Danke, Giovanni di Lorenzo!

Unionsbürgerschaft Der Chefredakteur der Zeit hat den Finger in eine Wunde gelegt, die in Deutschland außer Staatsanwaltschaften niemanden zu schmerzen scheint

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Danke, Giovanni di Lorenzo!

Foto: Joe Raedle/ AFP/ Getty Images

Rom - Vielleicht liegt es am derzeit sehr milden Klima in der Hauptstadt eines Landes, das neben frühsommerlichen Temperaturen am Montagmorgen mit einer neuen Volkspartei erwacht ist. Oder es ist einfach die räumliche Nähe zu den gleichen Schulbänken, die Zeit’s Chefredaktor und der Verfasser dieser Zeilen im Abstand von ein paar Jahren gedrückt haben – einen Raum zum Träumen zwischen Schule und den sieben Hügeln dürfte auch Giovanni di Lorenzo gefunden haben, denke ich mir.

Vielleicht ein Traum, den er ausgerechnet in der Sendung des bekanntesten deutschen Biedermeiers zur Deutung preis gegeben hat und dafür in Deutschland neben einem Ermittlungsverfahren allseitig Schelte erfährt.

Denn was di Lorenzo angesprochen hat, ist das Prinzip der mehrfachen Staatsangehörigkeit, nur praktisch gedacht und umgesetzt. Und das Prinzip ist zwar mit dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 8. April 2014 auf dem Weg zur parlamentarischen Beratung. Doch allseitig akzeptiert ist es damit noch lange nicht.

Dabei ist offensichtlich, dass neben dem in Deutschland vor allem kontrovers diskutierten Fall der doppelten Staatsbürgerschaft im Verhältnis zur dem Nicht-EU-Mitglied Türkei das weitaus praktischere Feld der Mehrstaater innerhalb der EU beschritten ist. Die Grundsätze von Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit haben es seit 1958 vollbracht, dass Menschen nicht nur vermehrt über nationale Grenzen hinaus verreist sind. Sondern sie haben sich in den Binnengrenzen zwischen Atlantik und Karpaten, Ostsee und Mittelmeer niedergelassen, eine Existenz aufgebaut und Kinder gezeugt. Sie alle bleiben Bastarde ihrer Zeit, wenn sie weiterhin an dem Papier gemessen werden, das über eine bestimmte Herkunft Auskunft gibt, die mit dem verwirklichten Leben nicht in Einklang steht.

Die offene Wunde ist dabei die Europäische Staatsbürgerschaft. Sie ist in praktischer Hinsicht bereits Tatsache, da in allen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten die EU-Angehörigen wie Inländer zu behandeln sind. Auch Artikel 20 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union rezitiert programmatisch: „Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.“ Dass sich dazu durchgerungen würde, die nationalen Ausweise zugunsten eines EU-Passes aufzugeben, kann allerdings nicht behauptet werden.

Noch immer schwingt in Deutschland speziell vom rechten Rand der Unionsparteien der hohe Ton mit, dass über die Individualisierung hinaus die Staatsangehörigkeit so etwas wie identitätsstiftend sei. Am Deutschsein wie an den Nationalitäten hangeln sich aber auch vermehrt die Kräfte auf, die als rechtpopulistisch benannt jenen streng nationalistischen Diskurs pflegen, der als „identitär“ verkleidet ist. Und als fremd nicht nur die Außereuropäer bezeichnen, sondern zunehmend den Nachbarn.

Beispielhaft dazu die ansonsten internationalistische Schweiz beim Referendum vom 9. April, als der Vorschlag der SVP durchging, selbst den Grenzgängern aus Italien als Einwanderer auch dann die Tür zu verschließen, wenn sie reguläre Arbeitsverhältnisse in der Schweiz vorweisen können. Gegen diese Pendler votierten im Tessin sogar rund 70% der Abstimmenden, obwohl zwischen der Helvetischen Konföderation und der EU spezifische Verträge zur Freizügigkeit bestehen. Und selbst wenn es komödiantisch daher gekommen sei sollte: Der Vorschlag der CSU zu einer Maut für „Ausländer“ zeugt bereits von der innerlichen Äquidistanz zur Inländergleichbehandlung.

Die Aufladung eines einfachen Fetzen Papiers mit allerlei Wurzel- und Heimatgefühlen hat jüngst Özlem Topçu bei Zeit-online in „Bist du deutsch genug?“ demonstriert: „Den deutschen Pass will man haben – und daneben auch den anderen, der einen mit dem Land der Eltern verbindet.“ Dass Topçu die kulturell verbrämte nationale Karte spielt und damit die Linie hiesiger Konservativer spiegelt, mag eine Entschuldigung haben: Die Türkei entfernt sich unter dem Einfluss der AKP immer mehr von Europa und träumt zunehmend osmanisch. Der deutsche Pass garantierte die Europäische Freizügigkeit, die mit erworben wird, und der türkische ermöglichte eine unbürokratische Rückkehr, falls erforderlich.

Aber dieses Problem der Außenbeziehung der Europäer zu den Angehörigen anderen Staaten ändert nichts am Kern der Beziehung im Inneren von 28 Nationalitäten und einer halben Milliarde Menschen zueinander. Ihren Status zu harmonisieren ist nicht im Ansatz angedacht. Gerade bei den Wahlen zum EU-Parlament hat sich das wieder manifestiert, wie es etwa Udo Vetter in seinem Blogartikel „Bekennender Doppelwähler“ heraus gestellt hat: Wahl- und Meldesysteme sind nicht aufeinander abgestimmt, ein gemeinsames Wahlverzeichnis fehlt. Und das wird sich so lange nicht ändern, wie die Unionsangehörigkeit weiterhin als Frage nationaler Staatsangehörigkeiten samit ihrer Egoismen behandelt wird.

Der Traum ist, dass sich Menschen nicht über ein bestimmtes Papier definieren müssen, sondern ihre Freiheiten auch ohne Staatsangehörigkeit realisieren können. Es war wohl auch die Vorstellung von Hannah Arendt, wenn Jürgen Förster („Das Recht auf Rechte und das Engagement für eine gemeinsame Welt“) in der Exegese schreibt: „Sobald der Staat das Recht seiner Bürger nicht mehr garantiert und schützt bzw. ihnen ihre Staatsbürgerschaft entzieht, werden die Menschen in einem System souveräner Nationalstaaten aus allen rechtlichen Bezügen herausgeschleudert, weil niemand mehr bereit dazu ist, die sogenannten Menschenrechte wirksam zu schützen. Uneingeschränkten Rechtsschutz genießen im Nationalstaat nur Angehörige der Nation …“.

Danke, Giovanni di Lorenzo, dass Sie mit Ihrem Beispiel und nicht aus Not geboren an diesen Traum erinnert haben. MS

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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