Gewehre statt Brot

G5-Sahel Die Berliner Suche nach Geldgebern für eine neue Kampftruppe im Sahel umweht ein Hauch Kongokonferenz. Eine Analyse

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Verstärkte Diplomatie in Afrika. Hier die französische Außenministerin Florence Parly am Militärstützpunkt im Niger
Verstärkte Diplomatie in Afrika. Hier die französische Außenministerin Florence Parly am Militärstützpunkt im Niger

Foto: BOUREIMA HAMA/AFP/Getty Images

Wenn heute, wie angekündigt, oder später die Unterstützerkonferenz für die G5-Sahel in Berlin zu Ende gegangen ist, wird sie sich nicht in die vollmundigen Formeln der jüngeren Vergangenheit eingepasst haben. Sie lauten, als wären sie aus dem Regal einer drittklassigen, aber großmannssüchtigen Werbeagentur gepurzelt: Compact with Africa der G20-Afrika-Konferenz in Hamburg (federführend in Deutschland: das Bundesfinanzministerium), Marshallplan mit Afrika des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, oder, als Aufrufung aus dem Wirtschaftsberitt, Pro!Afrika.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dagegen will erst einmal nur Geld einsammeln. Geschätzte Marke für den Anfang: Mindestens eine halbe Milliarde Euro. Wieviel am Ende, wofür und wie genau das Geld eingesetzt wird, soll ein Planungstreffen in Brüssel irgendwann im Dezember entscheiden; passenderweise nach der Bundestagswahl – vielleicht ist bis dahin die neue deutsche Regierung sogar schon eingeschworen.

Aber auch so ist das Ziel deutlich genug. Es geht um nicht weniger als um die Errichtung eines Cordon Sanitaire des reichen europäischen Nordens gegenüber dem von Hunger, Gewalt und Willkür geprägten Süden. Das Vorhaben verträgt keine Werbeformel, die selbstlose Hilfe suggeriert.

Der Sperrriegel des Sahel-Sahara-Bandes quer durch den Kontinent sollte ursprünglich „dem Kampf gegen den Terrorismus [Stichwort: Boko Haram] und die grenzüberschreitende Kriminalität“ gelten und nach innen wirken. So steht es als vorrangiges Ziel im Übereinkommen zur Gründung der G5-Sahel zwischen Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad vom Dezember 2014. Dafür wollen die Beteiligten der Papierform nach eine gemeinsame Kampftruppe („force conjointe“, FC-G5) aufstellen.

„Das „Sahel-Sahara-Band“ und seine Bewaffnung“

Maßgeblich von Frankreich gesteuert und mit finanzieller Hilfe aus Deutschland soll in einer der ärmsten Regionen der Welt mit den „Vereinten Kräften der G5-Sahel-Staaten“ eine weitere Armee entstehen. Die Dokumentation

Spätestens seitdem Emmanuel Macron im Elysee-Palast eingezogen ist, soll die Truppe nun nach Norden hin „die irreguläre Migration eindämmen“ und so helfen, in Europa „die Anwendung von Asylrecht zu verbessern“. Unter den Vorzeichen stand nicht nur der sogenannte kleine Afrika-Gipfel Ende August in Paris, sie sind offizielle EU-Politik. Dazu heißt es in den „Sofortmaßnahmen für die zentrale Mittelmeerroute“ der Kommission vom 4.7.2017:

„The EU and Member States should work with Libya to significantly and rapidly strengthen border controls at the external borders of Libya (particularly the southern ones) to stem further flows into Libya. This includes enhanced cooperation with G5 Sahel countries and the establishment, with EU financial support of EUR 50 million, of the "Joint Force" decided at the last G5 Summit, which aims at reinstating control at borders in the transit areas of Mali, Burkina Faso and Niger.“

Zuvor war der Versuch des ständigen Mitglieds Frankreich gescheitert, das veränderte Vorhaben der vereinten G5-Streitkräfte vom UN-Sicherheitsrat mandatieren zu lassen. Die höhere Weihe durch die Völkergemeinschaft, die Europäische Außengrenze durch ortsansässige Hilfstruppen bis südlich des Sahel zu ziehen sowie die Drittfinanzierung, die mit einem solchen Mandat verbunden wäre, blieb in der Resolution 2359 (2017) vom 21.Juni verwehrt.

Ohne die UNO, auf die sich etwaige Fehlschläge hätten schieben lassen, steht die Europäische Außen-, Flüchtlings- und Migrationspolitik ganz alleine zur Bewährung. Dass sie das mit Bewehrung verwechselt, hat jetzt schon gravierende Wirkungen mit unabsehbaren Folgen.

Da ist zum einen der in Geld ausgedrückte Preis. Angesichts der Begehrlichkeiten aus Paris, Berlin und Brüssel ließ Staatspräsident Idriss Déby im gemeinsamen Interview mit rfi, TV5 und Le Monde am 25. Juni wissen:

„Ich bin mir absolut sicher, dass die Tschader enttäuscht sind und meinen, dass der Tschad bereits zu viel getan hat, dass sich das Land von den Schauplätzen zurückziehen sollte, um sich selbst zu schützen und um zu verhindern, dass sich die soziale Situation noch weiter verschlechtert. (…) Wir sind an unseren Grenzen angelangt. Wir können nicht weiterhin überall sein, im Niger, in Nigeria, in Kamerun, in Mali und dann noch 1200 Kilometer Grenze zu Libyen bewachen. Das alles ist über alle Maßen teuer, und wenn sich daran nichts ändert, wird der Tschad leider gezwungen sein sich zurück zu ziehen“.

In der -kraft weltweiter Verbreitung der ausgewählten Medien- ausgesprochenen Drohung, sich dem Ansinnen einer gemieteten Grenzschutztruppe im Subsahara zu widersetzen, war das Angebot enthalten: Prinzipiell für Offerten ein offenes Ohr zu haben.

Das entsprechende Gebot steht derzeit bei etwa 20 Milliarden US-Dollar. Am eilig einberufenen runden Tisch zum tschadischen „Nationalen Entwicklungsplan 2017-2021“ in Paris Anfang September fanden sich rund 500 Geldgeber ein, laut Medienberichten alles, was Rang und Namen hat: Die Europäische Union mit 925 Millionen Euro, über die Weltbank (rund 500 Millionen Dollar), bis hin zur saudischen Bin Laden Group. Das Bauunternehmen will neben einer Gabe von 3 Milliarden Dollar auch einen Teil der Auslandsschulden des Tschad übernehmen. Chinesische Agenturen sollen dem Vernehmen nach ebenfalls eifrig geboten haben. Die Truppe selbst soll, so ein Bericht der UNO, 423 Millionen Euro im ersten Jahr kosten, davon 234 Millionen die Grundausstattung mit Kriegsgerät.

Der politische Preis ist freilich höher, und er betrifft nicht nur das Musterergebnis der Françafrique. Ohne tatkräftige Unterstützung des ehemaligen Kolonialherrn hätte sich Idriss Déby Itno weder 1990 an die Macht putschen, noch sie als despotischer Staatpräsident Tschads seit 1996 behalten können. Die Folge laut einer Kurzanalyse des in Paris angesiedelten Institut de Recherche Stratégique de l’Ecole Militaire vom Juli 2016:

„Die Aufwertung der Sicherheitsapparate […], aber auch die von außer-afrikanischen Akteuren aufgesetzten Programme […] tragen indirekt zur Stärkung der führenden Eliten bei, die sie kontrollieren. In dem Zusammenhang ist das Beispiel des Tschad interessant. Stark in Mali involviert, in besonderem Maß aber im Rahmen der Kommission für das Bassin des Tschadsees (CBLT) im Sahel-Sahara-Band, in Dafour, in Zentralafrika sowie im Kampf gegen Boko Haram, erscheint der Tschad in den Augen afrikanischer Akteure und der internationalen Gemeinschaft als unausweichlicher Faktor für die Lösung der Konflikte in diesen Räumen. Diese starke militärische Komponente […] erlaubt es dem Tschadischen Präsidenten Idriss Deby Itno, den politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf sein Land zu vergrößern, ohne Proteste seiner internationalen Partner fürchten zu müssen“.

Der mittlerweile 65-jährige Déby ist die Personifizierung einer fehlgeleiteten europäischen Politik, die nun das ganze Sahel-Sahara-Band erfassen soll. „Sicherheit & Entwicklung“ prangt als Wahlspruch auf dem Emblem der G5-Sahel und durchzieht als Leitmotiv deren Gründungsvertrag. Er ist die Umsetzung eins zu eins der im März 2011 von dem seinerzeit noch neuen EU-Außenamt zusammen mit der Kommission veröffentlichten „Strategie für Sicherheit und Entwicklung im Sahel“:

„This Strategy has four key themes: Firstly, that security and development in the Sahel cannot be separated, and that helping these countries achieve security is integral to enabling their economies to grow and poverty to be reduced“.

Die untrennbare Vermischung mit deutlichem Vorrang von Sicherheit vor Entwicklung entspricht einer europäischen, neokonservativen Haltung. Sie hat in Deutschland zu dem ominösen Kampfbegriff der Unionsparteien vom „Supergrundrecht auf Sicherheit“ geführt, hinter dem die Grundrechte der Verfassung anstehen sollen. Als Exportschlager in den Sahel lässt es sich mangels legitimierender Gouvernance übersetzen als das mögliche Entstehen eines militärisch-wirtschaftlichen Komplexes über fünf Länder hinweg.

Eingebetteter Medieninhalt

Solange er nur auf dem Papier stand, mochte das wenig kümmern. Seitdem Europa sich aber ganz offen und konkret aufmacht, als Strategie im eigenen Interesse das Sahel-Sahara-Band neu zu organisieren, sind die gegenläufigen Begehrlichkeiten geweckt. Die Geberkonferenz von Paris Anfang des Monats war keine gemeinnützige Spendengala, sondern Scheckbuchdiplomatie, bei der noch die Unterschriften fehlen: Aus China, den Golfstaaten, aus Russland. Auch so können aus lokalen internationale Konflikte auf breiter Skala werden.

Den höchsten Preis zahlen die Bevölkerungen des Subsahara selbst. Sie sind genau die Menschen, die Europa fernhalten will. Es ist, als würde Mexikos Staatspräsident Enrique Peña Nieto die von Donald Trump geplante Mauer nicht nur freudestrahlend willkommen heißen, sondern obendrauf Wachposten und Stacheldraht liefern.

Dass im Gegenzug „Entwicklung“ bei den Menschen im Sahel Einzug halten wird, darf bezweifelt werden. Da ist nicht nur die unangenehme Eigenschaft der Geber, höchst vergesslich zu werden, wenn es um den konkreten Geldtransfer geht. Oder die endemische Korruption, die von der obersten Staatführung bis hinunter zu den lokalen Verwaltungen reicht und sich nicht um die Bedürfnisse der Bevölkerung kümmert. Sie erhält mit jener untrennbaren Vermischung von Sicherheit und Entwicklung sogar das Alibi, alles einzusetzen oder abzuzweigen, was für Ersteres und damit für den eigenen Machterhalt der autokratischen Eliten der G5 notwendig ist.

Bewaffnete Truppen sind auch nicht die Lösung, sie sind wesentlicher Teil des Problems. In der vor kurzem erschienenen Studie im Auftrag des United Nations Development Programme (UNDP) zum Extremismus in Afrika kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis:

„The research specifically set out to discover what pushed a handful of individuals to join violent extremist groups, when many others facing similar sets of circumstances did not. This specific moment or factor is referred to as the ‘tipping point’. The idea of a transformative trigger that pushes individuals decisively from the ‘at-risk’ category to actually taking the step of joining is substantiated by the Journey to Extremism data. A striking 71 percent pointed to ‘government action’, including ‘killing of a family member or friend’ or ‘arrest of a family member or friend’, as the incident that prompted them to join. These findings throw into stark relief the question of how counter-terrorism and wider security functions of governments in at-risk environments conduct themselves with regard to human rights and due process. State security-actor conduct is revealed as a prominent accelerator of recruitment, rather than the reverse.“

Neue Grenzen auf Karten zu zeichnen und Soldaten im Auftrag Europäischer Staaten in Afrika bewachen zu lassen, umweht ein Hauch von Kongokonferenz. Auch da waren, um die Interessensgegensätze der Kolonialmächte zu kanalisieren, Territorien abgezirkelt worden. Die Gegensätze sind heute die des Umgangs mit Flucht vor Armut und Vertreibung durch Gewalt aus den ehemaligen Kolonien. Sie haben einen tiefen Riss in der Europäischen Union und quer durch die politischen Lager der Mitgliedstaaten bewirkt. Ihn auf Kosten Dritter kitten zu wollen und das mit der Spitze von Gewehren hat noch nie funktioniert, wie die Geschichte lehrt. Sie haben es nur annehmbarer erscheinen lassen, aus noch nichtigeren Gründen auf Menschen zu schießen.

Für Frankreich scheint das akzeptabel zu sein. Eine der ersten Maßnahmen des Tandems Emmanuel Macron/Édouard Philippe nach Amtsantritt war die Neubezeichnung von Ministerien. Es heißt nun nicht mehr Verteidigungsministerium, sondern „Ministère des Armées“. Die gleiche Bezeichnung wählte Charles De Gaulle 1958. Er befand sich mitten im Algerienkrieg.

Und Deutschland?

[Anmerkung, 20.09.2017, 15:30 Uhr: Die Unterstützerkonferenz ist von Ministerin von der Leyen am 1.8. angekündigt und in der Mediathek des Verteidigungsministeriums veröffentlicht worden. Zunächst war allgemein von September und Berlin im Bericht, datiert 15.8., von UN-Sonderberichterstatter El Ghassim Wane die Rede. Medienberichte veröffentlichten später den 18.9. als Termin. Zuletzt bestätigte die Ministerin das definitive Datum 19.9. im Interview mit der Deutschen Welle, das am 13.9. auf Sendung ging („Nous mettons en place un accompagnement pour le G5 Sahel“). Eine Anfrage an das Ministerium, ob der Termin verschoben wurde, ist zur Stunde unbeantwortet.]

Crossposting zu T[r]agwerkblog, dort mit Fußnoten

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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