Il Palazzaccio, der scheußliche Palast, das ist keine schöne, aber die volkstümliche Bezeichnung für das Gebäude, in dem sich das Schicksal von Silvio Berlusconi entscheiden soll. Massig und mit Travertin überladen erhebt sich der Sitz des italienischen Kassationsgerichtshofs über das Tiberufer. Die letzte Instanz der italienischen ordentlichen Gerichtsbarkeit ist prominent neben der Engelsburg postiert. Und verkörpert mit seiner überlangen Bauzeit über die Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, den Korruptionsvorwürfen wegen einer Kostenexplosion und seinem sandigen Fundament in gewisser Weise den ab heute zu entscheidenden Fall: Wird Silvio Berlusconi danach noch ein öffentliches Amt bekleiden dürfen?
Nach rund 8 Jahren Verfahrensdauer befassen sich die Richter in Rom mit der Frage, ob sich der Medienmogul und ehemalige Ministerpräsident der Steuerhinterziehung schuldig gemacht hat. Geht es nach der Anklage, mit einem raffinierten System. Mithilfe von verschiedenen eigenen off-shore-Firmen habe Berlusconi für seine Mediengesellschaft Mediaset die Sende- und Verwertungsrechte an Filmen erworben und dabei bei jedem einzelnen Vertrag des Kettengeschäfts den Preis künstlich in die Höhe getrieben. Damit habe er einerseits Schwarzgeldfonds in Höhe der vorgeblichen Vergütungen anlegen können, die die Staatsanwaltschaft auf bis zu 368 Millionen US-Dollar geschätzt hat. Andererseits seien durch die Geltendmachung der Kosten Steuern im hohen zweistelligen Millionenbetrag verkürzt worden.
Davon ist wegen eingetretener Verjährung für die vorgeworfenen Handlungen bis zum Jahr 2001 einschließlich nicht mehr viel übrig geblieben: Die Hinterziehung von 7,3 Millionen Euro ist ein vergleichsweise bescheidenes Ergebnis wie der Umstand, dass die ursprünglich angeklagten Bilanzfälschungen und Unterschlagungen ebenfalls wegen des Zeitablaufs ausgeschieden sind.
Was allerdings die Vorinstanzen in Mailand nicht davon abgehalten hat, über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus zu gehen und gegen Silvio Berlusconi eine Haftstrafe von 4 Jahren zu verhängen. Bestätigt im Berufungsurteil vom vergangenen Mai wurden auch die Nebenfolgen des Verlusts der Amtsfähigkeit für die Dauer von 5 Jahren sowie der Fähigkeit, eine leitende Stellung bei Unternehmen zu bekleiden, für die Dauer von 3 Jahren. Würde dies vom Kassationsgerichtshof nun bestätigt, wäre der Mann, der über Jahrzehnte hinweg keinerlei poltische Skrupel verspürte, trotz massivster Vorwürfe und laufender Prozesse auf irgendeine Art seiner Machtausübung zu verzichten, in aller Form gezwungen abzutreten.
Die drohende weitere Verjährung
Dass vor diesem Hintergrund selbst der Umstand skandalisiert worden ist, die Höchstrichter würden die Sache überbeschleunigen und noch während der Gerichtsferien entscheiden, statt bis September zu warten, verwundert nicht. Denn die Urheber, in erster Linie Kommentatoren der Berlusconi eigenen Medien und Politiker seiner Partei Popolo della Libertà (Volk der Freiheit, PdL), wissen genau um die Folgen. Spätestens ab Mitte August droht Verjährung auch für die Handlungen aus dem Jahr 2002 mit der Folge, dass nicht nur eine Minderung der Haftstrafe in Betracht kommt, sondern vor allem der Wegfall der Nebenfolgen, die auf einer zeitigen Strafe von mindestens 3 Jahren aufbauen.
Allerdings ist dieses Mal die bereits aus der Vergangenheit bekannte Delegitimierungsmethode in Richtung einer vorgeblich politisch motivierten Justiz auf keinen fruchtbaren Boden gefallen. Denn mit einem sehr technisch-fachlichen Artikel vom 9. Juli hatte die weit verbreitete Tageszeitung Corriere della Sera auf die Verjährungsproblematik hingewiesen. Und dabei deutlich gemacht, wie sowohl gesetzliche Maßnahmen der Regierungen Berlusconi in eigener Sache als auch die Verteidigertaktiken maßgeblich eine an sich sichere Verurteilung hintertrieben hatten; ein Zeitschinden auf höchstem Niveau und unter Beteiligung der Parlamentsmehrheiten unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten. Damit wurde ohne weiteres eingängig, dass der berufene Feriensenat nur das tut, wofür er eingerichtet ist – in nicht aufschiebbaren Fällen zu entscheiden.
Davon unberührt bleibt jedoch, dass seit Wochen der PdL mit dem zu erwartenden Urteil das Schicksal der seit 28. April bestehenden Regierung verbindet, an der die Partei maßgeblich beteiligt ist. Von der Ankündigung, eine Verurteilung werde nicht ohne Folgen bleiben bis zur ausdrücklichen Drohung des Fraktionsvorsitzenden im Senat Renato Schifani, die Partei werde dann die Koalition verlassen, bringt sich der rechtspopulistische Teil der Politik in Frontstellung.
Hier zeigt sich freilich, wie weit der Konflikt zwischen Politik und Justiz gediehen ist, der in den vergangenen Jahren von Berlusconi geschürt wurde und wie tief er reicht. Die verquere Erwartung, italienische Höchstrichter würden sich einer Regierungslogik beugen, befeuert gerade die Mär von einer politisierten Justiz, deren Bekämpfung man sich doch zum Ziel gesetzt hatte. Und die doch verfängt, nachdem Publikationen wie die italienischsprachige Huffington Post selbst einen Höhenflug vom Vormittag der Aktien von Mediaset und Mondadori, beides Gesellschaften des Berlusconi-Imperiums, mit der Bemerkung versehen, „die Börse spekuliere auf einen Freispruch“. Die inoffizielle Buchmacherszene Roms jedenfalls hat für eine Absolution die Quote von 1.25 ausgegeben, während die Verurteilung mit 2.95 honoriert wird.
In den Hintergrund wird aber in jedem Fall geraten, ob die justizielle Aufarbeitung eines auch nur kleinen Ausschnitts der Fehlleistungen der Person Silvio Berlusconi gesetzmäßig korrekt erfolgt sein wird. Denn das Glaubwürdigkeitsdilemma, in das die italienische Gerichtsbarkeit gestürzt worden ist, lässt praktisch keinen Ausweg mehr. Es droht jene Judikative gänzlich auszuhebeln, die in der Gewaltenteilung als letzte Kontrollinstanz fungiert.
Egal, wie die Entscheidung ausfallen wird, die nicht vor morgen zu erwarten ist -vor der Mittagspause ab 14:45 waren noch nicht alle Anträge verlesen, die Verhandlung wird um 16:00 Uhr fortgesetzt: Der Palazzaccio gleicht heute jedenfalls einer zu verteidigenden Festung, mit einem Kordon Polizei auf seinen Eingangsstufen, die Kameraobjektive dutzender Sender auf den Eingang gerichtet. Und es ist nationaler Trauertag nach dem Unfalltod von 38 Passagieren eines Reisebusses in Kampanien. Es gibt viele Gründe, warum an diesem 30. Juli Menschen in Italien um Fassung ringen, nicht zuletzt darum, was flüchtig ist und sonst noch alles auf Sand gebaut. ms
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