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Medienkritik Zwei kleine Artikel zur Nichteinmischung von Wissenschaft in die Politik erfordern dies: Eine Randnotiz

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Meinungsstark: Thomas Piketty während einer Keynote-Präsentation im Januar in Paris
Meinungsstark: Thomas Piketty während einer Keynote-Präsentation im Januar in Paris

Foto: ERIC PIERMONT/AFP/Getty Images

War es der großen Hitze wegen, dass der Satz nicht nur gedacht, sondern sogar veröffentlicht wurde? „Medien und Wissenschaft dürfen politisch keine Partei ergreifen“ lautete vergangenen Mittwoch die apodiktische Sentenz von Andrian Kreye in der Süddeutschen. Sie ging Richtung Thomas Piketty und dessen offenen Brief an die Bundeskanzlerin („Austerity has failed“). Und sie hinterließ einen Nachgeschmack, der den Nachklapp geradezu herausforderte. Denn am Freitag kam so etwas wie eine Abschwächung, als Kreye seine LeserInnen fragte: „Wie naiv ist diese Ansicht“?

Chauvinistische Erklärungsmuster zu bemühen, läge nahe. Anders als etwa in den zwei offenen Briefen von Joseph Stiglitz et al. in der Financial Times, davon einer ebenfalls von Piketty mitunterzeichnet, wären jetzt nicht mehr allgemein Austeritätspolitiker oder –ökonomen, sondern konkret die Kanzlerin als deren gesamtdeutsche Personifizierung angesprochen. Und wie in den Appellen europäischer Intellektueller im britischen Guardian oder der italienischen La Repubblica ginge es in Pikettys Epistel um eine verständige Umkehrung des derzeit regierenden Prinzips: Statt Ökonomisierung der Politik, Politisierung der Ökonomie.

Wie bei all den offenen, internationalen Aufrufen bislang Deutsche als Unterzeichner kaum zu verzeichnen waren -dementsprechend hiesige Medien sie mit weitgehendem Schweigen straften- wäre Merkel damit so etwas wie die kritische Ein-Frau-Masse. Der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden beizuspringen wäre also, durch die nationale Brille besehen, Gebot der Stunde. Wäre da nicht, dass sich Kreye in Sachen Parteinahme selbst widerspräche, vor allem aber seinem Verständnis von Politik und Wissenschaft aufgeholfen werden müsste. Denn dieses kulminiert in dem noch seltsameren von ihm propagierten Gebot von der „Trennung der außerparlamentarischen Gewalten“.

Sich damit aufzuhalten, Kreye würde seinen Montesquieu vielleicht nur eigenwillig interpretieren, wäre so unfruchtbar wie der Versuch, „den Intellektuellen“ Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Der rote Faden, der Zola über Sartre und Marquez bis Grass verbindet ist der gleiche, der das Werk von Schiele, Niki de Saint Phalle oder Anish Kapoor durchzieht. Ihnen hat Umberto Eco ein Denkmal gesetzt, in dem er deren Gegnern attestierte: „In ihren Genen ist die antike Gewohnheit der Polemik verankert, als (dreckigen) Intellektuellen jeden anzusehen, der anders als du denkt (also denkt)“. Seiner Glosse hat Eco den sarkastischen Titel gegeben: „Schweig, dreckiger Intellektueller“.

Einen solchen Imperativ platziert Kreye nur indirekt, sozusagen über die Nieren in die Brust, meint ihn aber ernst: Es ginge dabei um die „Objektivität der Wissenschaft“, die durch Parteinahme verloren ginge. Von Peer-to-Peer gesprochen: Diese Auffassung ist widerlegt.

Weit vor ihrem Millionenseller „Merchants of Doubt“ (mit üblicher vierjähriger Verspätung als „Machiavellis der Wissenschaft“ 2014 auch hier erschienen) konfrontierte Naomi Oreskes 2004 ein verständiges Publikum mit der Frage: „Science and public policy: what’s proof got to do with it?“. Ihr nüchterner Befund lautet: Es gibt Wissenschaftler, die sich eine perfekte Welt vorstellen – perfekte Daten, die zu ebensolchen Erkenntnissen führten, auf die Politiken aufgebaut würden, deren Gesetze schließlich Probleme „effizient, effektiv undkostengünstig“ lösen würden. Dies gelte umgekehrt für Politiken, die sich auf angebliche „Beweise“ von Forschern beriefen.

Tatsächlich könne die Wissenschaft aber „keine logisch unanfechtbaren Beweise zur natürlichen Welt liefern“, sondern „bestenfalls einen robusten Konsens“, der zudem der beständigen kritischen Hinterfragung bedürfe. Der Beitrag, so die Wissenschaftshistorikerin, sei also der einer „informierten Meinung zu den möglichen Folgen unseres Tuns (oder Nichttuns) und der Überprüfung deren Wirkungen“.

Selbst in Sachen Objektivität, so wäre 10 Jahre später hinzuzufügen, ist nicht alles zum Besten bestellt. Unter dem Begriff der „kognitiven Verzerrung“ sind die meist unbewussten fehlerhaften Neigungen bei Wahrnehmung, Erinnerung, Denken und Urteilen versammelt. Das Bemühen der Wissenschaft, etwa durch Peer-Review oder Doppelblindgutachten, ist nicht lediglich Qualitätssicherung, sondern stets auch eines um einen möglichst objektiven Kern, nicht immer mit Erfolg und immer hinterfragbar bleibend.

Derart des Nimbus‘ beraubt trifft „Wissenschaft“ freilich auf ein Publikum auf der Suche nach „Wahrheit“ als ethische, vor allem unhinterfragbare Vollendung von Objektivität. Die Sublimierung kann an dem Motto eines bekannten Wochenmagazins abgelesen werden, das mehr als 40 Jahre lang seine LeserInnen „mehr Wissen“ vermitteln wollte. Seit Januar sollten sie „keine Angst vor der Wahrheit“ haben. Die Hybris, für Medien bekannt als „Kurosawa-Effekt“, hatte aber schon Marion Gräfin Dönhoff beschrieben: Nicht Tatsachen würden uns prägen, sondern deren Wahrnehmung.

Auf der Suche nach „Konsensfähigkeit“ (Habermas) sind wir mehr denn je auf Kommunikation angewiesen, auf den Austausch von Argumenten, der der Subjektivität Rechnung trägt, statt sie schamhaft zu verstecken. Das ist dann aber kein Gespräch unter Elitenvertretern oder Gurus ihres Fachs mehr, sondern von Personen, die auf dem einen oder anderen Gebiet möglicherweise einen Wissensvorsprung haben und damit den eigenen Blick auf die Welt. In ihrer Gesamtheit sind sie das, was als außerparlamentarische Gewalt firmiert und den Souverän auf der Suche nach sich selbst kennzeichnet.

Dieser Souverän also hat es unternommen, einen offenen Brief an eine deutsche Kanzlerin zu schreiben. Das einzig Spannende daran ist, ob Angela Merkel darauf antworten wird. Auch der Mathematiker Piergiorgio Odifreddi hatte 2011 einen an den 16. Benedikt gesandt („Lieber Papst, ich schreibe dir …“). Es dauerte zwar zwei Jahre, aber Ratzinger erwiderte. Es ging um: „Glauben, um zu verstehen“ oder „Verstehen, um zu vertrauen“. MS

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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