Das Gesetz des Schweigens

Datenschutz Der EuGH hat in seiner jüngsten Entscheidung vordergründig die Rechte von Bürgern gestärkt. Tatsächlich hat das Europäische Gericht Bürgerrechte beschnitten

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Das Gesetz des Schweigens

Foto: Justin Sullivan/Getty Images

Wer einen Vorgang annähernd umfassend analysieren will, um ihn dann zu bewerten, kommt über den äußeren Tatbestand nicht umhin, auch das subjektive Element zu berücksichtigen. Nicht nur „was“ getan wird, ist maßgeblich, sondern auch „wer“ und „warum“. Um es skurril auszudrücken: Bonapartes Wirkmächtigkeit kommt nur sehr selten ohne dessen eigene vertikale Wachstumsherausforderung aus. Oder dass er Schlag bei Frauen hatte.

Derart Biographisches verträgt sich aber zu Lebzeiten der Betroffenen nicht immer mit deren Selbstverständnis. Hart an der Grenze dessen, was gemeinhin als noch politisch korrekt anzusehen wäre, ist etwa, ob jemand die „Statur“ für ein Amt besitzt. Derzeit wird etwa in Italien das Beispiel des bekanntermaßen aggressiven Rechtsauslegers und ehemaligen Ministers Renato Brunetta verhandelt, der sich gerichtlich gegen Karikaturen zur Wehr setzt. Darin wird sein politischer Horizont als „zwergenhaft“ beschrieben. Die Verteidigung: Sollen wir ihn etwa größer zeichnen als er ist? Und natürlich verweisen Suchmaschinen auf alle Beteiligten.

Beim Kredit hört offenbar der Spaß auf. Denn womit sich die jüngste Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH, Entscheidung vom 13. Mai 2014, Az.: C 131/12, Pressemitteilung, Volltext) befasst hat, ist genau das: Eine Person will nicht mehr mit dem Umstand konfrontiert sein, dass in ihrer Vergangenheit ein Grundstück liegt, das zwangsversteigert wurde. Aus diesem Grund begehrte der spanische Staatsbürger Mario Costeja González die Löschung entsprechender Angaben aus einer spanischen Tageszeitung sowie von Google Spanien und Google Inc. deren Verlinkung darauf. Gegen die entsprechende Löschungsanweisung der spanischen Datenschutzagentur haben sich die beiden Unternehmen gewandt.

Was schlagwortartig als „Recht auf Vergessen“ behandelt wird, berührt tatsächlich eine der Grundlagen eines modernen Rechtsstaates. Denn was wäre trotz vollständiger Verbüßung einer Strafe die beständige Erinnerung an die einmal begangene Tat durch die bloße Erwähnung des stattgefundenen Prozesses? Oder eben die Kreditwürdigkeit eines Menschen, wenn aus dessen Vergangenheit ruchbar wird, irgendwie habe es da schon einmal etwas Nachteiliges gegeben?

Angesprochen wird damit der Resozialisierungsgedanke, der sowohl den kriminell als auch finanziell Gestrauchelten zugutekommen soll. In Deutschland wird das unter anderem mit dem Verfahren der Privatinsolvenz genauso gefördert wie mit der fristgebundenen Tilgung etwaiger Straftaten aus dem Zentralregister. Aber welche zweite Chance sollte ein Mensch tatsächlich haben, wenn entgegen dieses Leitbildes der unrechte oder unzuverlässige Mensch perpetuiert wird. Der Rechtsfriede, der nach dem Akt der Bestrafung und der eidesstattlichen Versicherung erst durch die Bewährung hergestellt wird, wird damit nachhaltig gestört; vom Unfrieden gegenüber den Betroffenen ganz zu schweigen.

Wenn es aber richtig ist, die Menschen vor dieser perpetuierten Gläsernheit gegen alle Führungszeugnisse und Schuldnerverzeichnisse grundsätzlich zu schützen, was wäre dann mit Personen in herausgehobener Stellung? Auch wenn die deutsche Rechtsprechung die Unterscheidung zwischen „relativen“ und „absoluten Personen der Zeitgeschichte“ aufgegeben hat – es gilt noch immer das Diktum des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGHMR) aus dem Jahr 2012: „Der Öffentlichkeit unbekannte Personen bedürfen eines stärkeren Schutzes als bekannte Personen.“ Umgekehrt gilt ebenso: Ein Mehr an Hintergrundinformationen muss gerade bei bekannten Personen möglich bleiben.

Umkehrung des Blickwinkels auf Grundrechte

Der EuGH hat das einnivelliert. Und damit das Recht etwa aus dem deutschen Grundgesetz in Art. 5 Absatz 1 Satz 1 „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“ gleich mit eingeebnet, indem er eine Quelle (die der Indexierung) beseitigt hat. Das aber zeigt die Bedrohung des Wesensgehalts von Grundrechten anhand von sogenannten Datenschutzrechten in ihrer ganzen Schärfe.

Denn die gesonderte Behandlung statt deren Integration in das Grundrechtesystem hat das Bild verstetigt, dass Daten etwas vom Menschen Gesonderten darstellen würden. Zwar wurde vom Bundesverfassungsgericht (als tatsächlicher europäischer Vorreiter in Sachen Datenschutz) das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss der Menschenwürde verbindlich festgeschrieben. Aber die grundsätzliche Unverfügbarkeit wie Unveräußerlichkeit dieses Rechts wurde bereits in der Scheidung zwischen anonymen und personenbezogenen Daten aufgegeben.

Der Perspektivwechsel auf die Grundrechte wurde damit in nuce umgekehrt: Nicht mehr der Schutz der (Daten)Rechte als Grundsatz stand fortan im Mittelpunkt, in den nur ausnahmsweise eingegriffen werden kann, sondern die grundsätzliche Zugriffsfreiheit auf Daten, die nur ausnahmsweise eingeschränkt wird, wenn sie offensichtlich personenbezogen sind. Dass dies von einer Bevölkerung nachvollzogen worden ist, die tatsächlich zwischen offline und online zwei unterschiedliche Aggregatzustände ihres Lebens unterschieden, macht die Sache nicht unbedingt besser. Auf ein umfassendes wie grundsätzliches Recht auf Eigenverfügung von Daten, das nicht schon per AGB zur Disposition steht, kann man so noch lange warten.

Der EuGH hat die Umkehrung in einem wesentlichen Teil verschärft, indem er nicht auf den Wesensgehalt zwischen Informationsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht, sondern ausschließlich auf den alphanumerischen Indexierungwert reduziert hat. Damit wird nicht nur der Gedanke perpetuiert, dass Daten etwas anderes seien als die ganz konkret damit bewirkte und abgebildete Interaktion. Sondern das Gericht enthebt sich zugleich der Abwägung, ob und inwieweit derartige Interaktion anhand von Presse-, Meinungs-, und Informationsfreiheit vs. Persönlichkeitsrechte zu messen ist. Es liegt nicht fern, die unterschiedlichen nationalen „Datenschutz“Gremien in ihrem jeweiligen nationalen KOntext demnächst befördert zu sehen - zu eigentlichen Zensurstellen.

In Italien jedenfalls, wo die entsprechende Behörde „Garante della Privacy“, also Garant der Privatsphäre genannt wird, dürfte die Nachricht aus der Curia Freude auslösen. Mafiösen Schmutz aus der Vergangenheit von Kandidaten zu Wahlen und höchsten Ämtern auszugraben, ist dort eine Frage des politischen Überlebens. Oder dass ein Brunetta mit einer nötigenden Klage über 7,5 Millionen Euro versucht hatte, eine Tageszeitung zum Schweigen zu bringen – darf demnächst nicht mehr darüber berichtet werden, dass die Klage abgewiesen und der Ex-Minister zur Tragung aller Kosten verurteilt wurde?

Darüber wird wohl nun ein Tuch des Schweigens gezogen werden können, wenn man es nur will. „Omertà“ nennt sich das dort. Nun auch in Europa, dem Datenschutz Marke EuGH sei Dank. MS

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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