-Bratzen, noch das vermeintliche Protestwählen."
So kommt man nicht weiter, Sie haben sich ihr Hassbild so aufgebaut, wie Sie es an andern kritisieren.
Weiter so! Das lässt hoffen!
Im Elfenbeinturm wird es zudem auch schnell langweilig glaube ich.
Oha. Da habe ich wohl einen Nerv getroffen. Jetzt verstehe ich.
Pardon, Herr Hennemann, aber das Genre ICH-mag-nicht-mehr-weil-IHR-Schweine-seid ist schon →belegt und nicht mehr zu toppen.
Den Zusammenhang sehe ich jetzt nicht. Worauf beziehst Du das?
Darauf, sich empört →zurückzuziehen, weil ein Fünftel oder ein Sechstel des Wahlvolks nicht parieren, trotz aller normativen und moralischen Machtworte.
Da stellt sich mir dann schon die Frage, was eigentlich im Vordergrund steht: das beleidigte Selbst oder die Sache.
Na die Sache natürlich. Es geht mir doch nicht ums Parieren. Auch nicht um Erhabenheit, Moral oder das eigene Ego. Wie sollte ich das denn anders ausdrücken, als dass es mich verstört? Soll ich vielleicht einfach darüber hinweg sehen, dass wichtige Grenzlinien inzwischen übertreten sind? Da kann ich ja gleich Nihilist werden. Nein, ich denke wirklich, dass unsere Gesellschaft etwas wichtiges in den letzten Monaten verloren hat. Man mag mich deswegen eine Heulsuse schimpfen oder der Intoleranz bezichtigen, aber ich bleibe dabei. Ich denke, dass Prinzipien wichtig sind und man immer klar Position beziehen sollte. Ich glaube auch, dass die Fakten dabei auf meiner Seite sind.
Ich denke, dass Prinzipien wichtig sind und man immer klar Position beziehen sollte.
Das ist eine Sache. Die Verletzung solcher Prinzipien mit Rückzugsankündigungen zu beantworten ist allerdings eine eigene Form der Verneinung. Das spielt nämlich für die Prinzipienlosen keine Rolle, und für die "Prinzipienfesten" letztlich auch nicht. Weg ist weg, und "nee-bin-dann-doch-nicht-weg" ist eine Belustigung für die Geier.
Ist einfach ein dead game, finde ich.
Ja, stimmt. Da hast Du wohl Recht. Letztendlich ist es das Gleiche, als wenn man von der allgegenwärtigen Präsenz der Flüchtlingspolitik in den Medien gelangweilt umschaltet. Das Motiv ist ein anderes, das Ergebnis aber das Gleiche: das Feld den Marktschreiern überlassen. Ist gleichzeitig auch wieder Verrat an den Prinzipien. Hast Du eine Lösung?
Na, dranbleiben halt - ohne sich dabei zu überfordern. Lokal handeln (heißt u. a. mitunter auch Widerspruch), ohne Wunder zu erwarten. Menschen machen selten 180-Grad-Wendungen, und wenn, dann ist das wie beim Wetter: ein schnelles Hoch zieht meist auch schnell vorbei. Es dauert halt alles sehr lange.
Zum Leben gehören auch Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht klug sind.
Finde ich gut, dass Du "aus ganz unterschiedlichen Gründen" geschrieben hast. Eine meiner Einstellungen ist, dass es für die meisten Handlungsweisen immer Gründe gibt. Und erst wenn man diese Gründe kennt kann man die Sachlagen und das Verhalten dahinter erkennen und verstehen. Völlig egal, ob man das jetzt mag oder nicht. (Klingt gestelzt merke ich gerade, aber ich denke Du verstehst, was ich damit sagen will.)
Letztendlich ist es eh sehr wahrscheinlich, dass die sich über kurz oder lang selbst zerlegen. Die AfD ist zwar bei Wahlen das Sammelbecken für den ganzen neurechten Bodensatz und fischt in der derzeitigen Situation ordentlich Wählerstimmen ab. Aber genauso wie sich Tabubrüche selten zurück nehmen lassen, gilt das gleiche Prinzip natürlich auch für andere Bereiche. Zum Beispiel für die offene und tolerante Zivilgesellschaft. Letztlich hängt die Zukunft dieser Vereinigungen an der Europapolitik denke ich. Wenn da versagt wird, geht die rechte Kurve weiter nach oben. Wenn nicht, wird sich das (hoffentlich) schnell wieder erledigt haben. Sobald die Leute das Gefühl haben werden dass die Sache läuft verschwinden sie wieder auf die Sofas denke ich. Es besteht also noch Hoffnung.