Rechter Feminismus = Rassismus + Neosexismus

Rechtspopulismus „120 Dezibel“ ist die rassistische und neosexistische Antwort auf die #metoo-Kampagne

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Gegendemonstranten anlässlich des durch die AfD organisierten „Frauenmarsches“
Gegendemonstranten anlässlich des durch die AfD organisierten „Frauenmarsches“

Foto: Rolf Zöllner/Imago

''Wir sind kein Freiwild, keinen Sklavinnen, keine Kriegsbeute und keine Kollateralschäden - wir sind die Töchter Europas!'', hört man eine junge Frau in dem Youtube-Video: "Frauen wehrt Euch! #120 Dezibel" sprechen. Die Kampagne wurde vor wenigen Tagen von der rechtsextremen Aktivistengruppe die "Identitären" gestartet und soll die Gegendebatte zu der #metoo-Bewegung darstellen. Es geht diesen Frauen nicht um sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft, die von Männern jeglicher Herkunft ausgeht, sondern um die große Gefahr von ''außen''. Die benannten Feinde sind Männer aus archaischen Kulturen. Die Angst soll allgegenwärtig sein, beim Joggen, an der Bushaltestelle. Und die Regierung ist schuld, schaut weg, setzt die liberale Migrationspolitik fort und lässt noch mehr ''triebhafte'' Männer nach Europa. Das Video schürt Angst, die eigene Lebensweise und Sicherheit werde durch fremde Männer aus patriarchalischen Gesellschaften bedroht. Diese Angst nutzt die ''Identitären'' Bewegung, um das Bewusstsein für das eigene zu stärken und sich von den ''Fremden'', nicht Europäern, abzugrenzen. Jedem aufmerksamen Zuschauer wird schnell bewusst, dass es sich um scharfen Rassismus handelt, der nur durch vermeintlichen Feminismus getarnt ist. Das Video wirft Fragen auf: wie können sich Frauen einer solchen radikalen Bewegung anschließen und so den eigentlichen Sexismus, sowie dessen Ursachen verneinen?

Schockierende und reißerische Nachrichtenberichte über ''Flüchtlinge, die junge Mädchen ermorden und vergewaltigen", sind heutzutage an der Tagesordnung und versetzen deutsche Bürger*innen in Angst und Schrecken. Auch Leyla Bilges, die zum Frauenmarsch am 17. Februar 2018 in Berlin aufgerufen hat, spricht davon, dass Frauen sich nicht ohne Angst belästigt zu werden auf der Straße bewegen können. Frauen fühlen sich angeblich seit 2015 nicht mehr sicher. Seit der Silvesternacht in Köln findet die AfD, sowie andere rechte Bewegungen wie die sog. ''Identitären'', mit ihrem neuen ''Feminismus'', der sich für Schutz und Selbstbestimmung der Frauen ausspricht, immer mehr Zuspruch. Besorgte Bürger*innen fürchten sich vor triebhaften 'Flüchtlingen', die eine Gefahr für die von ihnen lang erkämpfte sexuelle Selbstbestimmung darstellen.

Auch ich bin eine Frau und fühle mich seit 2015 nicht mehr oder weniger Gefahren auf der Straße ausgesetzt. Sexuelle Übergriffe sind leider heutzutage noch viel zu oft an der Tagesordnung - ausgeübt von Menschen mit und ohne deutscher Herkunft, frauenfeindliche Rollenbilder, patriarchalische Einstellungen, Unterdrückung und sexuelle Gewalt müssen thematisiert werden, allerdings nicht als Problem, das erst mit der Welle an Geflüchteten 2015 nach Deutschland kam, sondern als Teil jeder Gesellschaftsschicht und Herkunft.

Anstatt Sexismus und sexuelle Gewalt in einem öffentlichen Diskurs anzuprangern, mit der Motivation frauenfeindliche Strukturen aufzubrechen, gehen rechte ''Feminist*innen'' davon aus, es gäbe in westlichen Gesellschaften keinen Sexismus. In der deutschen Kultur, so die Auffassung, leben Frauen selbst bestimmt und frei. Sexuelle Gewalt und Diskriminierung, beispielsweise am Arbeitsplatz oder im häuslichen Umfeld, wird geleugnet bzw. nicht thematisiert. So wurde zum Beispiel die #metoo-Kampagne, in der konservativen Bevölkerung als überzogen und heuchlerisch bewertet oder ausgeblendet. Im sog. "Kampf der Kulturen", bei dem die westliche Leitkultur über den - vor allem islamischen - Kulturen steht, müssen westliche Werte, die auch die Freiheit und Selbstbestimmung der Frau beinhalten, hochgehalten und verteidigt werden. Ein Eingeständnis, dass diese Werte in Deutschland nicht allgemeingültig sind, würde den Glauben an eine westliche, moderne Kultur erschüttern und die eigene Kultur auf die gleiche Ebene mit dem vermeintlichen Feind stellen. Durch das Generieren eines Feindbildes, findet eine Abgrenzung statt. Um also zu der Auffassung zu gelangen, die Gefahr für Frauen gehe nur von immigrierten Männern aus, muss eine Vertretung des Neosexismus zugrunde liegen.

Rechte ''Feministen" blenden die Ursachen und das Vorherrschen von hegemonialer Männlichkeit aus und definieren Sexismus und sexuelle Gewalt als ein Problem "von außen", das erst mit der Aufnahme von Geflüchteten begann.

Wirft man einen Blick auf die Statistik der Sexualdelikte der letzten zwei Jahre könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, Sexualstraftaten ausgehend von Zugewanderten hätten drastisch zugenommen. Entscheiden für diese Statistiken ist jedoch die Anzeigebereitschaft der Betroffenen. Laut einer FRA Studie erstattet nur jedes vierte Opfer einer Sexualtat Strafanzeige. Zudem ist diese Bereitschaft höher, wenn es sich bei dem Täter um einen Unbekannten handelt, insbesondere wenn dessen Aussehen von der Mehrheit der Bevölkerung abweicht. Zusätzlich stehen junge Männer mit Migrationshintergrund spätestens seit der Silvesternacht in Köln unter Generalverdacht, werden öfter verdächtigt und können sich meist aufgrund ihrer finanziell prekären Lebenslagen keinen eigenen Rechtsanwalt leisten.

Die Veröffentlichung dieser Zahlen spiegelt also ein verzerrtes Bild der Realität wieder und wird vor allem für politische Zwecke genutzt, wie das Beispiel Bayern zeigt. So hatte im September 2017 der bayrische Innenminister Herrmann vorläufige Zahlen für das erste Halbjahr 2017 bekannt gegeben, obwohl es sich dabei nicht um einen regulären Teil der Kriminalstatistik handelte. Diese werden nämlich normalerweise nur zum Jahreswechsel veröffentlicht.

Wer sich also diesem politischen Kalkül nicht bewusst ist und die Hintergründe außer Acht lässt, findet leicht Bestätigung für die von rechts geschürten Ängste. "Wenn die Zahlen doch so sind, wird es auch so sein..."

Auf die gleiche undifferenzierte Art und Weise wie diese Statistiken in den Medien verbreitet werden, so verhält es sich auch mit Meldungen von Sexualdelikten begangen von Männern mit nicht deutscher Staatsbürgerschaft. Hier ist die Leitlinie 12.1 des deutschen Presserats anzuführen. Diese besagt, in der Berichterstattung über Straftaten sei darauf zu achten, "dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte." Weiter im Text besagt diese Leitlinie, öffentliches Interesse liege beispielsweise vor, wenn die Biografie für den Tatbestand eine Rolle spielt oder die Gruppenzugehörigkeit eines Tatverdächtigen eine besondere Behandlung im Ermittlungsverfahren zu Folge hat, wenn z.B. Fluchtgefahr des Tatverdächtigen besteht.

Diese Leitlinie überlässt also den Berichterstattern die Verantwortung, ob und wie die Nationalität in einem Artikel erwähnt oder betont werden sollte. So können Journalisten im eigenen Ermessen entscheiden, ob die Nationalität beispielsweise bereits im Leadsatz genannt wird oder im Fließtext. Meiner Meinung nach, lässt sich mit diesen sog. Leitlinien und der Begründung des öffentlichen Interesses jede Nennung der Nationalität rechtfertigen. Da kann es dann auch vorkommen, dass über die Herkunft eines Tatverdächtigen öffentlich spekuliert wird, weil die Klärung ja im öffentlichen Interesse liegt.

Die mediale Berichterstattung hat großen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung, Zerrbilder und Stereotype. So wird schnell aus einem afghanischen Sexualstraftäter ein Generalverdacht gegen alle aus Afghanistan geflüchtete junge Männer. Menschen zu verdächtigen, Straftaten begehen zu können aufgrund ihrer Herkunft - das ist Rassismus, oder? Die rassistischen Diskriminierungserfahrungen, die junge geflüchtete Männer hier erleben, sind nun nicht nur, dass sie klein kriminell und schlecht integrierbar sind. Nein - sie werden (auch) mit dem Verdacht konfrontiert, Vergewaltiger aus "zutiefst patriarchalischen Gesellschaft mit archaischen Wertvorstellungen“, zu sein (Vgl. Tageszeitung "Der Standard").

Nimmt man die Opfer von sexualisierter Gewalt in den Fokus, findet durch die mediale Berichterstattung von Sexualdelikten, ausgeübt von Menschen mit nicht deutscher Herkunft, eine Entwürdigung statt. Die Fälle, die "im öffentlichen Interesse stehen", (siehe Pressekodex Leitlinie 12.1), werden national in den Medien ausgeschlachtet, da die Nationalität als vermeintliche Ursache im Vordergrund steht.

Als Beispiel lässt sich der schreckliche Fall Kandel anführen, bei dem sich der öffentliche Diskurs vor allem um die Herkunft und das Alter des Täter drehte. Die Altersfeststellung des minderjährigen Täter hat sogar die Debatte um eine generelle medizinische Altersfeststellung losgetreten. Solche Verfahren wurden zum Glück generell (noch) nicht eingeführt, da einige Mediziner dies als nicht realistisch einschätzen.

Wo bleibt neben diesen hochkochenden politischen Debatten noch Platz für ein würdigen Umgang mit den Opfern von Sexualdelikten? Und ist es nicht für die Familie des Opfers eine zusätzliche Qual, dass ihre Tochter und das, was ich widerfahren ist, wochenlang politisch und populistisch missbraucht wird? Diese Einzelfälle werden von den Medien instrumentalisiert, um in der Bevölkerung Angst zu verbreiten. Der Schuldige, so wird propagiert, sei die deutsche Regierung mit einer liberalen Migrations- und Asylpolitik, die Straftäter in die Bundesrepublik lässt.

Wer hinterfragt die wirklichen Ursachen, die zu so einer Tat führen?

Hier lässt sich wieder der Rückschluss zum Neosexismus ziehen, der patriarchalische Strukturen und sexuelle Gewalt aufgrund von Macht in den westlichen Gesellschaften leugnet.

Hetzkampagnen gegen geflüchtete Menschen nehmen immer mehr an Aggressivität und leider auch Kreativität zu, wie das Video "120 Dezibel" und die mediale Ausschlachtung des Falls in Kandel zeigt. Beschäftigt man sich eingehend mit den Strategien der neuen Rechten in Deutschland, erkennt man schnell, wie das Gefühl der Angst, ein natürlicher Instinkt der Menschen, instrumentalisiert wird. Meiner Meinung nach, kann man zurecht von einer "Politik der Angst" sprechen. Gezielt wird Angst geschürt - Angst vor dem Fremden und vor dem Verlust des eigenen, der deutschen Identität mit all seinen hochmodernen, westlichen Werten. Angst mobilisiert, setzt den Verstand (teilweise) aus und verzerrt Tatsachen. Die Debatte um Sexualdelikte von Menschen nicht deutscher Herkunft ist also kein rationaler und auf faktenbasierter Diskurs, sondern bewusst hoch emotional inszeniert.

Ziel ist es einen Nationalstaat mit "deutschen Traditionen und Werten" aufrecht zu erhalten. Dahinter stehen rassistische Herrschaftsstrukturen, die durch das Entstehen von Feindbildern legitimiert werden. Propagiert wird, das Schließen von Grenzen, um Menschen vor den Feinden zu schützen, um die westliche Kultur nicht zu gefährden. Es werden Maßnahmen von rechten Positionen gefordert, die gegen die Menschenrechte verstoßen, und ein (erschreckend großer) Teil der Bevölkerung stimmt zu.

Neben dem politischen Einfluss, den die Partei AfD bereits erreicht hat, steigt die rechtsradikale Gewalt. Fast täglich werden Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt, linke Politiker erhalten Morddrohungen und sind betroffen von Brandanschlägen, wie Ferat Kocak, Mitglied des Bezirksvorstands DIE LINKE Neukölln.

Der Aspekt des Umgangs mit den Tätern zeigt zusätzlich, warum es sich um Rassismus handelt. Deutschland ist ein Rechtsstaat und wer gegen die Gesetze verstößt, anderen Schaden zufügt, wird zur Rechenschaft gezogen. Sexualdelikte dürfen nicht verharmlost werden oder ungestraft bleiben - das liegt auf der Hand. Wenn allerdings ein Unterschied gemacht wird, ob der Täter deutsch oder nicht deutsch ist, handelt es sich um Rassismus. Wenn also von rechts gefordert wird, dass jemand abgeschoben wird, in ein Land, in dem er höchstwahrscheinlich zu Tode kommt, kann man diese Forderung dann nicht mit der Todesstrafe gleichsetzen?

Welche deutschen Werte und Moralvorstellungen wollen sich rechtsextreme Patrioten also bewahren? In welcher Gesellschaft befinden wir uns, wenn Menschenrechte nur für einen Teil gelten und für "Fremde" ausgehebelt werden können? Ist das nicht der eigentliche Rückschritt einer Gesellschaft, vor dem sich der rechte, neosexistische Teil der Bevölkerung so fürchtet?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maria Luzia

Maria Luzia Schaal

Maria Luzia

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