Nach Sankt Veit (15. Juni) ist Fliegenzeit, sagt das Sprichwort und so summt sie wieder, hat den Winter in Kellern, Komposthaufen und Stallungen zugebracht und treibt sich jetzt, wo es warm ist, überall herum. Doch wer schon einmal versucht hat, einer Fliege mit der Fliegenklatsche beizukommen, der weiß: Fliegen fliegen schnell, sind wendig und weichen Hindernissen erstaunlich geschickt aus. Im Nu ändern sie ihre Flugrichtung, zick-zack schlagen sie Haken. Oft bewundern wir die Perfektion moderner Luft- und Raumfahrttechnik. Aber selbst die fortschrittlichsten von Menschen erfundenen Flugkörper sind primitiv, wenn man sie mit den winzigen Flugapparaten der Fliegen vergleicht. Anders als die Flugzeuge, mit denen wir in Urlaub fliegen, kann die Stubenfliege ihren Flug auch extrem verlangsamen und auf der Stelle schweben. Und wenn sie will, landet sie sogar mit den Füßen nach oben - kopfunter - an der Zimmerdecke.
Viel würden Drachenbauer dafür geben, wenn sie die feine Machart der Fliegenflügel imitieren könnten: Die hauchdünnen Schwingen sind mit Äderchen durchzogen. Diese kleinen Röhrchen sind aber nicht mit Blut, sondern mit Luft gefüllt. Das macht die Fliege leicht. Gleichzeitig verleihen die Röhrchen den Flügeln Festigkeit. Wie Balken in einem Fachwerkhaus sind die einzelnen Äderchen miteinander verbunden. Das dadurch entstehende Gerüst ist nicht nur schön, sondern auch stabil.
Auch die durchsichtig-weißliche Schicht, mit denen die Fliegenflügel überzogen sind, sorgt für Festigkeit. Wissenschaftler nennen die zarte Flügeloberfläche Membran. Die Membran ist außergewöhnlich fest, zugleich aber nur hauchdünn. Damit die Flügel nicht steif werden, sind die kleinen Luftröhrchen nur locker mit der Membran bespannt.
Für den Start in die Luft stößt sich die Fliege mit dem mittleren Beinpaar vom Boden ab, springt in die Höhe und wirft dabei ihre Flügel an. Würde sie diesen Luftsprung nicht machen, schlügen ihre Flügel auf dem Boden auf und die Fliege würde sich ausbremsen.
Obwohl die Fliegen rasante Kurven fliegen, behalten sie jederzeit den Überblick. Das liegt an ihren Facettenaugen, die aus 3.000 sechseckigen Linsen bestehen. Damit sieht die Stubenfliege zwar nicht besonders scharf, hat aber einen Rundum-Blick von fast 360 Grad. Zwischen den Facettenaugen sitzen noch drei Einzelaugen. Damit kann die Fliege besonders gut Bewegungen erkennen. Auch die der Fliegenklatsche.
Fliegenaugen können 300 Einzelbilder pro Sekunde unterscheiden, unsere Augen dagegen nur 30. Deshalb entkommt uns die Fliege mit Leichtigkeit. Übrigens wäre auch unser Fernsehprogramm viel zu langsam für die Fliege. Während 30 bis 45 Bilder pro Sekunde für das menschliche Auge einen Film ergeben, hätte die Fliege hier den Eindruck, einer gemächlichen Dia-Show beizuwohnen. Und wenn wir Menschen uns bewegen, kommt es der Fliege wahrscheinlich so vor, als würden wir alles im Zeitlupentempo erledigen - wie schwerfällige Riesenechsen. Das Nervensystem der Fliege verarbeitet Reize zehnmal schneller als des Menschen. Rasch hechtet sie mit dem mittleren Beinpaar in die Luft, wirft die Flügel an und ist uns - wieder einmal - entwischt.
Wie aber schafft es die Fliege, an der Decke zu landen? Warum fällt sie nicht herunter? Nach einem Salto, genauer einer halben Rolle rückwärts, heftet sie ihre Füße an die Landebahn. Eigentlich müsste sie jetzt ihrer Schwerkraft folgen und herunterfallen, aber am Ende ihrer sechs Beine sitzen Haken. Damit krallt sie sich an die Zimmerdecke. Zwischen den Haken befinden sich Haftläppchen, die mit Härchen besetzt sind. Auf den Spitzen dieser Härchen liegen Mini-Saugnäpfe. Damit saugt sie sich fest. Zusätzlich gibt die Fliege über die Hafthärchen noch eine Klebe-Flüssigkeit ab. Die Fliegenfüße ähneln also einem Klebestreifen. Auch spiegelglatte Wandflächen sind daher für die Fliege kein Problem.
Dass Fliegen sich bei ihren Saltos nie den Kopf stoßen, liegt an ihrem ausgefeilten Gleichgewichtsorgan: Dort, wo andere Insekten ein zweites Flügelpaar haben, sitzen bei den Fliegen Schwingkölbchen. Die Fliege hat ihr zweites Flügelpaar im Laufe der Evolution in diese Art Ruder umgewandelt. Die Kölbchen schwingen im gleichen Takt wie die Flügel, sie bewegen sich aber immer in die entgegengesetzte Richtung. So kann die Fliege steuern, Gleichgewicht halten und durch die Wohnung fliegen - ohne anzuecken.
Noch immer ist der Fliegenflug nicht restlos erforscht. Unerwartete Einsichten gewann nun der Schweizer Forscher Steven N. Fry, als er die Flugmanöver der Fliege mit einer Auflösung von 5.000 Bildern pro Sekunde filmte. Lange dachte man, die Fliege würde heftig rudern müssen, um ihre Flugrichtung zu ändern. Frys Aufnahmen aber ergaben: Die Fliege ändert die Flugrichtung mit erstaunlich wenig Aufwand. Selbst bei extremen Wendemanövern sehen die Flügelschläge fast so aus wie beim Geradeausfliegen. Offenbar genügen schon ganz feine Flügelbewegungen, um den Körper der Fliege umzudrehen. Fry vergleicht die Fliegenflügel daher mit dem extrem lenkfreudigen Steuerrad eines Formel-1 Rennwagens.
Damit die Fliege sich nicht immer weiter um die eigene Achse dreht, müssen ebenso wohl dosierte Flügelschläge gegensteuern. Ein ausgeklügelter Mechanismus. Laut Fry sind wir Menschen noch weit davon entfernt, den Fliegenflug bis ins Kleinste zu verstehen.
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