„Das nächste Mal schießen wir!“

Flucht Warum stellen NGOs ihre Bemühungen, Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten, vorläufig ein?

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Die Sea-Eye
Die Sea-Eye

Fotos: sea-eye.org

Die in zahlreichen Medien berichtete Intention der libyschen „Regierung der nationalen Einheit“ in Tripolis, eine eigene Search-and-Rescue-Zone einzurichten und darin keine Schiffe unter fremder Flagge zu dulden, hat mehrere Reaktionen hervorgerufen.

Zum einen die Frage: Wie ernst ist die Drohung aus Tobruk, italienische Kriegsschiffe zu beschießen, sollten sie in libysche Hoheitsgewässer einfahren? Vordergründig nicht sehr, nachdem am gleichen Tag Fotos freigegeben wurden, die das schwere italienische Patrouillenschiff „Comandante Borsini“ vertäut in der Marinebasis Abu Sitta bei Tripolis zeigten. Inzwischen soll das Kriegsgerät von einer anderen Einheit der gleichen Schiffsklasse abgelöst worden sein.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Botschaft lautet: Die „Regierung der nationalen Einheit“, von UNO-Sicherheitsrat und der EU-Kommission als einzige legitime Vertretung Libyens anerkannt, hat die Lage unter Kontrolle.

Gleichzeitig ist Generalleutnant Khalīfa Belqāsim Ḥaftar, von dem die Drohung ausging, in italienischen Medien breiter Raum gegeben worden. Der „Verteidigungsminister“ und Chef des Generalstabs des „Abgeordnetenrates“, der Gegenregierung in Tobruk, reklamierte im Interview mit der Tageszeitung Corriere della Sera vom Samstag, dass die Einfahrt von Militärfahrzeugen in libysche Hoheitsgewässer „ohne unsere Zustimmung eine Invasion ist“. Zu den Vereinbarungen zwischen der italienischen und der „Regierung der nationalen Einheit“: „Mit uns hat niemand gesprochen. Ohne Konsultationen wurden vollendete Tatsachen geschaffen.“

Den Preis für sein Wohlwollen hat Haftar gleich mit bekannt gegeben: „20 Milliarden US-Dollar, verteilt auf 20 oder 25 Jahre kollektiver Anstrengung der europäischen Staaten“ für „Munition, Waffen, aber hauptsächlich Panzerwagen, Jeeps für die Wüste, Drohnen, Sensoren, Nachtsichtgeräte, Helikopter, Material zum Bau von bewaffneten Plätzen für je 150 Soldaten, mobil und alle 100 Kilometer postiert“. Wenn jeder europäische Staat beitrage, könne Libyen Flüchtlinge besser abhalten als die Türkei.

Andererseits ist die Lage für die im Mittelmeer tätigen Humanitären Hilfsorganisationen schon jetzt lebensbedrohlich geworden. Am 7.8. ist das Schiff Golfo Azzurro, betrieben von der in Barcelona/Spanien angesiedelten Proactiva Open Arms, von der libyschen Küstenwache beschossen worden. Die Organisation hat den Zwischenfall gefilmt und den Funkverkehr veröffentlicht.

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Hiernach hat der Kommandant des libyschen Militärfahrzeugs zuerst gedroht: „Kommt nicht wieder zurück. Wir scherzen nicht, das nächste Mal schießen wir. Verstanden?“ Dann sei das Feuer eröffnet worden, ohne jedoch die Golfo Azzurro oder Personen an Bord zu treffen. Der Vorfall soll sich 13 nautische Meilen vor der libyschen Küste und damit in internationalen Gewässern ereignet haben.

Daraus und aus der unklaren politischen Lage in Libyen haben Ärzte ohne Grenzen (Médecins sans Frontières, MSF),Sea-Eye und Save the Children die Konsequenzen gezogen. Mit einer Presseerklärung vom Sonntag hat der in Regensburg beheimatete Verein bekannt gegeben, vorerst seine Rettungseinsätze einzustellen. Die unbestimmte und einseitige Ausdehnung der Hoheitsgewässer durch die libysche Regierung verbunden mit der realen Bedrohung mache die Fortsetzung der Rettungsarbeiten aktuell unmöglich.

Ähnlich hat sich MSF geäußert. Unmittelbar nach der Ankündigung libyscher Behörden am 11. August, eine eigene Such- und Rettungszone einzurichten, habe das Maritime Rescue Coordination Centre (Mrcc) in Rom eine Warnung veröffentlicht: Vor „Sicherheitsrisiken, die mit den Bedrohungen verbunden waren, die die libysche Küstenwache öffentlich gegen humanitäre Such- und Rettungsschiffe, die in internationalen Gewässern tätig sind, ausgesprochen hatte.“ Auch die internationale Organisation wird ihre Such- und Rettungshilfe „mit dem Schiff ‘Prudence‘ vorübergehend auszusetzen. Das medizinische Team von Ärzte ohne Grenzen wird die Rettungskapazitäten des Schiffes ‘Aquarius‘ von SOS Méditerranée, das derzeit in internationalen Gewässern patrouilliert, weiter unterstützen.“ Auch Save the Children hat angekündigt, zeitweise ihre Fahrten mit der VOS Hestia zu unterbrechen.

Tatsächlich müssen die Fragen, was die „libysche Küstenwache“ ist und wer sie kommandiert, als völlig offen betrachtet werden. Neben den Prätendenten in Tobruk und Tripolis kommen auch Milizen wie die unter dem Kommandeur Abdurahman Salem Ibrahim Milad, genannt Al Bija, in Betracht.

Das hat Michael Obert in seiner umfangreichen Reportage „Die Menschenfänger“ im SZ-Magazin vom 8. Juni dargelegt. Al Bija sei „der größte Player in der Mafia der Küstenwache, die das lukrative Geschäft des Menschenschmuggels in Zawiya und der umliegenden Küstenregion fest im Griff hat“, zitiert der Journalist eines der führenden türkischen Nachrichtenportale mit Sitz in Istanbul, TRT. Oberts Beobachtungen bestätigen das. Als „Türsteher zur Hölle“ hat die Sendung titel, themen, temperamente des Hessischen Rundfunks den Warlord bezeichnet: ein Kriegsherr, alimentiert mit EU- und Geldern aus Deutschland.

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

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