Die Erpressung geht weiter

Italien Die Rechtspopulisten des „Volkes der Freiheit“ drohen, das Parlament zu lähmen, falls ihr Parteichef seines Mandats als Senator verlustig geht. Sie zielen auf Neuwahlen

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Die Erpressung geht weiter

Foto: GIUSEPPE CACACE / AFP / Getty Images

Mit jedem Tag, da für den zu Haftstrafe verurteilten Senator Silvio B. die konkrete Verbüßung und gleichzeitig die Entscheidung des parlamentarischen Immunitätsausschusses näher rückt, die Empfehlung für seinen Verfall vom Mandat auszusprechen, erhöht sich der Druck.

Sicher für den Delinquenten, der bis 15. Oktober beantragen kann, die Strafe als Hausarrest zu verbüßen. Die Option hat sich der Senator bereits eröffnet, nachdem er vergangene Woche seinen Wohnsitz offiziell von Arcore bei Monza in der Lombardei nach Rom in seine Residenz Palazzo Grazioli verlegt hat; auch arretiert will der Häftling nicht darauf verzichten, im Zentrum der italienischen Macht zu sitzen.

Vor allem lastet der Druck immer stärker auf den Institutionen des italienischen Staates, angefangen beim Staatspräsidenten über die Regierung bis hinein in die Hinterbänke des Parlaments. Denn der -> Ankündigung vom 2. August, von ihrem Mandat zurück zu treten, falls Staatspräsident Giorgio Napolitano nicht eine Lösung zugunsten ihres Parteichefs findet, haben die Abgeordneten des Volkes der Freiheit (PdL) nun ein sichtbares Zeichen hinzugefügt.

Sollte sich kommenden Freitag der Immunitätsausschuss gegen B. aussprechen, werden sie in beiden Kammern des Parlaments geschlossen von ihren Mandaten zurück treten, ließ die Parteiführung verlauten. Zum Beweis: Eine zwei Tage dauernde Unterschriftensammlung unter den rechtspopulistischen Abgeordneten und der Entwurf des Rücktrittsschreibens von Renato Brunetta, früherer Minister und jetziger Fraktionssprecher des PdL in der Abgeordnetenkammer, der der Presse zugespielt wurde.

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Wie Anfang August wurde die Entscheidung auf einer Versammlung der Parlamentarier getroffen, die von Parteichef B. einberufen worden war und in der er seine bekannte Linie vortrug: „Es ist ein Umsturz in Gang, in dem Richter den Rechtsstaat beseitigen. Es gibt keine Demokratie mehr.“ Nicht ohne pathetisch darauf hinzuweisen, dass er „die letzten 55 Nächte nicht mehr geschlafen“ und „11 Kilo, eines für jedes Jahr, das sie mich gerne ins Gefängnis schicken würden“ verloren habe, erklärte B. unumwunden das Ziel: Neuwahlen. Unter seiner Führung -> in der gerade wieder reaktivierten Partei „Forza Italia“ verspricht er sich und denen, die ihm folgen werden, „36% bei den nächsten Wahlen“.

Die Drohung, die parlamentarische Arbeit zu lähmen, ist dieses Mal als konkret aufgefasst worden. Binnen 24 Stunden meldete sich Staatspräsident Giorgio Napolitano gleich drei Mal in der Presse zu Wort und ließ ein offizielles Kommuniqué verbreiten. Die Ankündigung von Massenrücktritten im Parlament sei „höchst beunruhigend“, da mit ihnen „die Absicht oder wenigstens die Folge verbunden wäre, die Funktionsweise des Parlaments an ihrer Wurzel zu beeinträchtigen. Nicht weniger beunruhigend wäre der Zweck einer solchen Handlungsweise, auf das Staatsoberhaupt extremen Druck auszuüben, um ihn zu einer baldmöglichen Auflösung des Parlaments zu bewegen.“

Die klaren Worte des Staatspräsidenten

Und direkt adressiert an den bekanntesten Vorbestraften Italiens: „Es bedarf keiner Vertiefung, Äußerungen wie die zu einem ‘Staatsstreich‘ oder ‘einer umstürzlerischen Operation‘ gegen den Führer des PdL als schwerwiegend und absurd zu bezeichnen. Die Vollstreckung einer rechtskräftigen Verurteilung, nach Maßgabe unserer Rechtsordnung wegen bestimmter Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz verhängt, ist konstitutive Grundlage eines jeden Rechtsstaates in Europa, so wie es die Nichteinmischung des Staatsoberhauptes oder des Premierministers in die unabhängigen Entscheidungen der rechtsprechenden Gewalt ist.“

Noch deutlicher Ministerpräsident Enrico Letta (Partito Democratico, PD), der gestern nach einer Konsultation mit dem Staatspräsidenten kurzer Hand die Tagesordnung des darauf folgenden Ministerrats änderte. Statt der anstehenden Erhöhung der Umsatzsteuer und Finanzierung der Kurzarbeiterkasse, ging Letta seinen Vize Angelino Alfano, ranghöchster Minister des PdL und dessen Parteisekretär, frontal an. Aus der Aufforderung, seine und die Position der Partei zum Fortbestand der Koalition zu erklären, entwickelte sich laut Medienberichten ein Schreiduell. Dem der Ministerpräsident via Twitter einen Verweis auf seine mit Verve geschriebene Erklärung folgen ließ: „Weder Drohungen noch entweder/oder. Zuerst das Land“. So der Präsident @enricoletta bei Beendigung des #Ministerrats. Das Kommuniqué http://t.co/8J3MYBnCb8"

Letta wie seine Partei lassen keinen Zweifel daran, dass sie unter keinen Umständen der Erpressung nachgeben werden. „In Erwartung einer Klärung“, lässt der Ministerpräsident wissen, „ist es unvermeidbar, alle Entscheidungen der Regierung zu blockieren, so wichtig sie wie die fiskalischer und wirtschaftlicher Natur auch sein mögen.“ Die Einstellung sei „erforderlich, weil der Haushalt nicht mit Vorgängen über Milliarden von Euro verpflichtet werden kann, ohne dass es eine Garantie für die Beständigkeit in der parlamentarischen und Regierungstätigkeit“ gäbe.

Neuwahlen sind die Option der Hardliner bei den Rechtspopulisten und der 5-Sterne-Bewegung

Die Unmöglichkeit, mit den Rechtspopulisten weiter zu regieren, ist aber auch das Signal an den rechten Flügel der Sozialdemokraten des PD, dass eine Alternative besteht. Sowohl beim PdL gibt es Angeordnete, die nicht bereit sind, ihrem bisherigen Parteivorsitzenden zu folgen wie auch bei der bislang oppositionellen 5-Sterne-Bewegung etliche Senatoren zu finden sind, die sich offen gegen die Vorgabe von Beppe Grillo gewandt haben.

Dessen Parole, auf keinen Fall mit anderen Parteien zu koalieren oder sie in Personalfragen vor der Klärung bestimmter Sachfragen wie das Wahlrecht zu unterstützen, stößt auf zunehmendes Unverständnis, da es die angeprangerte Politikunfähigkeit der arrivierten Parteien nur zementiere. Skeptisch wird deshalb auch Grillos Forderung nach Neuwahlen aufgenommen, zumal jüngste Umfragen einen Rückgang des M5S in der Wählergunst um 3 bis 4% nahe legen.

Tatsächlich geht es bei der Regierbarkeit um rund 10% von insgesamt 315 Stimmen im Senat, der zweiten parlamentarischen Kammer. Während die Sozialdemokraten in der ersten, der Abgeordnetenkammer, über eine komfortable Mehrheit verfügen, fehlen ihr zur einfachen Mehrheit im Senat 35 Stimmen, die sie angesichts der schwierigen Lage des Landes bei Abweichlern aus den anderen Parteien zu finden hoffen. Im „perfekten“ Zwei-Kammern-System Italiens ist die Zustimmung beider Gremien für jedes Gesetzesvorhaben erforderlich.

Noch sehen die Sozialdemokraten Spielräume. Enrico Letta, der gestern die Vertrauensfrage im Senat für Montag ventiliert hat, räumt für diesen Tag getrennte Tagungen der Fraktionen ein und lässt wieder offen, ob er gegebenenfalls Dienstag vor die Senatoren treten will. Keinen Zweifel aber lässt der Ministerpräsident daran, dass er notfalls auch eine Minderheitsregierung unter Duldung einzelner Mandatare anderer Gruppen anführen würde. Denn mit dem Erpressungsversuch hatte ihn der PdL während seines Besuchs in New York bei den Vereinten Nationen überrascht. „Ein Imageschaden für das ganze Land“ hatte Letta unverzüglich erwidert, aber den Versuch seiner persönlichen Demontage gemeint. Dieser Premier scheint aufgewacht und bereit zum Kampf zu sein. MS

Update 20:00 Uhr: Wie italienische Medien melden, hat der Parteichef des PdL, Senator Silvio B. am späten Nachmittag eine Note veröffentlicht, in der er die 5 Minister seiner Partei in der Regierung aufgefordert hat, "die Möglichkeit zu überprüfen, sofort ihren Rücktritt zu erklären, um sich nicht zu Komplizen einer weiteren Schikane durch die Linke zu machen." Eine Aufforderung, der umgehend die Minister nachgekommen seien. Vize-Premier Angelino Alfano, gleichzeitig Parteisekretär des PdL,habe Ministerpräsident Anrico Letta vom Rücktritt informiert. Es wird erwartet, dass Letta noch am Abend bei Staatspräsident Giorgio Napolitano vorsprechen und die Regierungskrise bekannt geben wird.

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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