So bleiben wir Freunde

Katalonien Der Bruch durchs Land könnte Generationen prägen. Idoia, Luis und Pepa wollten ihn nie
Ausgabe 50/2019

Der Konflikt um Katalonien brodelt weiter, auch wenn die ärgste Erregung zunächst abgeklungen ist nach den Unruhen im Oktober. Sie hatten sich daran entzündet, dass in Madrid teilweise hohe Strafen gegen katalanische Politiker verhängt wurden. Die Urteile des Obersten Gerichts lauteten auf 9 bis 15 Jahre Haft wegen Aufwiegelung, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Ungehorsams.

Was derzeit passiert, könne zu einem solchen Bruch innerhalb des spanischen Staates führen, dass es sich auf das Leben von Generationen auswirken werde, warnt der Historiker Steven Forti. Der Italiener, der in Barcelona lebt, sieht die Schuld an der verfahrenen Lage vor allem bei unverantwortlichen Politikern: „Anstatt den Dialog zu suchen, wird das Problem an die Justiz delegiert.“ So geschehen schon 2010, als die seinerzeit regierende konservative Partido Popular (PP) per Verfassungsklage die Einschränkung des vier Jahre zuvor überarbeiteten und von der Bevölkerung akzeptierten Autonomiestatuts Katalonien erwirkte. Das Statut von 2006 erlaubte mehr Finanzhoheit und bezeichnete die Katalanen als „Nation“. Dies wieder zu kassieren, rückte eine Lösung des Konflikts in weite Ferne. Forti findet, dass die Regierungen in Madrid wie Barcelona davon profitieren, Flagge zu zeigen. Aber mit ihrem Nationalstolz erreichten sie nur einen Teil der Bevölkerung. Es werde missachtet, dass die Gesellschaft, die sie vertreten, divers sei und es mehr als nur eine Meinung gäbe.

Streit im Klassenzimmer

Idoia Iriarte steht am Verkaufstisch des Kosmetikgeschäfts, in dem sie arbeitet, und wartet auf Kundschaft. Es kommt niemand. Die Touristen ziehen am Laden vorbei, durch die engen Gassen von Girona, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in Katalonien, nördlich von Barcelona. Die Serie Game of Thrones wurde hier gedreht, deshalb ist die Stadt ein Touristenmagnet. Man könne daraus noch viel mehr machen, glaubt die 51-jährige Spanierin mit den braunen, schulterlangen Haaren. Doch leider verunsichere die aufbegehrende Politik der Regionalregierung nicht nur die Unternehmen, sondern auch die meisten Touristen. Sie bedrohe damit die Wirtschaft. „Und dann kommt die Arbeitslosigkeit.“

Girona ist eine Hochburg für Unabhängigkeitsenthusiasten. Carles Puigdemont, der ehemalige Regionalpräsident, der das Unabhängigkeitsreferendum 2017 in die Wege leitete und anschließend ins Exil gehen musste, war hier Bürgermeister. Idoia ist davon überzeugt, sich mit Separatismus auszukennen. Sie kommt aus Bilbao, aus dem Baskenland, einer Region, in der es ebenfalls einen starken Willen zur Unabhängigkeit gibt. Zwischen 1960 und 2010 mündete der auch in Gewalt, nachdem sich ein Teil der Unabhängigkeitsbewegung terroristischer Mittel bediente. Bei Anschlägen der Untergrundorganisation ETA wurden mehr als 800 Menschen getötet. Idoia erzählt, Ende der Achtziger sei in der Nähe ihres Hauses eine Autobombe gezündet worden. Für sie der letzte Anstoß, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, möglichst für immer.

In Girona sind die Balkongitter an den hellgrauen Steinhäusern mit Flaggen behängt. Gelb mit vier roten Streifen für Katalonien. Auch gelbe Schleifen prägen die Stadt, sie sind an Statuen befestigt, an Laternen, auf T-Shirts gedruckt und auf die Schilder mit den Straßennamen. In den Souvenirshops können sie für 2,50 Euro erworben werden. Die Schleifen stehen für die Forderung nach der Freilassung der „politischen Gefangenen“, der verurteilten katalanischen Politiker. Dies wird auch auf Bannern verlangt, die den Hintergrund zahlreicher Fotos mit Sommermotiven des Jahres bilden.

Nur 60 Kilometer sind es von Girona nach Frankreich. Dem Ausland ist die Stadt damit viel näher als der 700 Kilometer entfernten Hauptstadt Madrid. Idoia weiß, wer Unabhängigkeitsbefürworter ist und wer nicht. Sie erzählt, sich deshalb mit ihren Kunden auf den Deal geeinigt zu haben: „Wenn wir nicht über Politik reden, bleiben wir Freunde.“ Nur zwei Mal sei es ihr passiert, dass sich jemand geweigert habe, für sie die Sprache zu wechseln, von Katalanisch zu Spanisch.

Die Sprache bietet nicht nur den Zugang zum Konflikt, sie spaltet die Gesellschaft und erregt die Gemüter. Das weiß Luis Fernandez besonders gut. Seine Tochter werde in der Schule ermahnt, wolle sie nicht katalanisch sprechen. Auch mit ihm werde in den Elternsprechstunden nur katalanisch geredet. „Generell wird die spanische Sprache hier unterdrückt“, meint der 50-Jährige, der aus Asturien stammt. Fernandez sitzt auf einer Bank in Terrassa, einer Kleinstadt, eine S-Bahnstunde von Barcelona entfernt. Es handelt sich um den Ort, in dem im Juni eine zehnjährige Schülerin ihre Lehrerin beschuldigte, sie aus dem Klassenraum geworfen zu haben, weil sie eine Spanien-Flagge gezeichnet hatte. Angeschrien worden sei sie auch, beklagte sich das Mädchen. Das Bildungsministerium in Madrid hat dafür keine Beweise gefunden, doch der Zwischenfall erregte großes Aufsehen.

„Sie malen im Spanischunterricht“, empört sich Luis Fernandez. Er will hier weg. Nach 14 Jahren in der Region spricht er zwar katalanisch, macht aber inzwischen davon keinen Gebrauch mehr. Ja, er sei konservativ, aber das sei kein Grund, für seine Liebe zu Spanien als Faschist bezeichnet zu werden. Das Problem: Seine Frau ist Unabhängigkeitsbefürworterin. Und sie arbeitet in einer katalanischen Verwaltung. Deshalb ist Luis noch in Terrassa. Und deshalb ist er still.

Dafür regt sich der Rest Spaniens auf, zumindest die Journalisten tun das, seit eine Studie veröffentlicht worden ist, die auf einer Untersuchung zum Gebrauch der katalanischen Sprache auf katalanischen Schulhöfen basiert. Dazu haben sich anonyme Beobachter unter 6- bis 16-jährige Kinder gemischt. Verglichen wird diese Praxis mittlerweile mit der „sozialpolitischen Brigade“ aus der Zeit des Franquismus. Plataforma per la Llengua, die Nichtregierungsorganisation, die hinter der Studie steckt, weist die Vorwürfe klar von sich. Persönliche Daten der Kinder seien ja nicht festgehalten worden. Die Ergebnisse der Recherche bewiesen im Übrigen, dass Spanisch eben nicht unterdrückt wird: Unter den 6- bis 12-Jährigen sprechen noch 35 Prozent katalanisch, unter den 13- bis 16-Jährigen nur noch die Hälfte davon. Katalanisch sei demnach die wirklich gefährdete Sprache in Katalonien, so das Fazit.

In Katalonien sind beide Sprachen offiziell anerkannt. Sie werden intuitiv gewechselt und parallel verwendet. Aber im Parlament in Madrid werden die Mikrofone ausgeschaltet, wenn jemand katalanisch spricht. Und die Beamten, die für den spanischen Zentralstaat in Katalonien arbeiten, sprechen oft nur spanisch. Auch gibt es kaum Juristen, die sich der katalanischen Sprache bedienen.

Madrid lässt alles verkommen

1,2 Millionen Ausländer leben in Katalonien, sie machen über ein Sechstel der Bevölkerung aus. Dazu kommen die Spanier aus anderen Regionen. Sie alle kennen die Argumente der Unabhängigkeitsbefürworter. Aber wie sollen sie sich positionieren? „Das ist, als würde ich sagen: Ich bin nicht aus Deutschland, ich bin aus Frankfurt“, sagt ein grauhaariger Andalusier, der seit seinem achten Lebensjahr in Katalonien lebt. Er zuckt mit den Schultern.

Die 40-jährige Pepa Piquer steht in ihrer Schneiderei, umgeben von Stoffen und Maschinen. Sie hat sich anders entschieden als Idoia und Luis Fernandez. Sie hat beim Referendum 2017 für die Unabhängigkeit gestimmt, und sie zieht mit den Demonstranten über Straßen und Plätze, wenn es um die Abspaltung geht. Dabei stellt sie sich vor allem gegen Madrid. Denn dort sei man für die Benachteiligung Kataloniens – beispielsweise bei der Infrastruktur – verantwortlich. Überall in Spanien, besonders im Norden, seien die Autobahnen renoviert und gratis. Doch hier tue sich seit 30 Jahren nicht viel, klagt sie. Es stört sie, dass 27 Prozent des katalanischen Bruttoinlandsprodukts an den Zentralstaat gehen, der damit mache, was er wolle. „Ich reiße die veralteten Flughäfen selbst mit ab, wenn es sein soll. Wir kommen hier schon klar, auch ohne den Rest Spaniens“, sagt sie.

Der Historiker Steven Forti ist sich sicher, dass es eine Lösung für den Katalonien-Konflikt gibt. Voraussetzung dafür sei der Dialog. Madrid sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, Katalonien ein Referendum über die Selbstverwaltung einzuräumen, und Barcelona sollte einsehen, dass die Unabhängigkeit – zumindest im Augenblick – nicht möglich ist. „Das Territorium befindet sich nun einmal unter spanischer Kontrolle, und Barcelona kann gegen die Stärke Madrids nichts ausrichten.“ Man müsse gemeinsam einen Weg finden, um zusammenzuleben und dafür zunächst die Gesellschaft anerkennen, wie sie ist. Man könnte ergänzen: Um damit auch Idoia, Luis und Pepa gerecht zu werden.

Maren Häußermann ist freie Autorin und lebt in Madrid und Wien

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