Landschaftsbild mit Schiff

Italien Staaten werden oft mit Schiffen verglichen: Auf Kurs oder mit Lotsen, die von Bord gehen. Italien und die Costa Concordia stellen die Frage nach dem Kapitän

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Und jetzt?
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Foto: Marco Secchi/Getty Images

Die erste Nachricht heute früh am Morgen galt dem technischen Verantwortlichen Nick Sloane, der sich wie jeder andere in der Bar in der Reihe angestellt hatte, um einen Cappuccino zu bekommen: Keine Sonderkonditionen auf der toskanischen Insel Giglio. Auch nicht für den Mann aus Südafrika, der das Riesenwrack der Costa Concordia erst wieder aufstellen und dann zum Abwracken abschleppen soll.

Dass die Episode mit dem morgendlichen Kaffee überhaupt vermeldet wird, erschließt sich aus den Kommentaren zur Live-Übertragung der Bergungsaktion, etwa auf den online-Seite der Tageszeitung La Repubblica. „Zeigen wir der Welt unsere Fähigkeiten als Ingenieure“ kommentiert da ein Riccardo, so wie Simone meint, „wenn man nur will, bringt auch Italien etwas zustande.“ Der Stachel einer empfundenen Blamage sitzt tief, seitdem der Kreuzfahrer bei ruhiger See und Windstille auf eine Untiefe aufgelaufen ist, weil nicht das Schiff, sondern dessen Kapitän aus dem Ruder gelaufen ist. Und sich die Freiheit genommen hatte, als einer der Ersten von Bord zu gehen. Für die Nation des Columbus, des Amerigo Vespucci, der „Serenissima“ Venedig ein unaussprechlicher Makel.

Umso mehr, als Kapitän Francesco Schettino, dem im nahen Grosseto der Prozess unter anderem wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung gemacht wird, zum Inbegriff geworden ist: Für jemanden mit sehr viel Verantwortung, der den großen Auftritt wie die Geste liebt. Aber der im entscheidenden Augenblick nicht nur versagt, sondern sich als feiger Subalterner sogar ureigenen Aufgaben entzieht. Die Wut brodelt, mühsam verdeckt unter der Spannung, die in diesen Stunden die schweren Stahltrossen bewegt, um die Concordia wieder in die Lotrechte zu bringen wie der, ob die Übung gelingt.

Die Tageszeitungen bemühen historische Beispiele. Gleich ob die Wasa, die unmittelbar nach dem Stapellauf in Schweden anno 1628 an der eigenen Überrüstung gesunken war und im 20. Jahrhundert geborgen wurde. Oder das in Pearl Harbor versenkte Schlachtschiff Oklahoma, das ebenfalls erst aufgerichtet werden musste, bevor es zur Verschrottung kam. Die Historie wird jetzt geschrieben. Folgebeseitigung nennt sich das im zeitgemäßen Jargon der Schadensregulierung.

Gelingt es im Lauf des heutigen Tages anhand eines schwimmenden Hotels, ist es der Zeit geschuldete Balsam für zu viele Inszenierungen in der Öffentlichkeit, egal ob durch Staaten- oder durch Schiffslenker. Die im entscheidenden Moment versagen.

Kentern als Chance, wieder aufzurichten

Es schreibt ein anderer Kommentator: „Bis gestern Abend waren wir 60 Millionen Fußballtrainer, heute sind wir ebenso viele Ingenieure, morgen werden es wieder Verfassungsspezialisten sein“. Denn dann wird der Alltag Italien wieder eingeholt haben und mit ihm die Frage, ob die Verfassung einen verurteilten Blender weiterhin im römischen Parlament duldet. Wie ein böser Geist schwebt die Figur des die letzten Jahrzehnte prägenden Politikers über dem Alltagsgeschehen und spannt nicht nur das Staatswesen, sondern weite Teile der Bevölkerung bis zu einer Bruchstelle, die sich nur wenige vorstellen können und wollen.

Würden die Trossen an der Costa Concordia reißen, die Katastrophe wäre perfekt – das Wrack würde auf Jahre hinaus die Gewässer des Naturparks Maremma mit Schmierstoffen und Hydraulikölen verseuchen. Folgenbeseitigung betreibt dieser Tage auch das Parlament, da es versucht, den Verursacher und Störer, den Politiker als Typus des eitlen Selbstdarstellers los zu werden. Kein Kommentar befasst sich heute mit der Frage, welche Schäden drohen, falls diese Grundübung der Demokratie misslingt. Die nautischen Untiefen helfen den politischen die nächsten Stunden auf.

Zu dem Kreuzfahrer vor der Küste meinte Sloan heute Morgen, „es gibt keinen Plan B“. Entweder, oder. Da hatte er seinen Cappuccino in der Hand und schaute aus wie jeder Profi, den man sich wünscht, wenn es eng wird: Ruhig, fast gelassen. Souverän. Derweil sich das Schiff langsam bewegt. Nur welches, ist nicht so ganz klar. MS aus Rom

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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