Die Erpresser

Italien Zur Stunde vollzieht sich eine dramatische Konfrontation, die auf die Verfassungsorgane des italienischen Staates zielt. Das darf nicht schweigend hingenommen werden

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Die Erpresser

Foto: Filippo Monteforte / AFP / Getty Images

Vor einiger Zeit waren deutsche Politiker wie der Kanzlerkandidat der SPD sowie frühere Ministerpräsident und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück damit aufgefallen, dass sie italienische Politiker lächerlich gemacht haben. Von Clowns war da unter anderem die Rede, mit einer Sprache buchstäblich grenzenloser Verachtung.

Dass in Italien keineswegs eine Burleske aufgeführt worden ist, sondern ein Kriminalstück höchster Güte und das seit über 10 Jahren, dürfte den Akteuren in Deutschland nicht verborgen geblieben sein. Mit dem gleichen Mann, der nun rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt worden ist, saßen sie an selben Verhandlungstischen zu unterschiedlichsten Gelegenheiten: Bei bilateralen Konsultationen ebenso wie bei EU- oder G-Gipfeln. Und es darf davon ausgegangen werden, dass in Vorbereitung solcher Gespräche außer den Interessen auch Wohl und Wehe der beteiligten Personen nicht völlig außer Acht gelassen worden sind.

Natürlich wird sich, nachträglich betrachtet, jeder auf die Position zurückziehen dürfen, dass das wirkliche Ausmaß dessen, was der gegenübersitzende Exekutivchef oder zeitweise Finanzminister eines befreundeten Land verbrochen haben könnte, noch nicht feststand. Es also nicht lediglich eine einfache Steuerhinterziehung war, die da seit dem Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens am 26. April 2005 über dem Haupt des Gesprächspartners schwebte. Sondern ein ausgetüfteltes, betrügerisches System von Scheingeschäften über eigens angelegte Dutzende von Off-Shore-Firmen, um in der gleichen Höhe, in der dem italienischen Staat Steuern vorenthalten wurden, Schwarzgelder anzulegen, die ihrerseits das ideale weil bereits versteckte Medium der Korruption darstellten. Selbstverständlich wird auch jeder mit Fug und Recht darauf verweisen können, dass bis zum 1. August, dem Tag der endgültigen Verurteilung von Silvio Berlusconi, zu seinen Gunsten die Unschuldsvermutung galt.

Versuch der Nötigung des italienischen Staatspräsidenten

Das gilt seit Rechtskraft der Verurteilung nicht mehr. Mehr noch: Die Handlungen, mit denen die Partei des Medienmoguls PdL (Volk der Freiheit) seit gestern versucht, die Folgen für den nun Vorbestraften auszuhebeln, sind öffentlich bekannt.

Von ihrem Parteichef gestern am späten Nachmittag zusammen gerufen, haben die Abgeordneten entschieden, ihr Mandat zurück zu legen, wenn Staatspräsident Giorgio Napolitano den gerade erst verurteilten Senator Silvio Berlusconi nicht begnadigt. Diese Botschaft zu überbringen sind die Fraktionsvorsitzenden im Senat, dessen ehemaliger Präsident Renato Schifani und in der Abgeordnetenkammer, der frühere Minister Renato Brunetta beauftragt worden. Der frühere Minister Sandro Bondi, politischer Koordinator des PdL, wird heute um 10:45 Uhr von der Presseagentur ANSA mit den Worten zitiert, dass „ansonsten der Bürgerkrieg droht“.

Was sich jetzt abspielt, da üblicherweise halb Europa in Urlaub ist, hat sowohl im deutschen als auch im italienischen Recht einen Namen: Nötigung des Bundes- bzw. Präsidenten der Republik. Denn die Prärogative der Ausübung des Gnadenrechts mit der Drohung dem Staatsoberhaupt gegenüber einzuschränken, andernfalls das Parlament und damit die Legislative außer Funktion zu setzen, kann nicht anders als ein Versuch gewertet werden, die Willens- und Entschlussfreiheit von Napolitano zu beeinträchtigen.

Natürlich wird es auch jetzt genug Gründe für die deutsche Politik geben, zum Sachverhalt zu schweigen. Die schon erwähnte Urlaubszeit, die Unzulänglichkeit der Information und etwas, was sich Rücksichtnahme in fremden Angelegenheiten nennt. Doch würde es gerade in den politischen Familien darauf ankommen, kritisch zu hinterfragen, wie lange man bereit ist, diesem Treiben zuzusehen.

Denn es kann gar keinen Zweifel daran geben, dass gerade die maßgeblichen deutschen Regierungsparteien CDU und CSU in Europa mit jenem „Volk der Freiheit“ aufs engste verbunden sind. Sie gehören nicht nur der gemeinsamen EVP (Fraktion der Europäischen Volkspartei) des Europäischen Parlaments an, sondern stellen mit dem PdL und dem französischen UMP das stärkste Kontingent dar. Nicht vergessen ist, dass die Vorsitzende der CDU und Kanzlerin Angela Merkel aktiv an der Seite des französischen Staatspräsident Nicolas Sarkozy bei dessen Wahlkampf auftreten sollte, bis die Erkenntnis blühte, dass sie selbst dabei mehr verlieren konnte als für den scheiternden Kandidaten zu gewinnen war.

Das Schweigen der politischen Familie der CDU/CSU

Vielmehr ist es die politische Familie der Christdemokraten selbst, die kaum eine Gelegenheit auslässt, dem undemokratischen Treiben ihrer Geschwister Vorschub zu leisten. Als erst kürzlich gegen Ungarn das Artikel-7-Verfahren im EU-Parlament debattiert und in Aussicht gestellt wurde, wonach das Land seine Stimmrechte verlieren könnte falls es nicht demokratische Strukturen und Verfahren wieder herstellt, stimmten die Abgeordneten der EVP dagegen oder enthielten sich. Behilflich bei der Entscheidung war, dass die ungarische Regierungspartei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán ebenfalls Mitglied der Fraktion ist. So wie es selbstverständlich war, dass aus diesen Reihen kein Protest kam, als 2003 der heutige Parlamentspräsident Martin Schulz von dem damaligen Ministerpräsidenten Berlusconi mit „Kapo“ tituliert wurde.

Das heutige Schweigen der deutschen Politik, vor allem der Regierungsparteien zur italienischen Situation, die gerade jetzt nicht wirtschaftlich, sondern von einem äußerst schweren institutionellen Konflikt geprägt ist, ist unentschuldbar.

Verständlich, dass es schwer fallen mag, damit indirekt Fehleinschätzungen oder falsche Akzente einzugestehen. Aber der Frage, ob ein verurteilter Krimineller zu weiteren Taten anstiften darf, die diesmal ein Kernland der Europäischen Union und dessen demokratische Strukturen als Ganzes in nie dagewesener Schärfe betreffen, darf nicht mit Gleichgültigkeit begegnet werden. Umso mehr, als der Anstifter kein Mitglied der Exekutive ist, sondern als Parteichef ein „Volk der Freiheit“ aufwiegelt, das alle Volksparteien und ihr Führungspersonal in Europa in eine Ecke führt, die mit Rechtsstaatlichkeit rein gar nichts mehr zu tun hat.

Der Rechtsstaat wird nicht erst mit Waffen verteidigt oder am Hindukusch. Sondern vor der Haustür, wo das demokratische Ensemble wie ein Kartenhaus zusammen zu fallen droht. Und sei es auch nur, weil ein alter Mann entschieden hat, nun alle(s) mit sich in den Untergang zu reissen.

Hier ist der Europäische Gedanke der Demokratie in der Pflicht. Und damit auch die Chefin der deutschen Christdemokratie. Frau Merkel, sprechen Sie!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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