Ein guter Name und seine Formung im Netz

Anonymität Der Softwareentwickler und bekennende "Kulturfanatiker" Andreas Herberg will den Nachweis einer Grundidentität im Netz. Eine polemisch angehauchte Erwiderung (*)

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In einer Zeit, da offenbar geworden ist, dass Anonymität im Netz etwas sei, das per Abfischen, Speichern und Auswerten von Meta-, Reise-, Bewegungs-, Bank- und medizinischen Daten durch Privatunternehmen, Behörden, Diensten und Militär gar nicht mehr zu existieren scheint, mit anderen Worten: Anonymität der Meinungsäußerung ein letztes Rückzugsgebiet wäre, kann der Angriff darauf nicht wirklich verwundern. Aber durch einen, Journalisten, dessen Existenz- wie Geschäftsgrundlage der Art. 5 Grundgesetz ist durch seine Betätigung selbst dezidiert in Anspruch nimmt?

Andreas Herbergs Artikel „Anonym auf Netzjagd“ bei freitag.de, leidlich reißerisch für die Notwendigkeiten des Meinungsmediums zu Berlin gegenüber der Urfassung auf dem eigenen Blog modifiziert, legt in gewisser Hinsicht raffiniert eine falsche Fährte. Wenn auch darin „die Anonymität“ zum vordergründigen Thema gemacht wird: Nicht sie ist das Kernthema, sondern die Desavouierung des Netzes, das diese Anonymität zum eigenen Nachteil systemisch wie systematisch zulasse. Anlass ist ihm die sogenannte Lanz-Petition.

Das ist weder neu, noch besonders originell. Andrian Kreye etwa hat vor einer Woche mit „Klick, Maus und Shitstorm“ in der SZ online und im Paper die Zielrichtung ausdrücklich benannt. Der Entwertung des Internets gelte es entgegenzuwirken, die sich einstelle, wenn momentane Launen, durch impulsiven Mausklick transportiert, das System der politischen Aktion ersetze.

Der Unterschied: Wo Kreye es nicht bei der Feststellung einer gewissen Empörungsmentalität bewenden lässt, sondern sein Ergebnis diskutabel, aber zumindest auf eigensorgfältige Analyse stellt, begnügt sich Herberg eben damit – ihm ist die Empörung wichtig, nämlich die die „Cybermobbing, Pesting, Hetze“ hervorrufen müsste, kurz : die berechtigte gegen „die bösen Menschen da draußen“. Das allerdings ist nicht politisch, sondern moralisch. Ein bewährtes Muster, das schon Geistesgrößen wie die gewesene bayerische Justizministerin Merk das Netz als „dunklen Ort“ brandmarken ließ.

Kreye und Herberg kann vorgehalten werden, dass sie die Einordnung von Anonymität als eine der Grundvoraussetzungen von Meinungsfreiheit verkennen. In der Tat, wenn sich jemand mit einem anderen auf der Straße unterhält und dabei die Leistungen des Geschäftes, aus dem man gerade gekommen ist, negativ bewertet, wird es kaum einfallen, nach dem Personalausweis zu fragen, um so ein vorgebliches Berechtigt-sein-dürfen für die Bewertung erst zu schaffen.

Das „Grundrecht auf Anonymität“

Mit nichts anderem hat sich aber etwa das Oberlandesgericht Hamm (03.08.2011, Az: I-3 U 196/10; Nachweise bei dejure.org) befasst, nämlich einer anonymen online-Bewertung einer ärztlichen Leistung, als es unter Bezugnahme höchstrichterlicher Rechtsprechung ausführte:

„Die für das Internet typische anonyme Nutzung entspricht zudem auch der grundrechtlichen Interessenlage, da eine Beschränkung der Meinungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugerechnet werden, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar ist. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde allgemein die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegen gewirkt werden.“

Dies also ist eine der Grundlegungen, von denen auszugehen ist und aus denen mit zureichender Begründung die Ausnahme für einen Grundrechtseingriff zu bilden wäre. Das verkneift sich Herberg wohlwissentlich, und hier endet auch der Blick auf Kreye, indem er das Thema der Grundrechtsableitung semi-ironisch als „Wohlfühl-Anonymität“ setzt. Sind das rationale Termini?

Sie sollten es aber sein. Denn nur so lässt sich das wohlfeile Spiel der Mainstream-Medien nachvollziehen, das Herberg zwar nicht sonderlich brillant, dafür aus dem ff beherrscht. Mit der von ihm operierten Vermischung sozialen Verhaltens, wie es Mobbing et al. sind, mit der Wahrnehmung politischer Teilhaberechte wie das, eine Petition einreichen und unterstützen zu können, ist zwar dasselbe Netz angesprochen. Aber es sind zwei zu scheidende Sphären.

Für Wahlen wie für Petitionen sollte, egal ob sie papieren oder elektronisch von Statten gehen, im Sinne der Ergebnisklarheit und Repräsentativität nur eine einmalige Stimmenabgabe zulässig sein. Dass dies in der in Bezug genommenen Petition nicht der Fall gewesen sein soll, läge aber nicht an den von Herberg unterstellten mehrfach Votierenden, sondern allenfalls an der Nichtakzeptanz oder gegebenenfalls fehlerhaften Umsetzung des Demokratieprinzips seitens der Plattformbetreiber: Ein Recht, eine Person, eine Stimme. Dem geht der Autor aber nicht weiter nach und lässt vor allem, außer einem Anflug von Chatsprache („*hüstel*“), jedes belastbare objektive Material vermissen, das seine Anwürfe stützen würde. Für einen Journalisten letztlich nicht nur eine berufliche Fehlleistung.

Politische Gestaltungsrechte und soziale Interaktion: Zwei Sphären

Besonders übel wird es aber, wo der Autor den Versuch unternimmt, die sozialen Driften dazustellen, die sich in Cyber-Mobbing uäm. entladen würden. Dazu missbraucht Herberg den verstorbenen Robert Enke als Beispiel. Denn Enke war nicht nur kein „Jugendlicher“ mehr, sondern wegen depressiver Störungen in ärztlicher Behandlung. Dass dessen buchstäbliches Leiden, obwohl sachfremd, hier zur Verstärkung eines ohnehin fragwürdigen Anliegens des Autors herangezogen wird und somit den verstorbenen Menschen dahinter instrumentalisiert, der sich im Wortsinne nicht mehr wehren kann, ist zumindest bezeichnend.

Es reiht sich als degoutantes Beispiel ein in die Bemühungen der Mainstream-Medien, besonders spektakuläre Einzelfälle herauszupicken, um sie zum Regelfall umzudefinieren, dem es (endlich) Einhalt zu gebieten gelte. Damit ähnelt diese Vorgehensweise fatal dem Argument jener Sicherheitspolitiker, die ohne Erhebung von Meta-Daten aus der Massenkommunikation den Untergang des Abendlandes beschwören: Der Entwurf eines Szenarios der Unsicherheit, aus dem sich die Umkehrung des eingangs beschriebenen Grundsatz-Ausnahme-Verhältnisses herleiten ließe.

Nun ist Cyber-Mobbing nichts, was zu unterschätzen wäre. Davon kündet etwa die Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker-Krankenkasse in Zusammenarbeit mit der Universität Münster von 2011. Es kann gut sein, dass die Forscher an der Uni Münster aber doch gewisse Skrupel befallen haben. Denn sie haben darauf folgend in einem Forschungsprogramm, das von 2012 bis 2015 angelegt ist, das Thema näher auf Cyber-Mobbing „an Schulen“ eingegrenzt. Die bisherigen Ergebnisse, vor allem die kongruenten statistischen Zahlen zu jenen von 2011 legen bei kritischer Würdigung nahe, dass hier nicht ein eigenständiges Phänomen des Netzes in Betracht käme, sondern die Fortsetzung sozialen Verhaltens; eigentlich der täglichen schulischen Interaktion nur mit einem anderen (technischen) Mittel. Und hier sind, die Forscher weisen darauf hin, Muster, Erziehung und das soziale Umfeld maßgebend. Nicht aber, so ist an der Stelle hinzuzufügen, die herbei geschriebene Erleichterung der Pönalisierung durch Identifizierung.

Spektakuläre Einzelfälle als Projektion des Üblichen

Mit alledem kann und will sich der Autor Herberg nicht befassen. Er kann (will?) daher auch nicht zur Kenntnis seines Publikums geben, dass der derzeitige empirische Kenntnisstand für die netzspezifische besonders massive Verbreitung im schulischen Beritt „wie das Hochladen peinlicher Bilder und Videos bei YouTube dagegen eher selten vorkommen“: Gerade einmal 1,9 % der untersuchten Fälle. Sieht so der Regelfall aus, um die identifizierende Registrierung jedes einzelnen Nutzers im Netz nicht nur zu rechtfertigen, sondern zu forcieren? Wohl kaum: In der milliardenfachen Kommunikation mit dem Netz als Transportmedium sind Mobbing oder Stalking, Spektakel hin oder her, die Ausnahme.

Den Gipfel der Unverfrorenheit erklimmt Herberg freilich nicht mit der Vermengung von sozialer Interaktion, die auf jedem Schulhof bei Halbstarken zu beobachten ist, mit der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte. Das hätte sogar seine Rechtfertigung: Wenn Eltern, Lehrer und Schulpläne schon überfordert wären, was für Bürger sollten aus dem so betreuten Nachwuchs werden.

Sondern dort, wo Herberg tatsächlich im Duktus suggeriert, dass angesichts dessen, was vorsteht, der Suizid quasi unausweichlich sei, auch wenn er salvatorisch anmerkt, „Selbstmord ist natürlich nur das letzte Mittel“. Ebenso zynisch (aber mit ausdrücklicher Abbitte an die tatsächlich involvierten Personen!), sei der Autor an den „Werther-Effekt“ erinnert. Autor war jener „Dr. Ritter“, der als Schiller für den Mythos vom Land der Dichter und Denker herhalten muss, während die Epigonen seines damaligen Landesherrn auf den Seiten von freitag.de herab fröhliche Wiederauferstehung feiern. Heute wäre von Nachahmer-Effekt zu sprechen, vor dem zumindest die etwas seriöseren unter den Medien warnend sprechen, bevor sie Artikel auf die Leser loslassen.

Abkehr vom Mythos der allumfassenden Sicherheit

Herberg zu unterstellen, er würde sich den vorerwähnten Sicherheits- oder Justizpolitikern dienstbar machen, wäre unhaltbar. Es setzte voraus, dass er wie jene nicht die Zeichen erkannt hätte, die der bisherigen Einbahnstraße zu „mehr Sicherheit“ die gegenteilige Richtung weisen.

Egal, ob es sich dabei um das Gutachten des Max-Planck-Institutes zur Frage „Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung?“ aus 2011 handelt, ob um den Bericht des Datenschutzausschusses des us-amerikanischen Kongresses von vor wenigen Tagen („Report on the Telephone Records Program“), die Klagen der Bürgerrechtsvereinigungen wie die American Civil Liberties Union (ACLU) oder die hiesigen umfänglichen Strafanzeigen von Chaos Computer Club (CCC) zusammen mit der Internationalen Liga für Menschenrechte und DigitalCourage oder schließlich um das Plädoyer von Cruz Villanón, Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof in den dort anhängigen Vorlageverfahren zur Bewertung der Europäischen Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung: Allen ist gemeinsam, erste wie konkrete, mit empirischen Daten unterfütterte Indizien dafür zu liefern, dass die umfassende Besicherung und die Identifizierbarkeit als deren Voraussetzung ein Mythos sind. Und eben dieser Mythos, nicht tatsächliche Notwendigkeiten, als Grundlage für eine nie dagewesene Ausforschung der Menschen und Citoyens dient.

Kann man deswegen Andreas Herberg einen Mystifzierer schimpfen? Nahe läge es, da er sich selbst als „nicht naiv“ bezeichnet, der „sich im Mediensektor“ auskenne. Der Verfasser dieser Zeilen neigt eher dazu, das Wirken des in Bezug Genommenen als versuchte Verhinderung zu bezeichnen. Etwa hinsichtlich einer freien Sicht auf die Frage, was an der digitalen die Revolution sei, wenn sie im Ergebnis noch weniger Freiheiten gewährte als auf physischen Straßen und Plätzen, wo es grundsätzlich keine Ausweispflicht gibt.

Neuverhandlung und Wiederentdeckung

Oder in Bezug auf die lateinische Weisheit „verba volant, scripta manent“: Schon in den 1990er Jahren machte der Mathematiker, Agnostiker und Rationalist Piergiorgio Odifreddi den Unterschied aus, dass vom Schriftlichen im neuen Medium weniger die Bedeutung als allenfalls die Schwere bliebe. Doch fürchten wir uns noch immer vor der Volatilität des Wortes, so dass wir meinen, etwa den prominenten Autor (oder Moderator) vor anonymer Kritik aus dem Netz in Schutz nehmen zu müssen. Und: Schwingt da nicht auch die leise Furcht des Journalisten vor dem eigenen Leser mit, wenn diesem einfiele, wohlerwogen die Tastatur in die Hand zu nehmen?

Die meisten der hier angerissenen Fragen werden in absehbarer Zeit neu verhandelt. Genauso wie wieder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt ist, das nicht nur die informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht für verbindlich erklärt hat, sondern bereits vor 30 Jahren feststellte, dass „es kein belangloses Datum mehr gibt“.

Dazu dienen auch schlechte Artikel wie der von Herberg als gute Beispiele. Denn auch das ist Freiheit: Seinen guten, bürgerlichen Namen unter schlichte Machwerke zu setzen. MS

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(*) Editnote, 5.2.14, 16:15 Uhr: Teaser und Text auf der ersten Seite (Durchstreichungen) gemäß Eigenbeschreibung von Andreas Herberg -> auf dessen Wunsch hin abgeändert. Der Verfasser dieser Zeilen bedauert, Andrian Kreye in einem Atemzug mit Herberg genannt zu haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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