Alles nur ein Missverständnis

Aufarbeitung Das deutsche Feuilleton hat sich des Themas „Schuld(en) Deutschlands gegenüber Griechenland“ angenommen. Versuch einer Zusammenschau und Interpretation

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Es gibt Streit um die Vergangenheit
Es gibt Streit um die Vergangenheit

Foto: Keystone/AFP/Getty Images

Der Unmut über das Titelbild des SPIEGEL vom 21.3. war eigentlich keiner. Denn der Blickwinkel war von Anfang an klar: Das Magazin mit dem Mut zur Wahrheit hat ein im Ausland verbreitetes Bild zu Deutschland kolportiert und dies als weithin sichtbare Collage mit drei Klebestreifen kenntlich gemacht. Warum, fragte etwa Christian Meier in der WELT, sah sich aber dann der Chefredakteur des Hamburger Magazins Klaus Brinkbäumer veranlasst, einen klärenden Beitrag per Blog nach zu schieben?

Das Thema ist keine Petitesse. Wenn, wie erst kürzlich in diversen Leserreaktionen geschehen, zur ontologischen Dimension das Vaterunser (auch) ironisch zitiert wird, so hängt dies sicher mit dem naheliegenden Wortspiel zwischen „Schuld“ und „Schulden“ zusammen. Vergessen wird dabei, dass dies so nur nach Matthäus geht, nicht aber nach Lukas, der schreibt: „Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist.“ Ein Stück anschaulicher wird das in romanischen Sprachen. Beispiel Italienisch: Wo bei dem einen „debiti“ (die juristischen, zumeist vertraglichen Schulden) stehen, sind es bei dem anderen „peccati“, mithin die Sünden (im kirchlichen Beritt). Und noch nicht einmal die „colpa“, was die Schuld wäre; sie wäre bereits die Bewertung, die der Verzeihung bedürfte und daher heutzutage im Weg steht.

Müssten wir uns, ganz nach dem derzeit beliebten Volkssport des Koranzitierens (auch dies ganz überwiegend von Unkundigen zur Abschreckung benutzt), nun also einer neuen Bibelexegese zuwenden, um die „wahre“ Dimension des „Vierten Reiches“ zu begreifen? Immerhin, Lukas und Matthäus stellen das zentrale christliche Gebet in unterschiedliche historische Kontexte und begründen damit eine unterschiedliche Perspektive auf die christliche Botschaft.

Hegemon: Sperrig, unüberwindbar und beratungsimmun - also Chef im Haus

Die Antwort müsste eigentlich dort beginnen, wo auch zu „Hegemon“ bereits eine bestimmte Notion vorausgesetzt wird. Der Verfasser dieser Zeilen hat das Wort des Öfteren gebraucht und ist davon ausgegangen, es werde schon irgendwie richtig verstanden. „Übermacht, Herrschaftsinstrumente, Größenwahn“ sind drei markante Worte, die der SPIEGEL in seiner Titelstory verwendet hat, um einen politischen Ist-Zustand zu beschreiben. Und nein, das ist nicht reißerisch, etwa weil ein Nikolaus Blome, BILD-gestählt und Spezialist für knappe Beurteilungen, den Artikel mit verantwortet hat.

Den Beleg der Richtigkeit liefert das Fernduell zweier Publizisten anhand der Frage offener Reparationen Deutschlands gegenüber Griechenland. Auf der einen Seite finden wir Sven Felix Kellerhoff, Leitender Redakteur „Zeit- und Kulturgeschichte“ bei der WELT. In kurzen Abständen hat er zuerst die Unklagbarkeit Deutschlands dargestellt, weil „die Frage von Reparationen abschließend geklärt“ sei. Um dann zur etwas konkreteren Frage der Griechenland auferlegten Zwangsanleihe zu kommen, deren Charakter als „Anleihe“ er in Zweifel zieht.

Die Gegenstimme (und Antipode seit seinem Interview mit dem ARD) hat sich in der Süddeutschen Zeitung („Schuld und Schulden“, im Pint im Feuilleton, S.11, online unter Politik) als Gast zu Wort gemeldet. Der Historiker Hagen Fleischer nennt darin Kellerhofs These, die Anleihe sei tatsächlich eine schiere Saldierung, „absurd“. Denn nicht nur die historische Herleitung Fleischers ist eine gänzlich andere, sondern vor allem das darin gelegene Narrativ.

Für Fleischer zieht sich ein roter Faden durch die deutsche Politik. Dass diese erst unter dem Druck der Alliierten sich hergegeben habe, überhaupt an so etwas wie Reparationen zu denken. Dass trotz des Entgegenkommens im Schnitt des Londoner Schuldenabkommens von 1953 Bonn es abgelehnt habe, „weitergehende Ansprüche zu diskutieren, da deren Regelung nur einem geeinten Deutschland zustehe.“ Dass dies mit einer Strategie einherging, und hier zitiert Fleischer aus dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik: „diesen Zwischenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, um die Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen“.

Das Formale und der Inhalt, semijuristisch

Die Rechnung scheint vordergründig aufzugehen. Denn der formale Standpunkt auch der derzeitigen deutschen Regierung, den sich Kellerhof in seinen Artikeln zu eigen macht, wäre der der Umkehrung des „Saldos in einem Kontokorrentverhältnis“: Wer der Saldomitteilung seiner Bank nicht widerspricht, anerkennt den etwaigen Minusstand auf dem eigenen Konto. Der Saldierung auf deutscher Seite entspräche das Selbstverständnis, nichts zu schulden, das konkludente Anerkenntnis Griechenlands darin, seine Forderungen nicht beizeiten geltend gemacht oder nicht nachdrücklich beigetrieben zu haben. Eine abenteuerliche Konstruktion, aber im Lichte deutscher Politik bezeichnend.

Der Blickwinkel Kellerhofs, so die hiesige Meinung, krankt nicht nur daran, dass dieses vorgebliche Kontokorrentverhältnis Folge eines Oktroi ist und daher mit redlichen rechtsgeschäftlichen Dimensionen außer in Monopolsituationen nichts zu tun hat. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass 1941 das ultimative , nämlich das Gewaltmonopol in Griechenland ganz eindeutig von dem sog. „Dritten Reich“ ausgeübt wurde, was das diktierte Rechtsgeschäft, um im Jargon der Gesetzbücher zu bleiben, um keinen Deut weniger rechts- und sittenwidrig gemacht hat.

Auch Kellerhofs Verweis darauf, dass mit dem „Zwei plus Vier“- als Friedens-Vertrag schlussendlich alle Kriegsfolgen ihre Erledigung gefunden hätten, steht auf dubiosen Beinen. Es entspricht der Kernthese des Kölner Rechtswissenschaftlers Bernhard Kempen („Der Fall Distomo: griechische Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland“, in: Cremer/Giegerich/Richter/Zimmermann (Hrsg.), „Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger“, 2002): Als völkerrechtlicher „Statusvertrag“ entfalte er verbindliche Wirkung auch zu Lasten dritter, am Vertrag nicht unmittelbar beteiligter Staaten. Schließlich habe, so argumentiert Kempen weiter, habe aber Griechenland dem „Zwei plus Vier“-Vertrag sogar zugestimmt. Mit anderen Signatarstaaten habe das Land das Schlussdokument der KSZE-Konferenz vom 21.11.1990, die „Charta für ein neues Europa“ mitunterzeichnet, worin steht: „Wir nehmen mit großer Genugtuung Kenntnis von dem am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland.“

Unbeachtet bleibt dabei, dass „Status“ sich nur auf das beziehen kann, was ausdrücklich Vertragsgegenstand „ist“. Reparationen sind aber weder direkt noch indirekt Gegenstand des „Zwei plus Vier“-Vertrages. Die Zusammenfassung des Inhalts durch die Bundeszentrale für Politische Bildung steht dafür exemplarisch: Mit der gegenständlichen Wiedererlangung der Vollsouveränität (im Territorialen wie im Bündnisgeflecht) ist kein Wort darüber gesagt, was Deutschland damit anfangen soll, wird und muss. Oder ob es in der Rechtsnachfolge auch ein ganz tangibles Erbe angetreten hat. Wir haben es also hier also mit einer klassischen „petitio principii“, einer formal verkleideten Form des Zirkelschlusses zu tun, der die Zustimmung zu einem nicht verhandelten Gegenstand nur suggeriert. Tatsächlich wird dem Sparsinn aufgeholfen, Reparationen auf die Zeit nach der Einheit zu verschieben, um sie dann erst recht nicht zu leisten.

Im Gegenteil wäre, beließe man es bei diesen abstrakt-formalen, völkerrechtlich verbrämten Betrachtungen, an den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ zu denken. Denn jene Erklärung der KSZE führte ausdrücklich und als unabdingbare Voraussetzung für „Einheit“ und das Verhältnis zur „Welt“ die Solidarität als Handlungsmaßstab ein. Dabei ging es um Deutschland, und es ist nicht erkennbar, dass im staatlichen Handeln dieser neugekorenen Republik Solidarität eine Rolle spielen würde.

Verantwortung als Schwäche?

Die vorstehende längliche Betrachtung soll veranschaulichen, dass zum „Hegemon“ das Merkmal der auch nur vermeintlichen Unangreifbarkeit gehört. Was einmal die Panzerdivisionen gewesen wären, wären nun wasserdichte Verträge und die Heerschar derer, die sie in diesem Sinne auslegen. Wären die Deutschen nun, in der Diktion des SPIEGEL, tatsächlich schwach?

Die Selbstwahrnehmung „der Deutschen“, wie sie der ebenda zitierte Hans Kundnani darin ausmacht, „das eigentliche Opfer der Eurokrise zu sein, die in seltsamem Kontrast zu der Wahrnehmung der Schuldnerländer stehe“, ist bei genauem Besehen untertrieben. Dies festzustellen bedarf keiner großen Anstrengung: Wenn Kellerhoff schreibt, „solche Rechnungen [Anm.: Wie die zur Zwangsanleihe] sollte man sich besser verkneifen, weil es nur die Emotionen in Griechenland aufpeitschen“ würde, dann ist das Täter-Opfer-Umkehr in Reinkultur. Die sonderbare, insbesondere konservative Auslegung von „Responsabilty to Protect“ wird so unter Ausschluss jeglicher Selbstverantwortung zur unvordenklichen paternalistischen Bevormundung. Diese Ausprägung des unbedingten Willens zur Macht ist jedenfalls unionsgeführten Exekutiven der letzten Jahrzehnte nicht abzusprechen. Und er wird (Kellerhoff dixit:) populistisch in der WELT propagiert.

Schlussbetrachtung: Die Ambivalenz in den Erwartungen zu Deutschland seit 1990 ist sicher auch von außen herangetragen, das habe ich mit Bezug auf den Hegemon geschrieben: Eine Mischung aus Respekt und Furcht. Was aber der SPIEGEL mit seiner Nummer letztlich bewirkt, ist das Geschäft derer zu betreiben, die ein „starkes“ Deutschland in dem Sinne wünschen, dass es anderen zeigen solle, wo es lang geht, egal mit welchem Ziel. Dessen Schwäche, genauer: dieses Exekutivs ist, in den Forderungen Griechenlands tatsächlich nur eine „Aufrechnungslage“ zu sehen und zu propagieren, dass, weil sie weder politisch noch rechtlich gerechtfertigt sei, sie einer Erpressung gleichkäme. Auf diesem Weg wäre Deutschland tatsächlich ob seiner Präpotenz in der Deutungshoheit auf dem Weg, zum diskutablen „Preußen Europas“ zu werden. Fans, die sich gerne auf die Seite der Gewinner schlagen, werden es auch außerhalb von Preußenjahren goutieren.

Die goldene Brücke, die sich sowohl in ökonomischer, politischer wie historischer Verantwortung böte, wäre dagegen nicht die der schieren Begleichung alter Rechnungen über Bande. Sie wäre vielmehr die sehr geschickte Eröffnung eines Handlungshorizontes, der jenseits formaler (Un)Angreifbarkeit das Prinzip materieller Gerechtigkeit wieder einführte, einem der Grundgedanken in ureigener Europäischer Tradition. Liegt es nur daran, dass die Kunst des Verhandelns ebenso verschwunden wäre wie Politik als ureigene Kunst des Machbaren?

Reparation bedeutet Wiedergutmachung. Wer sagt, dass das exklusive Materie von Schadensersatzjuristen wäre. Oder von Evangelisten. MS

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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