Mit dem Mut der Verzweiflung

Israel vor der Knessetwahl Die Arbeitspartei präsentiert mit Amram Mitzna einen so überzeugenden wie aussichtslosen Gegenkandidaten zu Ariel Sharon

Sieben Jahre nach dem Mord an Yitzhak Rabin hat in der israelischen Arbeitspartei ein Mann das Ruder übernommen, der glaubhaft versichert, das Projekt "Oslo" vollenden zu wollen. Mit einem Vorsprung von 17 Prozent schlug Amram Mitzna bei parteiinternen Vorwahlen seinen Rivalen Benjamin Ben-Eliezer aus dem Feld - just der Vorsprung von Premier Ariel Sharon vor seinem Konkurrenten Benjamin Netanyahu, kurz vor der Kandidatenkür des Likud. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Israel am 28. Januar 2003 wird Mitzna wohl gegen Sharon antreten.

Warum hebt die israelische Arbeitspartei einen Mann auf ihren Schild, der sie nicht zum Sieg führen wird? Die Antwort ist niederschmetternd: Mitzna wurde zum Hoffnungsträger der Partei, weil sie nichts mehr zu verlieren hat. Sie hat es nicht geschafft, den demographischen Veränderungen in der Gesellschaft Rechnung zu tragen und sich der sozialen Nöte der vernachlässigten orientalischen Bevölkerungsteile anzunehmen. Sie hat außerdem in Fragen von Krieg und Frieden die Glaubwürdigkeit, die einst ein Premierminister wie Yitzhak Rabin besaß, gründlich verspielt. 20 Monate lang dienten ihre Minister der Sharon-Regierung als Feigenblatt. So sehen es jedenfalls die Reste der israelischen Linken. Shimon Peres und Benjamin Ben-Eliezer haben die parteiinterne Kritik an ihrem Verbleib in der Regierung stets mit dem Argument abgewehrt, mäßigend auf den Regierungschef einwirken zu wollen. Die Bevölkerung dankt ihnen das nicht. Sie werden in Mithaftung genommen für den Terror, dem sich der israelische Bürger heute auf seinem eigenen Staatsgebiet ausgesetzt sieht. Und sie tragen in seinen Augen Mitschuld an wachsender Arbeitslosigkeit, Armut und ökonomischer Misere.

Auf den sozialen Wandel mit adäquaten Konzepten zu reagieren, braucht Zeit. Über die verfügt die Arbeitspartei derzeit kaum. Da aber in Israel vor allem Fragen von Krieg und Frieden eine wichtige Rolle für das Wählerverhalten spielen, schien ein mit der Person Mitzna versprochener Kurswechsel im Konflikt mit den Palästinensern die einzige Möglichkeit, den Zerfall der Partei aufzuhalten. Ein solcher Neuansatz war nur mit neuem Personal glaubhaft zu vertreten - Amram Mitzna bot sich hierfür als Einziger an. Er hatte bereits vor 20 Jahren Rückgrat bewiesen, als er den Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers Sharon forderte, der sich im Libanon-Krieg gegen die Palästinenser an Kriegsverbrechen mitschuldig machte. Er verließ im Generalsrang 1989 - während der ersten Intifada - die Armee, als ihm der Posten des Generalstabschefs winkte. Er hat sich als Bürgermeister von Haifa seit 1993 um das friedliche Zusammenleben der jüdischen und arabischen Bevölkerung verdient gemacht. Man kann diesem Kandidaten Glauben schenken, wenn er sich darauf festlegt, im Falle eines Wahlsiegs die vor zwei Jahren abgebrochenen Verhandlungen mit den Palästinensern wieder aufzunehmen, und einen weitgehenden Rückzug aus den besetzten Gebieten verspricht, um die von der Mehrheit der Israelis gewünschte Trennung von den Palästinensern zustande zu bringen. Man nimmt ihm auch ab, dass er im Falle einer Wahlniederlage nicht als Steigbügelhalter für eine Rechts-Regierung zur Verfügung steht.

Für einen Wahlsieg am 28. Januar dürfte es dennoch nicht reichen. Zwar will die Mehrheit im Lande Frieden mit den Palästinensern; sie ist bereit, dafür die meisten Siedlungen tatsächlich aufzugeben, und hat sich mit einem palästinensischen Staat abgefunden. Aber - gelähmt von den Anschlägen in ihren Städten - steht sie paradoxerweise dennoch hinter Sharon. Längst haben die meisten Israelis das Vertrauen in die Fähigkeit der palästinensischen Führung verloren, Partner im Friedensprozess zu sein, und glauben darum nicht an eine Alternative zur militärischen Siegstrategie des jetzigen Premiers. Was immer die Palästinenser ihrerseits tun, kurzfristig wird es vermutlich eher Sharon als Mitzna nützen. Hört der Terror nicht auf, wird ein Wahlprogramm, das Kompromissbereitschaft gegenüber Yassir Arafat signalisiert, als Schwäche ausgelegt. Bei der Wagenburgmentalität, die im Lande herrscht, keine gute Wahlwerbung. Ein Ende des Terrors wird Sharon als Bestätigung seiner Gewaltobsessionen werten können - verkünden Armee und Regierung doch seit Monaten, die "Zerstörung der Infrastruktur des Terrors" stehe unmittelbar bevor.

Für eine Auflösung des Widerspruchs in den Köpfen, der die Israelis mehrheitlich für eine politische Führung einnimmt, die nicht bereit ist, das für einen Frieden mit den Palästinensern erforderliche Minimum aufzubringen, braucht es mehr Zeit als 70 Tage. Nur eine nachhaltige Entspannung der Lage kann das Vertrauen in eine Konfliktlösung wieder herstellen, die - verhandelt oder unilateral - den nationalen Ambitionen der Gegenseite Rechnung trägt und so Frieden bringt. So lange diejenigen, deren Engagement von außen für eine nachhaltige Konfliktlösung dringend erforderlich ist, statt dessen eigene Kriegspläne schmieden, wird man weiter auf die Ermattung der Konfliktparteien setzen müssen. Schlechte Aussichten.

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