Links blinken, rechts regieren – Geißler demonstriert seine strategischen Fähigkeiten (Von wegen Sozialdemokratisierung der Union IV)
Verantwortlich: Albrecht Müller |
Ich bewundere den früheren Generalsekretär der Union als großen politischen Strategen, und ich wundere mich immer wieder über jene, die auf seine Strategie hereinfallen. Dazu gehören viele vermeintlich progressiven Zeitgenossinnen/en. Deshalb muss man dankbar dafür sein, wenn dieser große Politikstratege seine Strategie – einschließlich beachtlicher Mängel in der Sache – selbst offen legt. Zur Demonstration reichen einige wenige Absätze eines Interviews mit Focus vom 9. Juni. Siehe dazu hier und Auszüge in Anlage A. Albrecht Müller
Dazu einige Anmerkungen:
Geißler macht radikale Sprüche („Arbeitslose werden zum Kostenfaktor degradiert“), aber er lehnt selbst dieses ungerechte und zugleich ökonomisch falsche Sparpaket nicht ab, im Gegenteil, er wirbt dafür.
Er übt immanente Kritik und wirbt dann sogar dafür, mit Verbesserungsversuchen Schwarz-Gelb, also die politische Machtbasis der neoliberalen Bewegung in Deutschland, nicht zu gefährden. Wörtlich: „Man darf die Koalition deswegen jetzt nicht gefährden, aber muss im Laufe der Gesetzgebungsarbeit versuchen, die Liberalen zum Einlenken zu bewegen.“
Er benutzt den üblichen Trick, um Kritik abzubiegen: Die sachliche Linie sei richtig, aber sie werde schlecht verkauft. Wörtlich; „Zwei Punkte hätten von der Bundesregierung deutlicher herausgestellt werden müssen“.
Geißlers Vorstellungen von der Sache, von dem was ist, und von dem, was notwendig wäre, sind geradezu abenteuerlich:
- Geißler hält Sparen auch zum jetzigen Zeitpunkt für die richtige Therapie. Er glaubt wirklich, dass man jetzt sparen müsse und dass mit dieser Sparabsicht auch ein Sparerfolg verbunden wäre; er glaubt, dass man zum jetzigen Zeitpunkt – also bei hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Konjunktur – die Staatsschulden abbauen könne, wenn der Staat zu sparen versucht.
- Geißler sieht die Gefahr einer Inflation und sieht nicht, dass uns die deutsche und die von Deutschland initiierte europäische Sparorgie an den Rand einer gefährlichen Deflation bringt.
- Er will uns glauben machen, man könne den Euro mit Sparprogrammen stabilisieren, noch dazu mit solchen in Deutschland. Von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik und von der Notwendigkeit, die Lohnentwicklung zu koordinieren, was heißt, in Deutschland die Löhne angemessen steigen zu lassen, keine Spur.
Er hat offensichtlich von der Diskussion um die wirtschaftlichen Zusammenhänge nichts mitbekommen. Oder er ignoriert die Analysen von Flassbeck, Horn, Bofinger, Heusinger, der NachDenkSeiten und anderer mehr. Soviel Ignoranz kann man ernsthaft nicht unterstellen. Das heißt dann im Umkehrschluss, dass Geißler bewusst und als Parteisoldat den makroökonomischen Wahnsinn seiner Parteifreunde nachbetet.
Geißler macht uns wirklich glauben, diese im Grundsatz falsch angelegte Politik ließe sich im parlamentarischen Prozess verbessern. Wörtlich: „Das Sparpaket ist verbesserungswürdig. Darüber muss jetzt im Bundestag debattiert werden. Die Parlamentarier werden nachbessern, denn sie sind näher am Volk.“
Wenn man das Focus-Interview von Heiner Geißler gelesen hat, dann versteht man auch besser, warum die Talkshow-Redaktionen ihn so gerne mögen: er bringt soziale Farbe in die Runden, er kritisiert den Kapitalismus mit radikalen Worten. Aber man kann sich darauf verlassen, dass er die politische Basis der neoliberalen Linie schont und verlässlich für diese Basis, für Angela Merkel und Schwarz-Gelb, wirbt. Deshalb ist er eine wunderbare Ergänzung zur üblichen rechtskonservativen Talkshow-Besetzung mit Henkel, Berger, Dohnanyi, Baring, usw. … . Es sieht nach Pluralität aus, ist es aber nicht.
In Anlage B finden Sie die Links zu einigen bisherigen Beiträgen der Serie zur angeblichen Sozialdemokratisierung von Angela Merkel und der Union. Die Kenntnis dieser Beiträge erleichtert die Einordnung dieses aktuellen Textes, den wir als Teil IV dieser Serie verstehen.
Eigentlich müsste das Sparpaket der Regierung Merkel dem Glauben an den sozialen Charakter der Merkel-CDU endgültig den Garaus machen. Aber ob das wirklich geschieht, wenn Interviews wie das Focus-Interview von Heiner Geißler ohne Nachdenken über die Bühne gehen, ist fraglich.
weiter zu den Anlagen hier : www.nachdenkseiten.de/?p=5861#more-5861
Kommentare 6
"Er hat offensichtlich von der Diskussion um die wirtschaftlichen Zusammenhänge nichts mitbekommen. Oder er ignoriert die Analysen von Flassbeck, Horn, Bofinger, Heusinger, der NachDenkSeiten und anderer mehr."
Und eben diese Menschen sagen die Wahrheit, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit und wer anderer Meinung ist, der ist ein Verschwörer, hinterlistiger Täuscher und der böse Feind.
Ich habe ja nichts dagegen, wenn man sich über Politiker lustig macht und ein ironisches Bashing verabstaltet. Aber dieser Text hier kommt sachlich daher, reißt aber aus dem Zusammenhang und hetzt blind. Hilfe wir sind links, wir werden verfolgt, rette sich wer kann der Heiner geht um.
Das habt ihr ausgelassen, warum auch immer:
"Ich bezweifle allerdings, dass das Paket in seiner jetzigen Ausführung den Anforderungen entspricht, die in einer Demokratie erforderlich sind, um ein so weitreichendes Programm konsensfähig zu machen. "
"Es gibt einen schwerwiegenden Fehler, der korrigiert werden muss: Pflichtleistungen der Bundesanstalt für Arbeit sollen in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Schon jetzt sind die Jobcenter ihrer Aufgabe vielfach nicht gewachsen – die Ursache für die 150 000 Klagen vor den Sozialgerichten. Viel schlimmer aber ist, dass die Mitarbeiter dort gehalten sein werden, am Ende des Jahres Einsparungen vorzuweisen. Viele von ihnen haben befristete Arbeitsverträge. Sie werden sich darum im Zweifel für das Einsparen, das heißt gegen die Menschen entscheiden, um selbst nicht entlassen zu werden. Der Arbeitslose wird von Staats wegen zum Kostenfaktor degradiert, der Willkür unfähiger Mitarbeiter ausgesetzt und in seiner Menschenwürde verletzt."
"Es gibt mehrere Kritikpunkte. Das Sparpaket ist sozial nicht ausgewogen, wie der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler es behauptet hat. Die Opfer, die gebracht werden müssen, konzentrieren sich auf Langzeitarbeitslose und Familien mit Kindern …"
"Wenn man es macht, ist es nicht zu akzeptieren, dass Menschen mit einem hohen Einkommen nicht einen einzigen Cent beisteuern müssen. Es gibt einen Grundsatz, den ich schon vor 30 Jahren in meinem Buch „Die neue soziale Frage“ geschrieben habe: In Zeiten knapper Kassen muss sich die Gerechtigkeit erst eigentlich bewähren. Dieser Satz ist bei der Ausarbeitung des Sparpakets nicht berücksichtigt worden. Das Sparpaket ist nicht gerecht, weil es keine Antwort gibt auf die Frage eines Langzeitarbeitslosen mit Kindern, warum er künftig 300 Euro weniger bekommt, während Menschen mit einem Einkommen von 100 000 Euro und mehr nichts bezahlen."
Und für Menschen die sich gerne umfassend informieren der Link zum Interview.
2007 habe ich das treiben von heiner geißler mal genauer unter die lupe genommen und gelangte zu ähnlichen schlüssen, und ja, viele fallen auf geißlers charisma herein. Schon in den 70ern galt er ja als querdenker, hielt dennoch der cdu die treue, wie sehr die ihn auch gelegentlich abservierte ...
Sorry hat wohl nicht funktioniert, aber habs vergessen
www.focus.de/politik/deutschland/heiner-geissler-arbeitslose-werden-zum-kostenfaktor-degradiert_aid_517561.html
>Eigentlich müsste das Sparpaket der Regierung Merkel dem Glauben an den sozialen Charakter der Merkel-CDU endgültig den Garaus machen. Aber ob das wirklich geschieht, wenn Interviews wie das Focus-Interview von Heiner Geißler ohne Nachdenken über die Bühne gehen, ist fraglich.
Ach so! Dafür brauchen wir den Focus. Und ich hatte gedacht, der Freitag reiche schon aus:
www.freitag.de/wochenthema/1022-die-leute-sind-toleranter-geworden
Ich habe das Focus-Interview mit Geißler gelesen und kann den Tenor dieses blogs nicht teilen.
Mir geht es ähnlich. Aber nicht deshalb, weil ich in einem anderen Kommentar Heiner Geißler, vorher allerdings Schorlemmer, Reich, Dahn, sogar für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen hatte.
Homo sapiens, laut Wikipedia der wissende, einsichtsfähige Mensch.
Wir sollten vielleicht nicht immer mit unserem Wissen hausieren gehen, sondern vielleicht auch unser Nichtwissen eigestehen können.
Für mich ist nicht zuallererst Dummheit das Übel, sondern die beharrliche Weigerung Fehler einzugestehen und selbst wenn uns dies gelingt, daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Ich denke dabei immer an solche Parolen: "Wir haben verstanden", bisher eigentlich bei SPD und CDU zu hören, vielleicht aber auch in Kürze bei der FDP...
Ich halte Heiner Geißler zu Gute, daß er sich mit seinem Wirken in der Vergangenheit auseinandersetzt hat, daß er wenigstens kleine Schritte des Änderns wagt.
Und ich werde ihn deshalb auch nicht mit wegen seines, auch für mich, verherenden Satzes:
"Der Pazifismus der dreißiger Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem heutigen unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der dreißiger Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“,
für alle Ewigkeit verdammen.
Wenn er dies in Bezug auf die Appeasement-Politik der europäischen Westmächte gemeint hat, würde ich ihm auch zustimmen, Nur hatte diese Politik nichts mit Pazifismus zu tun. Er hat also eine Verbindung hergestellt, die in der Form nie existiert hat und damit gleichzeitig dem wirklichen Pazifismus diskreditiert.
Ob er dies bewußt oder aus Unkenntnis gemacht hat, kann ich nicht beurteilen. Die Wirkung war aber bestimmt verheerend.
Es gibt aber noch einen deutschen Politiker, der damals ob der Äußerung Geißlers sehr entsetzt tat, aber dann als Außenminister einen Krieg in Jugoslawien, mit fast derselben Begründung legitimierte:
www.humboldt.de/download_humboldt_PLUS/Praesentieren_und_Referieren_Beispielrede_Politik_Joschka_Fischer.pdf?XTCsid=02315a6fdb5314b2d6410c1228bf609c
Ich würde mich sehr freuen, wenn es einmal einem Blog über das Wirken der Grünen seit 1998 geben würde, zumal mich das Gefühl beschleicht, daß diese besondere Spezies der bürgerbewegten Politiker etwas vernachlässigt wird.