Zu Kurz gesprungen

Österreich Die vielzitierte Geduld von Kanzler Sebastian Kurz kaschiert eine kolossale Fehleinschätzung. Ein Memento, auch für die deutschen Unionsparteien

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sebastian Kurz irrt, wenn er glaubt, die nachgewachsene Generation von Rechtsaußen einspannen, einkeilen und einklemmen zu können
Sebastian Kurz irrt, wenn er glaubt, die nachgewachsene Generation von Rechtsaußen einspannen, einkeilen und einklemmen zu können

Foto: Roland Schlager/AFP/Getty Images

Nein, die Rücktrittserklärung des nun ehemaligen Vizekanzlers und Bundesministers für öffentlichen Dienst und Sport der Republik Österreich war keine Überraschung. Auch wenn Kommentatoren meinten, es sei ungeheuerlich, dass Hans-Christian Strache sich als Opfer geriert habe, statt einfach abzutreten, wie es Johann Gudenus in seiner dürren Presseaussendung getan hat: Es gehört zur DNA der FPÖ wie aller sogenannten rechtspopulistischen Parteien, sich als Opfer darzustellen, dem alle Böses wollen – in der Presse, in der Politik, auf der Straße, im "tiefen Staat".

Und abermals Nein, es hat keine Verschwörung gegeben. Die namentlich nicht bekannten Lockvögel aus dem #strachevideo ließen schon sehr früh die Bemerkung fallen, sie hätten Schwarzgeld zu investieren. Jeder, der bei Trost ist, wäre spätestens hier aufgestanden, hätte sich höflich für die Gastfreundschaft bedankt und wäre gegangen. Nicht so der FPÖ-Grande und sein Adlatus. Für sie war das die Geschäftsgrundlage, das Schätzchen für ihre hochfliegenden Autokratenträume. Sie wurden von niemandem zum Bleiben gezwungen außer von ihrer Gier und ihrer maßlosen, grenzenlosen Machtgeilheit. Das #strachevideo ist das schon jetzt historisch zu nennende filmische Dokument einer politisch-kriminellen Vereinigung in Gründung.

Und ja, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Samstag tatsächlich überrascht. Aber nicht wegen der Ankündigung, baldmöglichst Neuwahlen ansetzen zu wollen, sondern wegen der Option, doch noch mit der FPÖ die Legislatur zu Ende zu regieren. Denn nichts anderes bedeutete sein schon früh am Samstag bekannt gewordenes Ansinnen, der bisherige Koalitionspartner möge Bundesinnenminister Herbert Kickl und Bundesverteidigungsminister Mario Kunasek abberufen. Derart personell in der Regierung entkernt, wäre die FPÖ aus der Sicht von Kurz offenbar leichter an der kurzen Leine zu führen.

Oder, um des Noch-Kanzlers Rede zu paraphrasieren: Nicht jetzt, sondern erst am Ende der Wahlperiode "ganz aufrichtig allen Regierungsmitgliedern für diese Umsetzungsarbeit danken" zu können, aber eben ohne weitere "Vorkommnisse". Sollten wir also der FPÖ sogar dankbar sein, dass sie, in den Augen von Kurz, keinen wirklichen Willen hat, sich "abseits der beiden Rücktritte auf allen Ebenen zu verändern" und damit den Weg zu Neuwahlen freigemacht hat?

Der rechte Rand lässt sich nicht einhegen

Kurz veranschaulicht mit seiner Taktiererei vor allem eines: Die ganze Hybris einer heranwachsenden sogenannten Neokonservativen Generation, die meint, die ebenfalls nachgewachsene Generation von Rechtsaußen einspannen, einkeilen oder einklemmen zu können. Welch ein Irrtum!

Man muss nicht die Geschichte der FPÖ seit 2005 rekapitulieren. Damals übernahmen Strache und Kickl den Parteiapparat nach der Sezession durch Jörg Haider und dem BZÖ. Oder sich vor Augen führen, was für und wie viele "Vorkommnisse" diese Partei und ihr Personal seit Ende 2017 in ihrer Machtfülle zu verantworten haben. Es reicht, sich das Video anzusehen und genau zuzuhören.

Diese faschistischen Ideologen und Demagogen, die aus der FPÖ eine der prononciertesten rassistischen und mittlerweile auch antisemitischen Parteien in Europa gemacht haben, sind zu allem bereit. Sie kennen keine Freunde und nicht einmal Verbündete, sondern nur das Mittel zum Zweck. Ein solcher rücksichtsloser Wille zur Macht, gepaart mit ungebremster krimineller Energie, definiert den Fanatiker. Wie und auf welcher "Ebene" wollte man da eine "Veränderung" erwarten oder herbeiführen?

Die Nagelprobe und ein Grund, die Reißleine zu ziehen, hätte sich bereits 3 Monate nach Regierungsantritt geboten. Ende Februar 2018 setzte die Exekutive zum fulminanten Umbau der inneren Sicherheitsarchitektur Österreichs an, inszeniert als Razzien gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (sog. BVT-Affäre).

Bereits nach 3 Monaten im Amt holte die FPÖ zum ersten Schlag aus; der Kanzler schwieg

Rechtlich ist klar: Die Maßnahmen waren ganz überwiegend illegal, wie das Wiener Oberlandesgericht bereits Ende August 2018 feststellte. Und außenpolitisch für Österreich eine Katastrophe: In der "Counter Terrorism Group (CTG) des Berner Clubs, einem informellen Zusammenschluss europäischer Nachrichtendienste," spiele Österreich "nur noch eine Außenseiterrolle", schrieb unlängst die WELT unter Berufung auf deutsche Sicherheitskreise.

Innenpolitisch aber war diese erste Episode ein GAU. Sämtliches Material zur Beobachtung und Auswertung rechtsradikaler Umtriebe, von Gruppen, Bewegungen bis hin zu Burschenschaften gelangte mit einem Schlag in Reichweite des Innenministeriums und damit in den Beritt des Mannes, der von 2005 bis Januar 2018 Generalsekretär, Chefideologe und demagogisches Zentrum der FPÖ war: Herbert Kickl. Und das in dem Land, in dem die NS-Wiederbetätigung, anders als in Deutschland, ausdrücklich unter Strafe steht.

Statt einzugreifen zog Sebastian Kurz es vor, den Grundstein für seine Rolle als "Schweigekanzler" zu legen. Statt den staatsgefährdenden Umtrieben des Herrn Kickl und der FPÖ insgesamt ein schnelles Ende zu bereiten, verharrte der Kanzler in einer Position, die als stille Komplizenschaft, als Kollusion gewertet werden kann. Ob seinerseits aus ideologischen Gründen oder weil er nicht bereits nach 3 Monaten den neuen Weg rechts der Mitte für gescheitert erklären wollte, für den er selbst von den mächtigen ÖVP-Hauptleuten in den Bundesländern Carte Blanche erhalten hatte, kann einstweilen dahinstehen.

Österreichische Zäsur und Warnung an alle Demokraten

Was bleibt, ist eine Zäsur. Sie liegt nicht nur darin, dass dieser fanatisch am rechten Rand stehenden FPÖ von der bürgerlichen ÖVP buchstäblich aufs Pferd geholfen wurde. Sondern sie liegt in der Offenbarung der anfänglichen gravierenden Fehleinschätzung: Dass solche Kameraden zu disziplinieren wären. Das Gegenteil ist der Fall, nämlich die Normalisierung des rechtsextremen Diskurses.

Das ist auch das Maß der Außenwirkung dessen, was als (nur) österreichischer Skandal wieder droht, aus dem politischen Bewusstsein zu verschwinden. Es ist die Warnung an alle im Verfassungsbogen versammelten Parteien, allen voran an die deutschen Unionsparteien, mit möglichen Koalitionsgedanken nicht einmal zu spielen. Die Versuchung ist bei der CDU in Sachsen und in Thüringen bekanntlich besonders groß, weil dort die AfD ihre größte Machtbasis hat. Sie wird befeuert werden durch die Machtarithmetik nach den kommenden Landtagswahlen.

Das Ergebnis aber lässt sich jetzt schon in Wien ablesen: Nicht nur Regierungskrise, sondern Krise des demokratischen Staates, seines Pluralismus' und seiner Freiheiten. Die Warnzeichen sind unübersehbar gesetzt, man muss sie nur beachten wollen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden