Geringer als Sklaven

ZWANGSARBEIT Drei Kategorien, wer nicht zu A oder B gehört, hat kaum eine Chance auf Entschädigung

Sie haben es noch nicht einmal für nötig befunden, meinen Brief auf englisch zu beantworten. Ich komme mir so klein vor und diese Bundesregierung und die Industriebosse machen, was sie wollen" empört sich Mario Bertorelli aus Großbritannien. Er war in einem der berüchtigten "Arbeitserziehungslager", hier wurde er schwer gefoltert, hat wie durch ein Wunder überlebt.

Um die unterschiedlichen Schicksale der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen bei der Zahlung einer Entschädigung berücksichtigen zu können, werden sie in drei Kategorien eingeteilt. Ob Menschen wie Mario Bertorelli zur Kategorie A (Häftlinge von Konzentrationslagern und Ghettos, die der Zwangsarbeitt unterlagen) gehören werden, ist noch nicht gesichert. Aber er hat noch eine kleine Chance auf Entschädigung. Wie müssen sich die fühlen, die kaum noch eine haben?

Das Geschacher um die Entschädigung für die Menschen, die von den Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, ist schon widerlich genug. In der am 17. November beendeten "Verhandlungsrunde" in Bonn ist es nicht gelungen, zu einer Übereinkunft zu kommen.

Von den neun Millionen Zwangsarbeitern bei Kriegsende leben heute noch rund zehn Prozent. Sie sollen zwischen 3.500 und 10.000 Mark Entschädigung erhalten.

Das betrifft nach dem jetzigen Stand aber nur die Häftlinge aus Konzentrationslagern und Ghettos (Kategorie A) und die zwangsweise vom Heimatort Deportierten und zusätzlich diskriminierten Zwangsarbeiter (Kategorie B), nicht berücksichtigt wird die große Gruppe der Landarbeiter. (Kategorie L). Ihre Ansprüche werden dem Gutdünken der Stiftungen in den einzelnen Ländern über antwortet.

Bisher nicht bedacht werden auch diejenigen ZwangsarbeiterInnen aus osteuropäischen Ländern, die nicht wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, sondern heute in Ländern wie Australien, den USA oder den Niederlanden leben. Sie haben nur eine Chance, entschädigt zu werden, wenn sie zur Kategorie A gehören.

Übergangen werden auch "rassisch Verfolgte" wie Sinti und Roma, deren Vertreter nicht - wie versprochen - an den Verhandlungen beteiligt wurden. Sie bekommen nur etwas, wenn sie zur Kategorie A oder B gehören, wobei bei Kategorie B ZwangsarbeiterInnen aus bestimmten Ländern Osteuropas durchfallen werden. Dazu zählen vor allem Bulgarien, Slowenien und Jugoslawien. Eine Delegation von Vertretern des "Zusammenschlusses der Verbände der Opfer des Zweiten Weltkrieges" und des "Verbundes der Vereine der Kriegsgefangenen Jugoslawiens" war in der zweiten Novemberwoche zu Gesprächen in Berlin und erklärte für die Zwangsarbeiter Jugoslawiens sei bisher kein Pfennig Entschädigung gezahlt worden, auch wenn behauptet werde, dass es 1971 ein Entschädigungsabkommen zwischen dem damaligen Präsidenten Tito und der Bundesregierung gegeben hätte. Es handele sich dabei um einen sehr zinsgünstigen Kredit von einer Milliarde DM, der schon zu einem Drittel wieder zurückgezahlt worden sei. Der Zusammenschluss der jugoslawischen Verbände hat übrigens seinen Sitz in der Stadt Kragujevac, in der im Oktober 1941 7.300 Menschen bei einer "Vergeltungsaktion" von der deutschen Wehrmacht erschossen wurden.

Ende 1998 haben diese Vereinigungen, die nicht staatlich organisiert sind, begonnen, die Bevölkerung aufzurufen, Anträge zu stellen. 29.758 geprüfte und bearbeitete Anträge liegen bereits vor. Von den über 590.000 Personen, die aus Jugoslawien zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, lebten am Ende des Kriegs noch 187.119 Menschen. Die Gesamtforderungen würden rein rechnerisch weit mehr als 100 Millionen DM betragen.

Für die spezifische Form der Versklavung von Menschen unter dem NS-Regime ist der passende Begriff noch nicht geprägt. Benjamin Ferencz hat in seinem Buch Less than slaves ("Weniger als Sklaven") darauf hingewiesen, dass historische Sklavenhalter in der Regel für ausreichende Verpflegung gesorgt hätten. Welchen Begriff gäbe es wohl für das demütigende "Verhandlungsspektakel"? Welches Wort für die, die unter den Diskriminierten noch einmal die Geringsten sind?

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